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Leonard Cohen im Fluss toxischer Männlichkeit

Das Biopic »So long, Marianne« packt Leonard Cohens langjährige Beziehung zu einer Norwegerin in all zu verklärende Bilder

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Menschen hängen an Cohens (Alex Wolff) Lippen, wenn er seine Gedichte liest – der große Erfolg bleibt trotzdem aus.
Die Menschen hängen an Cohens (Alex Wolff) Lippen, wenn er seine Gedichte liest – der große Erfolg bleibt trotzdem aus.

Männlichkeit zulasten anderer, meist weiblicher Mitmenschen – inflationär, aber korrekt »toxisch« genannt – hat viele Gesichter: das teigige des Filmproduzenten Harvey Weinstein zum Beispiel, das wütende des Ex-Präsidenten Donald Trump, das jugendliche seines Amtsvorvorvorgängers Bill Clinton, das kindliche des Zotenreißers Luke Mockridge oder ziemlich alt und doch ganz neu: das schmallippige des norwegischen Schriftstellers Axel Jensen. Kennen Sie nicht? Können Sie kennenlernen!

In der ARD-Serie »So long, Marianne« bildet er den vergifteten Kontrast zu einer Legende, die nun wirklich jeder kennt: Leonard Cohen. Bevor der kanadische Poet zum größten Singer/Songwriter seiner Zeit wurde, hat er prägende Jahre auf der griechischen Insel Hydra verbracht. Ein Künstler-Refugium unweit Athens, in das der jüdische Schriftsteller 1959 zog, um nicht in der elterlichen Textilfabrik zu arbeiten, um sich von seiner religiösen Familie zu emanzipieren, um frei zu sein und darüber zu schreiben.

Und all dies gelang ihm auch wegen der wohl wichtigsten Begegnung seiner Karriere: Marianne Ihlen (Thea Sofie Loch Næss). Einer Frau zwischen zwei Männern, die oberflächlich betrachtet unterschiedlicher kaum sein könnten, letztlich aber einiges vereint: Ihr Freund Axel Jensen (Jonas Strand Gravli) macht der schwangeren Frau das Leben im Ferienparadies zur Hölle, aus der sie Leonard Cohen (Alex Wolff) mit Empathie, Flüsterstimme und Rehaugen scheinbar herausholt. Das alles aber nur, um sie einer etwas kühleren Verdammnis zuzuführen.

»Sie nannten mich einen Frauenhelden, aber das war ich nie«, sagt Cohen sanft aus dem Off, während er mit zwei Gespielinnen die Laken zerwühlt.

So wie Regisseur Øystein Karlsen – seit der Finanzweltserie »Exit« bestens mit destruktiver Männlichkeit vertraut – seine Hauptfigur nach eigenem Drehbuch einführt, wird deren Hybris früh deutlich: »Sie nannten mich einen Frauenhelden, aber das war ich nie«, sagt Cohen sanft aus dem Off, während er mit zwei Gespielinnen die Laken zerwühlt, »es fiel mir nur leichter, andere zu lieben als mich«. Der Zuspruch des groupiefressenden Rammsteins Till Lindemann wäre ihm bereits an dieser Stelle gewiss.

Und damit willkommen im Filmfach porträtierter Ikonen diverser Kunstgattungen von Musik (Amadeus) über Poesie (Schiller) bis Malerei (Caravaggio), deren toxisches Verhalten zur unfreiwilligen Triebumkehr produktiver Leidenschaften umgedeutet wird. Falls man Karlsens Biopic nicht missversteht, tritt also auch er in die Musenkuss-Falle. Sein Held, dank populärer Gedichte schon bekannt, aber nicht berühmt, will 1959 auf Hydra zu sich selbst finden und trifft eine Schar interessanter Persönlichkeiten beim Versuch, abseits der Zivilisation dasselbe zu tun.

Gleich mit seiner ersten Reisebekanntschaft, der schönen, aber weitaus älteren Schriftstellerin Charmian Clift (Anna Torv), landet Cohen im Bett, wo bald die ebenso schöne, aber ungleich jüngere Marianne liegt. Während Erstere aus einer abgewetzten Ehe entkommt, tut es Letztere aus einer passiv-aggressiven Beziehung. Beide Männer sind scheinbar liberal, beide allerdings auch Prachtexemplare einer Selbstbefreiungsepoche, die das tradierte Geschlechterverhältnis nur kultivierter deutet.

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Und so flüchtet sich Marianne in die Arme des kanadischen Dichters, mit dem sie auch deshalb eine Beziehung eingeht, weil er anders als der Vater ihres ungeborenen Kindes keinerlei (körperliche) Gewalt gegen sie ausübt. In bezaubernd gefilmter Umgebung, die ein Soundtrack umspielt, der sich bei Komponisten in tragender Rolle von alleine schreibt, begleiten wir dieses legendäre Paar seelenwunder und -verwandter Individuen also annähernd acht Stunden durch die ambivalenten Sechzigerjahre.

Ergänzt um Originalbilder, -songs und -stimmen ergibt sich daraus ein Doppelporträt des weltgrößten Folksängers neben Bob Dylan. Und eines Filmemachers, der Leonard Cohen schon dafür seine Sünden vergibt. Warum, erklärt ihm (also uns) ein Verwandter im schwarz-weiß inszenierten Montreal: »Deine primäre Aufgabe ist es, uns menschliche Wesen über den dunklen Abgrund, der tief in uns liegt, aufzuklären.« Und dafür erteilt die ARD in der Mediathek dann quasi Absolution, Frauen sein Leben lang nett, aber scheiße zu behandeln.

Nicht missverstehen: »So long, Marianne« ist ein eleganter, sensibler, hinreißend schöner Starschnitt mit Tiefgang, Anmut, Gespür für zwanghaft rauchende, saufende, philosophierende Figuren der Popkultur. Ein langer, ruhiger Fluss wie Cohens Werk. Nur: Øystein Karlsen macht eben den Fehler vieler Porträts derart umschwärmter Persönlichkeiten, die Anziehungskraft auf den Pöbel nicht ihrer Popularität, sondern Persönlichkeit zuzuschreiben. In Zeiten von #MeToo ein antiquierter Irrtum. Wenngleich ein sehr, sehr sehenswerter.

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