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Birmingham ist bankrott: »Die Auswirkungen werden massiv sein«
Ein kolossales Sparpaket könnte in der zweitgrößten britischen Stadt alles nur noch schlimmer machen
Das Ladywood Health and Community Centre hat schon bessere Zeiten gesehen. Die Fassade ist geschwärzt von Schmutz und Wasserschäden. Der Raum, an dessen Tür ein Schild mit der Aufschrift »Bibliothek« hängt, steht leer und ist bücherlos. Auch eine Gesundheitsversorgung, die hier früher angeboten wurde, gibt es schon lange nicht mehr. Aber trotz der etwas maroden Erscheinung ist das Gemeindezentrum für viele mittellose Menschen in Ladywood, einem Quartier im Westen von Birmingham, eine Rettungsleine – eine der letzten, die noch übriggeblieben ist.
Stolz führt Caron Hallahan durch die Räume. Die 53-jährige Sozialarbeiterin leitet das Projekt zusammen mit einer Kollegin, sie werden unterstützt von mehreren freiwilligen Mitarbeiter*innen. Hallahan atmet tief ein und beginnt aufzuzählen, was für Hilfsleistungen hier angeboten werden: Gutscheine für den Supermarkt, finanzielle Unterstützung für Gas- und Stromkosten sowie Schuluniformen, Decken und Thermosflaschen für die kalte Jahreszeit. Außerdem gibt es eine Beratung bei Problemen mit Sozialleistungen. In der Küche können Leute, die keine feste Bleibe haben, Essen zubereiten und Kleider waschen. Das Zentrum organisiert Ausflüge ins Schwimmbad oder ins Stadtzentrum. Es gibt eine Kinderkrippe und einen kleinen Garten.
Mit warmen Worten begrüßt Hallahan zwei junge Frauen, die zusammen mit ihren Kindern im bunt bemalten Gemeinschaftsraum sitzen und warten, bis sie empfangen werden – sie brauchen heute Beratung bei Finanzangelegenheiten. »Wir machen hier eine ganze Menge«, sagt Hallahan. Und in Ladywood, wo die Armut grassiert, ist das alles bitter nötig. Hallahan liebt ihr Viertel, sie ist hier aufgewachsen und sagt: »Ladywood ist in meinem Herzen.« Aber sie macht sich Sorgen und fragt sich, ob ihr Sozialprojekt noch lange bestehen kann. Es könnte ein Opfer des größten Sparprogramms werden, das eine britische Lokalgemeinde jemals unternommen hat.
Am 5. September 2023 erklärte sich Birminghams City Council für bankrott. Die Kommunalbehörde der zweitgrößten Stadt Großbritanniens – und mit rund einer Million Einwohnern die größte Lokalgemeinde Europas – gab bekannt, dass zwischen Ausgaben und Einnahmen ein Loch von 87 Millionen Pfund (knapp 104 Millionen Euro) klaffe. Doch damit nicht genug: Die Kommune steht zudem mit etwa 760 Millionen Pfund wegen eines historischen Gerichtsurteils infolge von ungleicher Bezahlung von weiblichen Angestellten in der Kreide. Zudem stellte sich die Einführung eines neuen Computersystems des US-Konzerns Oracle im Jahr 2022 als Desaster heraus – die Fehler zu beheben, kostet weitere 100 Millionen Pfund.
Im März 2024 beschloss der Kommunalrat ein kolossales Sparpaket: In den kommenden zwei Jahren sollen 300 Millionen Pfund vom Haushalt gestrichen werden (im Finanzjahr 2021/22 belief sich das gesamte Budget der Stadt auf knapp 3,8 Milliarden Pfund). Gleichzeitig wird die Gemeindesteuer in zwei Jahren um 20 Prozent angehoben, und die Stadt will Vermögenswerte im Umfang von mehreren hundert Millionen Pfund verkaufen, um die Kasse aufzufüllen – darunter Parks, Kinderzentren und Immobilien.
Caron Hallahan befürchtet, dass auch ihr Zentrum in Ladywood zum Verkauf stehen könnte – es wird zwar von einer unabhängigen Stiftung betrieben und finanziert sich über Spenden, aber das Gebäude gehört der Gemeinde. »Wenn wir schließen müssten, wo würden die Leute hingehen? Wo finden sie Hilfe, wenn sie in finanziellen Schwierigkeiten sind, oder wenn sie Beratung brauchen? Es gibt sonst nichts in diesem Quartier«, sagt Hallahan.
Noch sind nicht alle Details des Sparprogramms bekannt, es laufen derzeit mehrere Konsultationen. Außer Zweifel steht jedoch, dass praktisch kein Bereich des öffentlichen Lebens dem Kahlschlag entkommen wird. »Es fühlt sich an, als würde man Birmingham das Herz aus dem Leib reißen«, sagt Kate Taylor. Die 48-jährige Lehrerin sitzt in einem pittoresken Pub in einem Vorort im Süden von Birmingham, sie hat gerade Mittagspause. Taylor ist Teil einer neuen, von mehreren Gewerkschaften getragenen Kampagne gegen die Kürzungen, sie nennt sich »Brum Rise Up!« Brum ist der Spitzname von Birmingham, also in etwa: »Birmingham, steh auf!«
»Die Auswirkungen der Haushaltskürzungen werden massiv sein«, sagt Taylor. »Und sie werden die ärmsten und schutzlosesten Menschen am stärksten treffen.« Sie kennt die Details. Von neun Tagesstätten für Erwachsene mit Behinderung sollen vier geschlossen werden. 35 Gemeindebibliotheken gibt es derzeit in der ganzen Stadt – laut den Plänen der Lokalbehörde sollen 10 dicht machen. »Auch die meisten der sechzehn Jugendklubs, die mehrheitlich gefährdete Teenager in armen Stadtteilen unterstützen, werden wohl ihre Türen schließen müssen«, sagt Taylor. Ebenso wenig bleibt die Kultur verschont: Im kommenden Jahr soll der Etat für Kulturförderung um 50 Prozent gekürzt werden, im folgenden um 100 Prozent. Betroffen sind Institutionen wie das Birmingham Royal Ballet, das weltbekannte City of Birmingham Symphony Orchestra sowie mehrere Theater, Galerien und Tanzschulen. Sie werden bald keinen Penny mehr von den hiesigen Behörden bekommen.
Birmingham ist der spektakulärste Pleitefall in England – aber bei Weitem nicht der einzige. In den vergangenen drei Jahren haben sechs Kommunen, in Großbritannien heißen sie Local Authorities, eine »section 114 notice« herausgegeben – im Prinzip eine Bankrotterklärung. Es drohen noch viel mehr zu werden. Im Frühjahr warnte der Thinktank Local Government Information Unit, dass mehr als die Hälfte aller englischen Lokalbehörden davon ausgingen, in den kommenden fünf Jahren zahlungsunfähig zu werden.
»Es fühlt sich an, als würde man Birmingham das Herz aus dem Leib reißen.«
Kate Taylor Brum Rise Up!
Eine Reihe von Gründen haben zum Notstand beigetragen. Die hohe Inflation hat die Kosten für die Kommunen in die Höhe getrieben, zudem sind die Ausgaben für die Alterspflege gestiegen, und auch um die Folgen der grassierenden Wohnungsnot zu mildern, braucht es immer mehr Geld. Aber noch einschneidender ist ein weiterer Umstand: Die Kommunen waren in den vergangenen 14 Jahren selbst Opfer der Sparpolitik. 2010 begann die konservative Regierung von David Cameron ein drastisches Austeritätsprogramm, dessen erklärter Zweck es war, das infolge der Finanzkrise gewachsene Haushaltsdefizit zu eliminieren. Die Local Authorities waren am stärksten davon betroffen.
Um zu verstehen, warum ein von London verordnetes Sparprogramm solche gravierenden Folgen hatte, muss man sich zunächst vergegenwärtigen, wie komplett verkümmert das System der Lokalregierungen in England ist (in Schottland, Wales und Nordirland ist die Situation dank der Dezentralisierung vor 25 Jahren etwas weniger akut). Alles Wichtige wird in London entschieden; die etwa 300 englischen Kommunen werden vom Finanzministerium behandelt wie Kinder, die man widerwillig mit etwas Taschengeld versorgt. Die Verfügungsgewalt der Local Authorities, etwa über Gesundheit oder Bildung, ist sehr begrenzt, und eigene Steuern erheben können sie kaum. Für einen Großteil ihres Budgets müssen sie sich bei der Zentralregierung um Geld bewerben. 2010 machten Transfers von London mehr als 72 Prozent der gesamten Finanzmittel aus, die Birminghams City Council zur Verfügung hatte.
In den folgenden zehn Jahren kürzte London die Zahlungen an die Kommunen jedoch um durchschnittlich 40 Prozent. Im ganzen Land waren Lokalbehörden gezwungen, zu einer dicken Axt zu greifen. Sie schlossen Büchereien, Schwimmbäder und Gemeindezentren, entließen Angestellte, sparten bei der Müllabfuhr und kümmerten sich nicht mehr um Schlaglöcher in den Straßen. Obwohl die Local Authorities an allen Ecken und Enden sparten, rutschten sie immer tiefer in die finanzielle Bredouille. Im Februar kam ein Parlamentskomitee zum Schluss, dass den englischen Kommunen aufgrund von »systemischer Unterfinanzierung« insgesamt 4 Milliarden Pfund fehlten.
Kate Taylor und die Kampagne »Brum Rise up« fordern einen vorläufigen Stopp der 300-Millionen-Sparkeule. Sie stützen sich unter anderem auf einen neuen Bericht, laut dem die Kürzungen mit dubiosen Kalkulationen gerechtfertigt werden. Das Audit Reform Lab von der Universität Sheffield hat festgestellt, dass die Schulden wahrscheinlich nicht so hoch sind wie von der Stadtbehörde behauptet. Außerdem befürchtet es, dass die vorgeschlagenen Einsparungen kurzfristig zwar den Haushalt ausgleichen, langfristig könnten die vielen eingeschränkten Dienstleistungen aber hohe Folgekosten für die Kommune nach sich ziehen.
Ein pragmatischer Umgang mit den Schulden wäre es, die Kürzungen über einen längeren Zeitraum zu verteilen, sagt Taylor. Aber eigentlich geht es ihr um mehr: »Das ist nicht nur ein Problem für Birmingham, sondern für alle Lokalbehörden im Land – alle sind in der Krise. Wir fordern eine grundlegende Reform der Art und Weise, wie die Kommunen finanziert werden.« Es ist keine neue Forderung: Seit Jahrzehnten sagen Lokalpolitiker, Akademiker und ehemalige Staatsbeamte, dass das extrem zentralisierte britische System untauglich sei und reformiert werden muss. Alle Versuche einer Neuregelung scheiterten aber bislang an der Sturheit und Überheblichkeit der Zentralregierung, sagt Tony Travers, Professor an der London School of Economics und führender Experte für Lokalpolitik. »Die Regierung glaubt, dass die Kommunen unfähig sind, mit Geld umzugehen«, so Travers. »Im Finanzministerium ist man überzeugt, dass man alles am besten kann, und dass niemand sonst imstande ist, öffentliche Dienste zu verwalten – obwohl es jede Menge Beweise dafür gibt, dass das Unfug ist.«
Für Caron Hallahan und ihr Sozialprojekt in Ladywood geht es zunächst darum, die unmittelbare Krise abzuwenden. Um das Zentrum vor der Schließung zu retten, versucht sie derzeit, das Haus zusammen mit einigen anderen Organisationen über einen sogenannten Comunity Asset Transfer zu kaufen und danach selbst zu verwalten – das würde eine finanzielle Unabhängigkeit gewähren. »Ich werde immer zuversichtlich bleiben. Komm nächstes Jahr wieder vorbei! Hoffentlich sind wir dann noch immer hier. Wir werden dringend gebraucht.«
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