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Der DFB ehrt Leipziger Initiative für Bildungsarbeit im Fußball

Die Initiative für mehr gesellschaftliche Verantwortung im Breitensportfußball erhält den Julius-Hirsch-Preis

  • Ullrich Kroemer, Leipzig
  • Lesedauer: 5 Min.
Julius-Hirsch-Preisträger: Das Team der Initiative für mehr gesellschaftliche Verantwortung im Breitensportfußball
Julius-Hirsch-Preisträger: Das Team der Initiative für mehr gesellschaftliche Verantwortung im Breitensportfußball

Namen kann Stephan Schneider öffentlich nicht nennen, schließlich baut seine Arbeit und die seiner Teamkolleginnen und -kollegen auf Vertrauen. Nur so viel: Als es jüngst im B-Jugend-Team eines sächsischen Fußballvereins im ländlichen Raum einen rassistischen Vorfall im Training gab und sich der Vater des betroffenen Spielers an den Vereinspräsidenten wandte, suchte dieser Rat bei der IVF. Genau der richtige Weg: Denn die Initiative für mehr gesellschaftliche Verantwortung im Breitensportfußball beschäftigt sich seit 15 Jahren mit Bildungsarbeit im Fußball in Sachsen. Vor allem präventiv, indem der Verein aktuell acht Workshops anbietet: von Diskriminierung über das Erkennen rechter Ideologien bis hin zu Geschlechterrollen im Fußball und diversitätsbewusstem Ehrenamt sowie Argumentationstraining gegen Sexismus. Aber auch bei akuten Problemen wie im genannten Beispiel hilft die IVF moderierend und durch eine sogenannte Verweisberatung. Durch ihre Erfahrung und ihr Netzwerk wissen die Sozialpädagogen und Politikwissenschaftler ganz genau, wer kompetent helfen kann.

Für diese nachhaltige und vor allem im sächsischen Fußball immens wichtige Arbeit wird die IVF an diesem Sonntag, am Vorabend vom Rückspiel in der Nations League zwischen dem DFB-Team gegen die Niederlande in München, mit dem Julius-Hirsch-Preis ausgezeichnet – die höchste Auszeichnung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) für Freiheit, Toleranz und Menschlichkeit. Dass der Preisträger zum dritten Mal nacheinander aus Ost- beziehungsweise Mitteldeutschland kommt, ist für DFB-Präsident Bernd Neuendorf »ein starkes Zeichen für das äußerst lebendige Engagement vor Ort«.

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Aber es ist eben auch ein Beleg dafür, dass der Bedarf nach gesellschaftlichem Engagement im Sport – gerade im Fußball und gerade in den neuen Bundesländern – besonders vonnöten ist. In der sogenannten Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung von 2023 über rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen ist belegt, dass Fußballvereinsmitglieder vergleichsweise häufiger rassistisch eingestellt sind als Mitglieder anderer Sportvereine und Befragte ohne Sportvereinsmitgliedschaft. Sportvereine sind nicht per se vielfältige, tolerante, diskriminierungsfreie Räume, sondern es braucht entsprechende Strukturen und Bildung, um die gesellschaftliche Kraft des Sports auch zu nutzen.

Stephan Schneider, einer der vier hauptamtlichen Mitarbeiter und Projektkoordinatoren der IVF, weiß: »Diskriminierungspraxen wie Rassismus, Sexismus, Homophobie und Antisemitismus sind im sächsischen Breitensportfußball dauerhaft präsent, da spielen Wahlen keine so große Rolle, sondern das sind Einstellungsmuster, die massiv vorhanden sind.« Doch gerade durch das Erstarken rechter Einstellungen habe sich »die gesamtgesellschaftliche Situation in Bezug auf Ausgrenzung und rechtsextreme Ideologien verschärft. Die Leute fühlen sich ermutigter, ausgrenzende, menschenfeindliche Einstellungen in der Öffentlichkeit zu zeigen. Das nimmt zu«, sagt Schneider.

Auch auf den Fußballplätzen etwa in mitteldeutschen Kleinstädten beobachten die IFV-Mitarbeiter, dass sich eine neue, »extrem rechte, hegemoniale Jugendkultur« herausbilde. Wenn Leipziger Vereine wie die BSG Chemie oder der Rote Stern, die für ihre antirassistische Haltung bekannt sind, zum Beispiel nach Wurzen kommen, stünden da 100 Nazis auf den Rängen – 16-Jährige, keine Alt-Hauer, sondern eine neue Generation. »Der Bedarf ist riesig, die Zugänge sind schwer. Man muss dranbleiben, Kooperationspartner*innen finden«, sagt Schneider.

Wenig Kooperation

Das erfolgreichste Projekt der IVF heißt »Ein Verein für alle«. Dort begleitet die Organisation die Nachwuchsmannschaften von Vereinen, aber auch die Funktionäre, mit etwa zwei Workshops jährlich. So kommen etwa jugendliche Kicker und Kickerinnen von der C- bis zur A-Jugend kontinuierlich mit Antidiskriminierungsarbeit in Berührung. Doch nur sieben Vereine in ganz Sachsen kooperieren mit der IVF – obwohl das Angebot komplett kostenfrei ist und über Fördermittel und Spenden finanziert wird. Ein echter Mehrwert für die Fußballabteilungen der BSG Chemie Leipzig und der USG Chemnitz, die die größten Vereine im Netzwerk sind.

Was aber ist mit den übrigen 860 Vereinen, die im Sächsischen Fußball-Verband (SFV) organisiert sind? »Die Akquise ist superanstrengend, es ist sehr schwierig, an die Vereine heranzukommen«, erklärt Schneider. Entweder wollen die Trainer ihre Trainingszeit nicht für Demokratiearbeit opfern oder es gibt keine Kapazitäten dafür, die Workshops mitzuorganisieren, oder die Vereine berufen sich auf ihre Pflicht zur politischen Neutralität, obwohl eine gesellschaftspolitische Neutralität gar nicht eingefordert wird. »Ein Verein sollte parteipolitisch neutral sein, keine Politik für eine Partei betreiben, aber jeder Verein darf sich politisch äußern, vor allem, wenn es um Menschenfeindlichkeit und Diskriminierung geht«, betont Schneider.

Bedrohliche Lage

Auch die Verbände wie der SFV hatten jahrelang kein Interesse an einer Zusammenarbeit, was sich jedoch gerade ändert. Dabei hilft der Julius-Hirsch-Preis des Deutschen Fußball-Bundes natürlich sehr. »Für uns ist das fast die größte Auszeichnung, die wir bekommen können, weil er von der größten Organisation kommt, die es in unserem Bereich gibt«, sagt Schneider. Die IVF erhofft sich dadurch mehr Öffentlichkeit für ihre Arbeit, neue Netzwerkpartner und Geldgeber. Das Preisgeld hingegen fällt mit 7000 Euro für den ersten Platz eher mau aus – vor allem angesichts der Unsummen, mit denen im Profifußball gehandelt wird.

Und doch hilft der IVF das Geld, da der Julius-Hirsch-Preisträger aktuell akut in seiner Existenz gefährdet ist. Durch das Erstarken von AfD und BSW bei den sächsischen Landtagswahlen und eine komplett unverlässliche Lage samt schwieriger Koalitionsverhandlungen kann die Sächsische Aufbaubank (SAB) erst Mitte 2025 über die weitere Förderung des Programms »Weltoffenes Sachsen« bescheiden, durch das sich die Initiative bisher vor allem finanziert. Das heißt, dass für die Arbeit des gesamten Jahres 2025 – wenn überhaupt – erst Ende 2025 Geld fließen könnte. »Die politische Situation in Sachsen ist so instabil, dass wir in unserer Arbeit akut bedroht sind«, sagt Stephan Schneider.

120 000 Euro beträgt der benötigte Jahresetat, um den Betrieb mit insgesamt 12 bis 14 teils ehrenamtlichen IVF-Mitarbeiter*innen aufrechtzuerhalten. Dabei müsste das IVF-Engagement eher weiter ausgebaut werden. Denn was demokratische Bildungsangebote mit explizitem Fußballbezug angeht – durchgeführt von selbst aktiven Spieler*innen, Trainer*innen, Schiedsrichter*innen –, hat die IVF in Sachsen ein Alleinstellungsmerkmal.

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