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Sozialer Wohnungsbau in der Krise

Spanien, Großbritannien und Österreich sind Beispiele für eine gescheiterte Wohnungspolitik

  • Lesedauer: 7 Min.
Sozialer Wohnungsbau in Großbritannien
Sozialer Wohnungsbau in Großbritannien

Überall in Europa werden Mieten teurer – immer mehr Haushalte sind finanziell überlastet. Der Niedergang des sozialen Wohnungsbaus ist eine der zentralen Ursachen. Ein Blick nach Spanien, Österreich und Großbritannien.

Spanien: Spezialfall in der Krise

Spanien ist in Wohnungsfragen ein Spezialfall: Wohnungen werden dort lieber gekauft als gemietet. Die Zahl derer, die mieten wollen oder müssen, steigt aber rasant an – wie auch der Protest. Auf einer Großdemonstration am Sonntag in Madrid wird für bezahlbare Mieten, Sozialwohnungsbau und ein Verbot der Umwandlung von regulären Wohnungen in Touristenwohnungen demonstriert.

Den Wendepunkt im Land bildete die Finanzkrise ab 2007. Hunderttausende Familien konnten ihre Kredite nicht mehr bezahlen, wurden aus »ihren« Wohnungen geworfen und auf den engen Mietmarkt gedrängt. 2007 gab es noch 13 Prozent Mieter*innen in Spanien, im vergangenen Jahr bereits 19 Prozent. In der Hauptstadtregion Madrid sind es mittlerweile schon 25 Prozent, in Barcelona sogar 44 Prozent.

Die Umwandlung von regulären Wohnungen in Touristenwohnungen spitzt das Problem zu. In Madrid gibt es offiziell fast 15 000 solcher Unterkünfte. Der Anbieter von Ferienwohnungen Airbnb geht davon aus, dass die doppelte Anzahl zusätzlich illegal an Reisende vermietet wird. Für den meistgezahlten Lohn von 1300 Euro kann man in der Hauptstadt dabei in der Regel nicht einmal eine 80-Quadratmeter-Wohnung mieten. Die rechte Regionalregierung in Madrid unter Isabel Ayuso zeigt sich handlungsschwach. Sie nutzt nicht einmal die Regulierungsmöglichkeit, Mieten in »Spannungszonen« zu deckeln, und hat sogar die Mieten für die wenigen Sozialwohnungen zwischen 26 und 66 Prozent angehoben, wogegen auch protestiert wird.

In Katalonien wiederum hatte die Regierung der Republikanischen Linken »Spannungszonen« ausgewiesen. Die Mieten sollen im Durchschnitt bis zu fünf Prozent gefallen sein. Daten des Immobilienportals »Idealista« bestätigen das aber nicht. Demnach seien die Mieten in Barcelona im September gegenüber August um 3,5 Prozent gestiegen, im Vergleich zum Vorjahresmonat um 12 Prozent. Als Nebeneffekt ist die Zahl geschlossener Mietverträge im zweiten Quartal gegenüber dem Vorquartal um 17 Prozent gesunken.

Das zentrale Problem im ganzen Land ist, dass nie viele Sozialwohnungen gebaut wurden. Im Sonderfall Spanien sind das vor allem Einheiten zum geförderten Kauf. Wurden vor der Krise ab 2008 noch fast 100 000 Wohnungen im Jahr übergeben, waren es 2018 nur 8000. Davon waren 2500 Mietwohnungen. Neuere Zahlen legt das Bauministerium nicht vor. Nur noch 2,5 Prozent des gesamten Wohnungsbestands sind Sozialwohnungen.

Das Wahlversprechen der sozialdemokratischen Zentralregierung, 180 000 Wohnungen schnell zu »erschwinglichen Preisen« auf den Markt zu bringen, wurde letztlich gebrochen. In zwei Jahren waren es 10 000 Einheiten. Die Mehrzahl stammt von der staatlichen Abwicklungsbank Sareb. Diese hatte sie in der Finanzkrise von abstürzenden Banken übernommen. Der neue sozialdemokratische katalanische Regionalpräsident Salvador Illa hat nun den Bau von 50 000 Sozialwohnungen bis 2030 versprochen. Dass sie kommen, wird bezweifelt. Ralf Streck

Österreich: Der Mix macht es aus

Der Wiener Gemeindebau hat einen eigenen Geruch. Mitunter kann man sogar die Epoche erriechen, in der das jeweilige Gebäude errichtet worden ist: Die feuchten, modrigen Häuser – das sind die aus den 1970er-Jahren. Doch aus so manchem dieser grauen Quader ist inzwischen ein hübscher Wohnbau geworden.

Wohnen war eines der Themen im jüngsten Wahlkampf zur Nationalratswahl am 29. September. Aber eines, das nie an Fahrt aufgenommen hat. Denn Österreichs kommunaler – und auch gemeinnütziger – Wohnbau ist ein Flickenteppich. Das bildet sich schon alleine in Wien ab: Da gibt es Gemeindewohnungen, geförderte Wohnungen und auch den freien Markt mit all seinen Schattierungen. Und nur eines ist bei all dem klar: So günstig wie in einem Wiener Gemeindebau kann man nirgendwo sonst in der österreichischen Hauptstadt leben – außer unter einer Brücke.

Entsprechend lange sind die Wartelisten für diese Wohnungen. Zugewiesen werden sie nach Dringlichkeit. Die Miete richtet sich nach Ausstattungskategorie: Die billigste liegt bei 330 Euro pro Monat für eine Einzimmerwohnung. Für vier Zimmer sind 750 Euro fällig. All das ist unabhängig von der Lage – die Wiener Sozialdemokratie hat vor allem in den 1920ern Gemeindebauten auch mitten in Villenviertel gepflanzt. Das beste Beispiel: Der Karl-Marx-Hof im noblen Döbling.

Auf dem freien Wohnungsmarkt weht in Wien dagegen ein anderer Wind. Für eine Familie mit zwei Kindern adäquaten Wohnraum zu finden, kann somit zur Herausforderung werden. Unter Mietkosten von 1500 Euro monatlich kalt ist kaum etwas zu finden. Allerdings: In Wien beeinflusst der Umfang des kommunalen Wohnbaus den Markt massiv. Denn dieser sowie allgemein geltende Regulierungen wie Mietobergrenzen für Teile des Angebotes sind Preisdrücker.

Der Marktanteil der Stadt Wien ist dabei hoch: Sie hat 230 000 Wohnungen in eigener Verwaltung. Das sind überwiegend Wohnungen, die vor 1990 errichtet worden sind. Seither gibt es einen Trend zu genossenschaftlich finanzierten und verwalteten Projekten mit unterschiedlichen Modellen – oftmals auch mit Kaufoption.

Und das sind auch die Modelle, die bundesweit dominieren. Österreichweit gibt es etwa 200 genossenschaftliche, gemeinnützige Bauvereinigungen. Ihre Grundlage ist der Status der Gemeinnützigkeit, der von den Ländern vergeben wird. Eine der Vorgaben ist eine Gewinnbeschränkung. Insgesamt haben solche Gesellschaften in Österreich rund 990 000 Wohnungen auf dem Markt. Hinzu kommen Wohnungen im Eigentum von Gemeinden.

Was aber auffällt: Wien ist zwar die Stadt in Österreich mit den höchsten Quadratmeter-Preisen, wenn es um Eigentum geht – jedoch nicht bei den Mieten. Da liegt Wien unter den Städten nur auf Platz sieben hinter Innsbruck, Salzburg oder Dornbirn. Das sind die mit Abstand teuersten Gemeinden. Die höchsten Mieten in ganz Österreich findet man wiederum in der Innenstadt Wiens. Es kommt also letztlich auf die regionale Handhabe, die Kontrolle des Marktes und den richtigen Eigentumsmix an. Stefan Schocher

Großbritannien: Wenn Wohnen zum Luxus wird

In Großbritannien schrumpft die Zahl der Sozialwohnungen seit Jahren. Gab es 2013 noch vier Millionen Sozialwohnungen im Land, waren es 2023 nur noch 3,74 Millionen, ein Verlust von einer Viertelmillion. Das ergab eine Studie des britischen Parlaments. Insgesamt hat Großbritannien in den vergangenen vierzig Jahren zwei Millionen Sozialwohnungen an den privaten Wohnungsmarkt verloren – auch eine Folge der neoliberalen Politik der 1980er Jahre, die vor allem von der damaligen Premierministerin Margaret Thatcher vorangetrieben wurde. Der Bedarf an günstigem Wohnraum ist dabei riesig: 1,3 Millionen Haushalte standen im Februar auf Wartelisten für staatlich geförderten Sozialwohnungen.

Vielen Menschen bleibt so nichts anderes übrig, als auf den teuren privaten Wohnungsmarkt auszuweichen. Für eine Einzimmerwohnung zahlt man aktuell im Durchschnitt rund 1000 Pfund, umgerechnet knapp 1200 Euro, in London sogar 1900 Pfund. Ein WG-Zimmer kostet im Mittel 745 Pfund, in London 995 Pfund. Die Folge: In der Hauptstadt geben die Menschen im Durchschnitt fast die Hälfte ihres Einkommens für die Miete aus. Auch im Rest des Landes zahlen sie meist mehr als ein Drittel.

Dass das auf Dauer nicht funktionieren kann, ist offensichtlich. Immer mehr Menschen landen auch auf der Straße. 2023 waren in Großbritannien so viele Menschen obdachlos wie in keinem anderen OECD-Land. Die internationale Wirtschaftsorganisation hat 38 Mitglieder. »Das Problem ist, dass Mieter*innen fast gar keine Rechte haben, während die Macht von Vermieter*innen uneingeschränkt ist«, erklärt der Aktivist und Experte für Mietrecht Nick Bano. »Solange das so ist, werden die Mieten weiter steigen.«

Im Vergleich zu etwa Deutschland haben Mieter*innen in Großbritannien sehr wenige Rechte. Zum Beispiel gibt es im Mietrecht eine Klausel, die sogenannte Section 21, die es Vermieter*innen erlaubt, ihren Mieter*innen ohne Grund und zu jedem Zeitpunkt zu kündigen. Die Mieter*innen müssen dann innerhalb von zwei Monaten ausziehen. Außerdem können Vermieter*innen die Miete zu jedem Zeitpunkt erhöhen, eine teilweise regulative Beschränkung wie in Deutschland gibt es nicht. Akzeptieren Mieter*innen eine Erhöhung nicht, droht ihnen meist die Kündigung. Eine Situation, in der Mieter*innen nur verlieren können. Aktivist*innen fordern deshalb seit Langem ein Ende der Klausel Section 21. Ein weiteres zentrales Anliegen – etwa der Mieter*innengewerkschaft London Renters Union – ist ein Mietendeckel.

Seit Kurzem gibt es zumindest ein wenig Hoffnung für Mieter*innen: Die Labour-Regierung hat das neue Gesetz »Renters Rights Bill« auf den Weg gebracht, um den Mieterschutz zu stärken. Demnach sollen unter anderem Vermieter*innen ihre Mieter*innen nur noch kündigen dürfen, wenn sie einen triftigen Grund vorweisen können – etwa, wenn sie das Grundstück verkaufen wollen. Außerdem soll die Kündigungsfrist von zwei auf vier Monate erhöht werden. Das Inkrafttreten des Gesetzes ist für Sommer 2025 geplant. Julia Dagg

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