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Christa Kožik: Der schützende Traum
Christa Kožik erhielt den Preis der Defa-Stiftung für ihr Lebenswerk
Woraus schöpft jemand sein Leben lang? Aus der eigenen Kindheit. Die Kindheit von Christa Kožik (geboren am 1. Januar 1941) fiel dem Krieg zum Opfer. Darum holt sie diese schreibend immer wieder nach, bis heute. Lange hat sie sich gefragt, warum ist ihre Mutter so hart und böse geworden? Wieder war der Krieg die Antwort.
Aber der große Ernst brach über die zweijährige Christa bereits mit einem anderen Ereignis herein. Der Vater war im niederschlesischen Liegnitz Streckenwärter bei der Bahn gewesen. Eines Tages wurde er von einem Zug erfasst und plötzlich war sie mit der Mutter allein. Die Abwesenheit des Vaters sei ein großes Rätsel für sie gewesen. Ein Foto zeigt das kleine Mädchen an dessen Grab. Tief in sich versunken steht es vor seinem ersten – unlösbaren – metaphysischen Rätsel.
Dann rückt die Front näher, die Mutter muss Anfang 1945 mit dem vierjährigen Mädchen fliehen. Doch der Zug wird bombardiert, überall sind Explosionen und Schreie zu hören. In den Trümmern des Zuges liegen Tote und Verletzte, überall ist Blut. Zu Fuß erreichen sie Frankfurt/Oder. Immer wieder sieht sie unterwegs gefrorene Leichen im Schnee. Das ist ein schlimmer Anblick für ein kleines Kind, das nicht weiß, warum so viel Schreckliches um es herum passiert. Am schlimmsten sei das Geräusch gewesen, wenn diese gefrorenen Leichen aufgesammelt und auf Wagenflächen geworfen wurden. So schnell wird aus einem Menschen ein Ding. Das hat sie viele Jahre verfolgt.
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Gerettet zu sein, war das eine, aber zum guten Leben fehlte doch etwas! Christa Kožik hat an ihrer Mutter erlebt, wie es ist, wenn Menschen innerlich absterben, ihre Seele verlieren. Aber sie wollte die kindliche Seele nicht preisgeben, denn diese ist doch das eigentlich Wertvolle, woraus wir schöpfen. Um dieses »innere Auge« geht es in ihren Kinderbüchern und Filmszenarien. Gelegentlich zitiert sie auch Karl Marx: »Die Phantasie erhebt sich über die Wirklichkeit, um umso tiefer in sie einzudringen.«
Mit sechzehn beginnt sie eine Lehre als kartographische Zeichnerin am Staatlichen Geologischen Institut in Berlin. Täglich kommt sie am Antiquariat beim Dorotheenstädtischen Friedhof vorbei. Und dort macht sie eine Entdeckung, die ihr Leben verändern wird: Hölderlins Gedichte! Sie, die ihre traurige Kindheit mit sich herumschleppt, findet darin Trost. Hölderlins Gedichte seien für sie wie »Opium« gewesen.
Diese große Nähe zu Hölderlin macht es ihr dann auch möglich, das Drehbuch zu einem der schönsten (und wichtigsten) Defa-Filme zu schreiben: »Hälfte des Lebens« (1985) in der Regie von Herrmann Zschoche mit Ulrich Mühe als Hölderlin und Jenny Gröllmann als Susette Gontard. Der Haushofmeister im Hause Gontard, der sich in die schöne und phantasiebegabte Frau seines Arbeitgebers verliebt. Das Genie als Brotgänger eines trivialen Bankiers, der sich in seinem gesellschaftlichen Rang weit über dem »Dichterling« dünkt. Daraus wird eine Tragödie im doppelten Sinne, die Christa Kožik auf feinsinnige Weise nachzeichnet. Die unlebbare Liebe zu der verheirateten Frau und der Klassenunterschied – beides zusammen vernichtet Hölderlin, treibt ihn in den Wahnsinn.
Die Kinder aber lagen Christa Kožik vor allem am Herzen. Sie sollen Kinder sein dürfen, spielend lernen. Doch nach dem Krieg sahen die Überlebenden meist nur die praktische Seite des Alltags. Man musste funktionieren! Psychische Probleme wurden nicht ernst genommen und »Träumer« war geradezu ein Schimpfwort. Das wollte Christa Kožik ändern. Sie fing an zu schreiben – Wintergedichte waren das Erste, was sie bei den Anfang der Sechzigerjahre überall in der DDR stattfindenden Lyrikabenden vortrug. Bei einer Veranstaltung in Potsdam fiel sie mit ihren Gedichten sofort als großes Talent auf.
Was folgte, war ein typischer DDR-Weg für junge Autoren: Vom Zirkel Schreibender Arbeiter (ein Ergebnis der Bitterfelder Konferenz von 1959) ging es schrittweise bis zum Schriftstellerverband. Sie hatte Glück, traf überall auf Förderer. Schließlich studierte sie Dramaturgie an der Filmhochschule in Potsdam.
Das Filmszenarium für »Philipp der Kleine« (1976) war ihre Abschlussarbeit und das erste Zusammentreffen mit dem Regisseur Herrmann Zschoche. Die Geschichte ist in ihrer Märchenhaftigkeit bereits typisch für sie und wird dann in »Moritz in der Litfaßsäule« wieder aufgenommen. Philipp ist ein Kind, das sich in der Welt fremd und unverstanden fühlt. Er ist klein, schlecht im Sport und in jeder Hinsicht anders. Ein bevorzugtes Objekt der Maßregelung durch die Erwachsenen und des Spotts der anderen Kinder. Dann verliert er auch noch seine Flöte, die er geschenkt bekommen hat (aber er erhält vom Musikalienhändler eine neue geschenkt) eine Wunderflöte, mit der er Dinge größer oder kleiner werden lassen kann. Der große Kindertraum: ein Zauberer zu sein!
Diese magische Dimension hat Christa Kožik dann auch in ihrem wohl bekanntesten Kinderbuch »Moritz in der Litfaßsäule« von 1980 in den Mittelpunkt gestellt, das dann dem gleichnamigen Film in der Regie von Rolf Losansky von 1983 zugrunde liegt. Der neunjährige Moritz ist zum Leidwesen seiner pflichtbewussten Eltern und der exakten Lehrer langsam und verträumt. Er wird ermahnt und getadelt, wenn er eine Sonne mit Ohren und Vögel mit Hüten malt. Wo er so etwas denn gesehen habe? Er hat es gesehen, mit seinem inneren Auge.
Eines Tages hat er genug davon, immer unverstanden zu sein und versteckt sich in einer Litfaßsäule. Die kleine Weltflucht zur Probe. Der Clou: Er hat Gesellschaft von einer sprechenden Katze (einer hinreißenden Trickfigur), die ihm ebenso alters- wie naseweise Ratschläge über den Lauf der Welt und die Natur des Menschen gibt. Christa Kožik wird später erklären, wie sie auf die Idee zu Buch und Film kam: Ihr sechsjähriger Sohn Adrian war gleich am zweiten Tag aus der Schule davongelaufen. Man musste ihn suchen, und als man ihn einem Park fand, gab er die ebenso simple wie schlagende Erklärung ab: »Es hat mir nicht gefallen.«
Jeder, der in der DDR in den 70er Jahren aufgewachsen ist, kennt wohl Herrmann Zschoches »Sieben Sommersprossen« (1978), zu dem Kožik das Drehbuch schrieb. Liebe mit vierzehn! Ein Thema, das nur mit großer Sensibilität erzählt auf die Leinwand zu bringen war. Ein Defa-Erfolgsfilm mit über einer Million Zuschauer. Weniger bekannt ist gleichsam die Fortsetzung: »Grüne Hochzeit« (1988), wieder in der Regie von Zschoche. Auch dies ein typisches DDR-Thema. Susanne ist siebzehn und Robert achtzehn. Beide sind erstmals verliebt. Susanne liest immer wieder in Shakespeares »Romeo und Julia«. Sie ist Fabrikarbeiterin und er Schreiner in einer kleinen Bootswerft. Sie heiraten mit romantischen Gefühlen – und der Ehealltag ist dann natürlich für sie beide eine Überforderung. Zumal Susanne schwanger ist und Mutter von Zwillingen wird, denen sie euphorisch die Namen Romeo und Julia gibt.
Der Geschichte wohnt Unheil inne, und gegen dieses müssen sie nun beide ankämpfen, mit ungewissem Ausgang. Großartig in der Rolle der Susanne übrigens die damals 17-jährige Anja Kling, die später im Fernsehen sehr bekannt wurde, aber hier eine dramatische Rolle in ergreifender Natürlichkeit spielt. Auch das ist etwas, das die Mangelgesellschaft DDR eher beförderte: die große Erwartung ans Leben.
Darüber hat Christa Kozik viele wunderbare Film-Geschichten geschrieben, in denen der Traum auf die Realität trifft, ohne von dieser zerstört werden zu können. Dafür erhielt sie nun den Preis der Defa-Stiftung für ihr Lebenswerk.
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