- Politik
- Debatte um das Grundeinkommen
Leidenschaftlicher Streit um ein fernes Ziel
Linke-Parteitag votiert gegen Verankerung einer bedingungslosen Geldleistung für alle im Programm
Die Linke sollte die Forderung nach einem sogenannten emanzipatorischen Bedingungslosen Grundeinkommen (eBGE) als Position der Gesamtpartei in ihr Parteiprogramm aufnehmen. Damit hätte sie einen Mitgliederentscheid umsetzen sollen, dessen Votum im September 2022 eindeutig ausgefallen war: 56,6 Prozent der Teilnehmenden stimmten dafür.
Deshalb hatte der Parteivorstand den Auftrag, auf dem Bundesparteitag einen entsprechenden Formulierungsvorschlag vorzulegen. Das schaffte das Gremium zur Tagung am Wochenende. Den Antrag lehnten die Delegierten indes am Sonntag nach erneuter leidenschaftlicher Debatte mit deutlicher Mehrheit ab. Es bleibt also bei den bisherigen Formulierungen im Grundsatzprogramm von 2011.
Die Linke wird also darin weiter ein »Arbeitslosengeld, das sich am vergangenen Einkommen orientiert, mindestens aber eine bedarfsdeckende und sanktionsfreie Mindestsicherung« fordern. Letztere, so heißt es in den aktuellen Konzepten der Partei, soll auch »einkommens- und vermögensgeprüft« sein. Derzeit tritt die Partei dafür ein, dass diese Mindestsicherung für Transferleistungsbezieher wie Rentner 1250 Euro netto für Alleinstehende betragen soll.
An den Absatz dazu und zur Kindergrundsicherung schließt sich im Programm folgender Satz an: »Teile der Linken vertreten darüber hinaus das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens, um das Recht auf eine gesicherte Existenz und gesellschaftliche Teilhabe jedes Einzelnen von der Erwerbsarbeit zu entkoppeln.«
Dabei wird es vorerst bleiben. In der BAG sorgte die scharfe Agitation mancher Genoss*innen ebenso für Frust wie die Tatsache, dass es einen Gegenantrag gab, unter anderem eingereicht von Matthias W. Birkwald, Rentenexperte der Linken im Bundestag. Der trug den Titel: »Die Linke sagt ›Nein Danke!‹ zum Bedingungslosen Grundeinkommen«.
Was aber wollten die Verfechter des BGE? Kein neoliberales Modell des Grundeinkommens selbstverständlich, das eher der Ruhigstellung armer Menschen dienen soll und letztlich eine Subvention von Niedriglöhnen darstellt. Die Linke-BAG tritt für ein Modell ein, das erklärtermaßen gesellschaftliche Teilhabe aller und freie Wahl des persönlichen Lebenswegs ermöglichen soll. Zugleich beinhaltet es komplexe Beschreibungen der Voraussetzungen, die geschaffen werden müssen, damit es funktioniert. Unter anderem sollen sie durch höhere Besteuerung Superreicher finanziert werden, also für eine Umverteilung nach unten sorgen.
In der Debatte verwiesen etliche Delegierte auf die geringe Beteiligung am Mitgliederentscheid vor zwei Jahren, die bei nur 33 Prozent lag. Eine Aktive der BAG verwies demgegenüber darauf, dass das nötige Quorum erreicht war und dass die Ergebnisse nach gängigen wissenschaftlichen Kriterien repräsentativ sind. Das linke BGE hat innerhalb wie außerhalb der Partei prominente Fürsprecher. Dazu gehören die frühere Ko-Vorsitzende Katja Kipping, die Bundestagsabgeordnete Petra Pau, die langjährige Anti-Hartz-IV-Aktivistin Inge Hannemann sowie der Kabarettist Christoph Sieber und die Autorin Emilia Roig.
Erschwerend für die Befürworter: Bereits am Abend vor der Abstimmung hatte sich Gregor Gysi gegen das BGE positioniert und es als ungerecht bezeichnet, da im Alter eine Arbeiterin nach 45 Arbeitsjahren ebenso viel Geld erhalten würde wie jemand, der nur sieben Jahre erwerbstätig war. Das, so betonten Vertreter der BAG, sei unwahr. Es sei im Konzept nachlesbar, dass erworbene Rentenansprüche nicht gekürzt werden sollen.
Gegner des BGE wie die Bundestagsabgeordnete Susanne Ferschl betonten demgegenüber, die Orientierung darauf würde »unsere Vorschläge zu Kindergrundsicherung, zu existenzsicherndem Bafög« und vielem mehr »torpedieren«. Auch Kämpfe um mehr Lohn und gute Arbeit würden dadurch geschwächt. Nicole Gohlke, ebenfalls Bundestagsabgeordnete, warnte, »inmitten des Rechtsrucks« werde ein Grundeinkommen letztlich »ein Programm zur Einführung eines Kombilohns und zur Schleifung von Sozialleistungen« werden.
Die neue Ko-Vorsitzende der Partei, Ines Schwerdtner, reihte sich ebenfalls in die Phalanx der Gegner ein. Was wirklich gebraucht werde, sei »eine Umverteilung von Arbeit und Arbeitszeit«, sagte sie. Der nächste Bundestagswahlkampf werde zudem die härtesten Angriffe auf den Sozialstaat seit langem mit sich bringen. »Wir schießen uns selbst ins Bein, wenn wir unsere Konzepte für Kindergrundsicherung und solidarische Mindestsicherung nicht geeint vertreten«, so Schwerdnter.
Zugleich versprach sie, der neue Vorstand werde die Debatte um das BGE »weiter kultiviert und ordentlich führen und den Mitgliederentscheid ernst zu nehmen«, sofern der Antrag dafür keine Mehrheit bekomme.
Marina Martin, eine der Sprecherinnen der BAG, zeigte sich empört über die Aushebelung demokratischer Prozesse durch die Debatte. Schließlich sei der vorliegende Vorstandsantrag bereits ein Kompromiss, der »auf die Bedenken der Gegner*innen« eingegangen sei. Martin wies auf einen weiteren Punkt hin: Die bisherigen Sozialleistungen Bürgergeld und Grundsicherung im Alter würden von 40 bzw. 60 Prozent der Berechtigten nicht in Anspruch genommen, aus Stolz oder Scham. Da werde auch eine sanktionsfreie, aber bedarfsgeprüfte Mindestsicherung nicht abhelfen.
Der Delegierte Christian Gabriel, Befürworter des BGE, ließ seinem Frust freien Lauf und erging sich in Beschimpfungen unter anderem der neuen, »ins Amt protegierten« Vorsitzenden. Davon distanzierten sich zwei Vertreterin der BAG in einer persönlichen Erklärung. Gabriel selbst bat anschließend öffentlich um Verzeihung, auch für seinen nicht mit der BAG abgestimmten Redebeitrag. Marina Martin erklärte, die Debatte zum Thema müsse nun gleichwohl »auf inhaltlicher Ebene weiter geführt werden – mit Respekt und Offenheit«.
Einer der langjährigen Sprecher der BAG, Jörg Reiners, erklärte derweil noch am Sonntag seinen Austritt aus der Partei. Die Abstimmung des Parteitags sei »ein Tiefschlag« zu viel.
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