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  • Graphic Novel »Ahmadjan und der Wiedehopf«

Zeichnen gegen die Machtlosigkeit

In ihrem ersten Buch beschäftigt sich die Illustratorin Maren Amini mit der bewegten Lebensgeschichte ihres Vaters

  • Jan Paersch
  • Lesedauer: 6 Min.
In Aminis Zeichnungen ist stets ein Interesse an allem Menschlichen erkennbar.
In Aminis Zeichnungen ist stets ein Interesse an allem Menschlichen erkennbar.

Noch gibt es sie, diese besonderen Läden auf St. Pauli: hohe Decken, Holzdielen, die Jahrhunderte erlebt haben, an den Wänden gerahmte Zeichnungen. In der Hamburger Wohlwillstraße, zwischen Plattenläden und Café, liegt das Fritzen, ein Atelier, das sich drei Künstlerinnen teilen. Eine davon ist Maren Amini. Sie empfängt mit strahlendem Lächeln und einem Teller Gulpi Challaw in der Hand: Kohl mit Tomaten, Zwiebeln und Reis.

Während der Arbeit an ihrem Buch hat die Illustratorin einmal die Woche traditionelles afghanisches Essen besorgt. Denn an jedem Donnerstag kam ihr Vater zu Besuch, um an »Ahmadjan und der Wiedehopf« zu arbeiten, ihrer gemeinsamen Graphic Novel. Ein anspruchsvoller Comic über das Leben und die Kunst von Ahmadjan Amini. Das Porträt eines lebenshungrigen Reisenden. Und das Porträt eines Landes, das seit Jahrzehnten nicht zur Ruhe kommt.

Comics hat Maren Amini schon immer gezeichnet. Als sie 13 Jahre alt war, ahmte sie ein Hip-Hop-Graffiti nach: »Ich weiß noch genau, wie stolz ich darauf war – das ist aus meiner Hand herausgekrochen!« Der Berufswunsch steht fest: Illustratorin. Als sie 2009 ihr Studium in Kommunikationsdesign beendet, ist ihr Zeichenstil noch aufwendig und zeitintensiv. »Dann habe ich einen Workshop gemacht – und seitdem wurde es immer cartooniger«, erinnert sich Amini, hinter dem Schaufenster des Ateliers sitzend.

In Aminis Zeichnungen ist stets ein Interesse an allem Menschlichen erkennbar. Ihre Figuren haben große Nasen und kleine Münder, man sieht sie oft lachen. Zu ihren bekanntesten Arbeiten zählen Titelbilder für die »Zeit« und den »Spiegel«. Pointenreiche Arbeiten, die oft mit wenigen Strichen entstehen.

»Ich liebe Zeichnungen, die alles in einem Satz erzählen und dann ein Lachen hervorlocken. Das ist die Königsdisziplin. Wenn ich eine neue Idee habe, stelle ich die hier ins Schaufenster. Und wenn dann jemand lacht, freue ich mich total. Das ist wie Bezahlung für mich.«

Den »Schrei« von Edvard Munch hat Amini gleich mehrfach zitiert. Einmal ist die weltberühmte Figur bei der Hamburgerin eine zufrieden Meditierende, ein anderes Mal eine Frau mit Kopftuch, die die Betrachtenden anschreit. Darunter die Zeile: »15.08. – Black Day for Afghanistan«.

Am 15. August 2021 nahmen die Taliban die afghanische Hauptstadt Kabul ein. Ein Coup, der sich insbesondere für die Frauen, denen unter der Herrschaft der Islamisten kaum Rechte eingeräumt werden, wie ein Schlag ins Gesicht anfühlte. Ein Trauma für Afghanischstämmige in aller Welt. Maren Amini verarbeitet es auf künstlerische Art – indem sie die Geschichte ihres Vaters erzählt.

»Ich fühlte mich so machtlos, als die Taliban kamen«, erinnert sich Ahmadjan Amini. »Auch meine Heimatgegend war von Gewalt und Zerstörung betroffen. Ich wollte unbedingt etwas tun. Meine Idee war, alle Gräueltaten zu sammeln, die über mein Telefon gingen und sie der ganzen Welt zu zeigen.«

Ahmadjan und seine Tochter telefonieren täglich und diskutieren. Das Handy-Video-Projekt kann Maren ihm ausreden: zu brutal. Dann erinnert sich Ahmadjan an ein Märchen, das ihm sein Großvater als Kind immer erzählt hatte. Die »Konferenz der Vögel« des vor 800 Jahren verstorbenen persischen Dichters Fariduddin Attar: Eine Parabel auf eine beschwerliche Suche, eine jahrelange Reise, die mit der Erkenntnis endet, dass das gesuchte Objekt in einem selbst zu finden ist.

Ahmadjan Amini trägt Rollkragenpullover, um seine Augen bewegen sich die Lachfältchen. Er spricht mit sanftem Akzent. 1972 kam er als mittelloser Tourist erstmals nach Hamburg. Ein neugieriger Teenager, der sich stets an die Hippies hält, die er aus Kabul kannte – denn die waren immer gut drauf. Er wohnt in Studentenwohnheimen und besetzten Häusern, er besucht eine Kunstschule und verdient Geld.

»Ich habe auf Baustellen gearbeitet, in Bars und als Hafenarbeiter«, erinnert sich der Vater. »Und als Bierzapfer auf dem Dom (der Hamburger Kirmes, Anm. d. Red.)! Da habe ich Gutscheine für die Fahrgeschäfte bekommen und bin Achterbahn gefahren, bis ich nicht mehr konnte.«

Nebenbei genießt er das Leben: Er malt, feiert, hat viele Freundinnen und lebt monatelang auf Ibiza, wo er seine Pastellbilder am Strand verkauft. Doch 1978 muss Ahmadjan Deutschland verlassen: Zwangs-Militärdienst in Afghanistan.

Seine Tochter, die selbst nie in der Heimat des Vaters war, erzählt all dies mit schwungvollem Strich. Mit digitalem Pinsel am iPad, mit klaren Konturen, erweckt Maren Amini in »Ahmadjan und der Wiedehopf« auch die Zeit davor zum Leben. Das Afghanistan der 60er Jahre, in dem der Sohn eines Schafhirten im ländlichen Pandschir-Tal nördlich von Kabul aufwächst. Für die buchstäbliche Enge dieser Zeit braucht Maren nur ein Bild: ein stilisiertes Haus, das eng zwischen zwei hohen Bergen eingeklemmt ist.

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Erst im Internat in Kabul wird Ahmadjan regelmäßig satt, er verliebt sich in die Kunst und in eine Frau. Ahmadjans Englischlehrerin stellt Maren Amini als Nachtigall dar, sie ist eine von 30 Vögeln, die die Graphic Novel bewohnen. Im Original des Dichters Attar durchqueren die Vögel sieben Täler, auf der Suche nach dem Simurgh, dem König der Vögel. Angelehnt an die Fabel hat die Tochter für ihr Buch das Leben des Vaters in sieben Phasen eingeteilt.

»In beiden Geschichten geht es um eine innere Reise«, kommentiert Maren Amini. »Jemand, der ein Einzelkämpfer ist, erkennt, dass er nur als Teil der Schar bestehen kann. Es geht um eine Wandlung, und ums Kümmern.«

Im vierten Tal, dem vierten Teil, wird Ahmadjan von seinem Militärdienst freigestellt. Die Russen hatten die Macht in Kabul übernommen, der nicht einmal 30-Jährige verlässt das Land mit dem ersten Flugzeug. In Deutschland wird er als Geflüchteter anerkannt und bald muss er sich tatsächlich kümmern: 1981 wird seine erste Tochter in Hamburg geboren. Die Mutter ist die Bademeisterin Renate, die er beim täglichen Frühschwimmen getroffen hatte. 1983 kommt das nächste Kind auf die Welt: Maren.

»Wir haben immer viel zusammen gemalt«, erinnert sich die Illustratorin an ihre Kindheit. »Ich habe ihm meine Schmetterlingszeichnungen gezeigt und er sagte: ›Du wirst noch eine große Künstlerin.‹ Dann habe ich nie etwas anderes werden wollen.«

»Ahmadjan und der Wiedehopf« ist Maren Aminis erstes Buch, erschienen beim renommierten Carlsen Verlag, der Heimat von »Tim und Struppi«. Nicht immer kann man den vielen Protagonisten auf den 240 Seiten leicht folgen. Und war Nationalikone Ahmad Schah Massoud, dem Ahmadjan Amini später Geld für einen Brückenbau nach Afghanistan brachte, tatsächlich nur der gütige Kriegsheld, als den ihn Maren Amini darstellt? Doch mit solchen komplexen politischen Fragen hält sich die Zeichnerin nicht auf. Ihre Stärke sind die poetischen Bilder, die sie für wichtige Marken im Leben ihres Vaters findet, etwa wenn der als Kind im Internat vom mächtigen Simurgh träumt, der als weißer Umriss über eine Doppelseite fliegt. Oder der riesige schwebende Stein, der für die Depressionen steht, die den von Schuldgefühlen geplagten Ahmadjan in Hamburg überkommen, während seine Heimat von den Taliban terrorisiert wird.

Maren Amini ist ein farbenfrohes, einfallsreiches und oft amüsantes Porträt gelungen – gleichzeitig eine Liebeserklärung an die Kunst und an ihren lebenslustigen Vater. Ein »Stehaufmännchen« sei der, so die Künstlerin: »Das habe ich von ihm geerbt.« Ahmadjan Amini muss nicht lange nachdenken, fragt man ihn nach den Ursprüngen seines unerschütterlichen Optimismus: »Ich kam als 12-Jähriger ins Internat, war dort ganz allein. Ich musste mich in verschiedenen Situationen durchsetzen, und ich habe nebenbei gearbeitet. Das Leben hat so viel bereitgehalten. Und ich bin einfach reingeschwommen.«

Maren Amini: Ahmadjan und der Wiedehopf. Carlsen Verlag, 240 S., br., 26 €.

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