Fairer Handel statt Kolonialwaren

Der Inhaber des »Schwarzenbach« in Zürich setzt auf gute Bezahlung seiner Handelspartner

  • Michael Marek und Saskia Guntermann
  • Lesedauer: 9 Min.
Seit 1910 prägt das »Schwarzenbach« das Bild der Züricher Münstergasse.
Seit 1910 prägt das »Schwarzenbach« das Bild der Züricher Münstergasse.

Die Altstadt von Zürich: Neben dem romanischen Großmünster finden sich mittelalterliche Zunfthäuser und Brunnen. Hier, in der Münstergasse 17–19, duftet es schon von außen. »Colonialwaren H. Schwarzenbach« steht in goldenen Lettern auf dem schlichten schwarzen Schild über dem Eingang. »Wir verkaufen alles, was kulinarisch interessant ist«, sagt Heini Schwarzenbach, der das traditionsreiche Spezialitätengeschäft in der fünften Generation führt. Und das sind vor allem Gewürze, getrocknete Früchte, Kaffee und Tee.

Von außen springt sofort ins Auge, was Genuss verspricht: kunstvoll dekorierte Schaufenster mit erlesenen Leckereien in Gläsern, Schalen und Flaschen. Es leuchtet in Magenta, Dunkelorange, strahlendem Gelb. Doch das »Schwarzenbach« ist kein Geschäft für Malerei- und Bastelbedarf, sondern das letzte seiner Art in der Schweiz.

Drinnen ist das Geschäft zum Teil noch immer mit dem historischen Interieur der Gründerzeit ausgestattet. Die Verkaufstheke stammt aus den 1910er Jahren und erinnert an eine alte Apothekeneinrichtung. Dazu Wandgestelle und Plakate, die Salze und Schokoladen aus entlegenen Gegenden der Welt anpreisen. In den Holzschubladen und -regalen, die bis unter die Decke reichen, lagern sorgsam aneinandergereiht die verschiedensten Teesorten aus Südostasien.

In Vitrinen liegen in Körben exotische wie heimische Dörrfrüchte: chinesische Goji-Beeren, Himbeeren aus Polen und philippinische Bananenchips. Dazu tasmanische Pfefferblätter, venezolanische Tonkabohnen und kongolesisches Sandelholzpulver. Ein Besuch im »Schwarzenbach« gleicht einer Zeitreise in die Vergangenheit. Das gehört zum Konzept und ist zugleich Erfolgsrezept von Heini Schwarzenbach. »Wir haben zwischen 2000 und 2500 Produkte im Sortiment. Im Winter ist es ein bisschen mehr, weil da mehr gekocht wird, im Sommer etwas weniger.«

Ein Stück Weltgeschichte

Der Duft von Spezereien aus aller Welt liegt in der Luft. Die Palette der Gewürze ist gewaltig. Allein 25 verschiedene Pfeffersorten kann man hier kaufen. In der Antike waren Chili, Ingwer, Muskat oder Safran so wertvoll wie Gold und Edelsteine. Auch deshalb gingen Abenteurer wie Christoph Kolumbus, Ferdinand Magellan und Marco Polo auf Entdeckungsreise. Er sei auf der Suche nach »Christen und Gewürzen«, soll Vasco da Gama Ende des 15. Jahrhunderts dem Herrscher der südindischen Hafenstadt Kalikut mitgeteilt haben.

Schiffsrouten wurden eigens für den Transport von Gewürzen erkundet, Kriege um sie geführt. Der Handel damit sei das zweitälteste Gewerbe der Welt, sagt Schwarzenbach. »Mein Urgroßvater hat noch Äpfel verkauft, Kartoffeln, Eier. Zu den Kolonialwaren gehörten damals noch Südfrüchte, also frische Orangen und Zitronen.«

1864 wurde das Geschäft eröffnet, zuerst in St. Gallen. Dort verkaufte der Nudelfabrikant Heinrich Schwarzenbach Teigwaren, Eier, Gewürze und Kaffee. Über die Jahrzehnte hinweg vergrößerte sich das Sortiment. Die Familie siedelte nach Zürich über und legte 1910 den Grundstein für das heutige »Schwarzenbach« in der Münstergasse. Während die Waren von europäischen Handelsgesellschaften geliefert wurden, lebten die Arbeiter und Arbeiterinnen in den Überseekolonien meist unter menschenunwürdigen Bedingungen.

Die Kolonialmächte verklärten die weit entfernten Kaffee-, Tee- und Gewürzanbaugebiete zu reizvollen Sehnsuchtsorten mit exotischen Produkten und nie gesehenen Früchten, resümiert Manda Beck. »Kolonialismus ist ein gesamteuropäisches Projekt, bei dem Europa seine Vorherrschaft über weite Teile der Welt durchgesetzt hat. Die Schweiz war daran beteiligt, und das mit Kolonialwaren, mit Missionen, Handel und der Industrie.« Die Historikerin hat die Ausstellung »Blinde Flecken. Zürich und der Kolonialismus« kuratiert.

So investierte die Zürich im Jahr 1730 in die britische Seehandelsgesellschaft South Sea Company, die wiederum Sklavenschiffe finanzierte. Im Rahmen des Dreieckshandels zwischen Europa, Afrika und Amerika war die Stadt laut einer Studie der Universität Zürich an der Verschleppung von 36 494 Menschen aus Afrika beteiligt.

Schweiz profitierte vom Kolonialismus

Schon seit 1928 betreiben die Schwarzenbachs auch eine eigene Kaffeerösterei.
Schon seit 1928 betreiben die Schwarzenbachs auch eine eigene Kaffeerösterei.

Auch die Familie Schwarzenbach profitierte von den Gewalt- und Machtstrukturen und vom Verkauf der begehrten Waren. 1928 kam eine eigene Kaffeerösterei hinzu, 2021 ein Verkaufsraum mit 350 bis 380 Kakaoprodukten und Schokoladen aus über 40 Ländern.

Nach der Entkolonialisierung blieben zwischen den ehemaligen Kolonien und deren Mutterländern wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen bestehen. Zwar hat die kleine Schweiz nie Kolonien besessen. Doch zumindest indirekt nahm auch sie am Prozess der europäischen Expansion teil – durch ein funktionierendes System der Auswanderung, der Missionierung und des Außenhandels. »Da die Schweiz als Staat selbst über keine Kolonien verfügte, geschah das alles netzwerkartig über Privatpersonen und einzelne Institutionen«, sagt Manda Beck.

Bis heute rühmt sich die Schweiz als Schokoladennation. Kakao aber wird in afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern angebaut und geerntet. Der Kakaobaum stammt ursprünglich aus Mittel- und Südamerika, wo er lange vor der europäischen Kolonialisierung kultiviert wurde. Erst Ende des 19. Jahrhunderts – als das Luxusgetränk in Europa an Beliebtheit gewann – brachten Europäer ihn nach Westafrika. Und so wurde im Rahmen des kolonialen Handels die Milchschokolade zum Schweizer Vorzeigeprodukt.

»In Westafrika wurde der Kakao unter menschenunwürdigen Bedingungen teilweise von versklavten Menschen auf Plantagen angebaut«, sagt Beck. Schweizer Unternehmer seien von Anfang an stark an Kakaoproduktion und -handel beteiligt gewesen. »Zum Beispiel war die Handelsgesellschaft der Basler Mission, die auch Verbindungen zu Hamburg hat, sehr bemüht um die Verbreitung der Kakaoproduktion in der britischen Kolonie Goldküste, dem heutigen Ghana. Sie war einer der Hauptexporteure von Kakao.« Vielen Schweizern sei nicht bewusst, dass die Kakaoproduktion bis heute mit Kinderarbeit, Abholzungen und Mangelernährung einhergeht.

»Schwarzenbach«-Inhaber Heini Schwarzenbach betont, er lege Wert darauf, dass die von ihm verkauften Spezialitäten fair gehandelt sind und dass Produzierende gute Arbeitsbedingungen haben. Die Waren, die er anbietet, stammen meist aus Schwellenländern; bei der Herstellung werden nach seinen Angaben soziale, ökologische und ökonomische Kriterien eingehalten.

Zwar hat die Schweiz nie Kolonien besessen. Doch sie profitierte vom Kolonialismus durch Netzwerke von Privatpersonen und über Institutionen, insbesondere durch den Kakaohandel.

Er wolle auch im Ursprungsland etwas bewirken, betont der 57-Jährige. Im direkten Austausch mit den Kakaobauern lerne er das Produkt kennen und könne einen angemessenen Preis für die höhere Qualität und den Mehraufwand bezahlen. Je mehr Zwischenhändler involviert seien, desto weniger Geld bleibe bei den Produzentinnen und Produzenten. »Wir verdienen am Produkt. Aber es soll auch sein, dass der Produzent selber, der die meiste Arbeit leistet, am meisten Know-how bringt für das Produkt, davon leben und sich entwickeln kann«, sagt Schwarzenbach.

Die Preise in seinem Geschäft sind nichts für Knauserige. 100 Gramm Schokolade kosten im Durchschnitt 7,90 Franken (8,45 Euro) – bei besonderen Sorten deutlich mehr. Dafür beraten die Verkäuferinnen ausführlich, informieren und geben Tipps beim Verkosten, etwa mit Wein zusammen. Gerade in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung will die Kundschaft mehr über Herkunft und Entstehung der Lebensmittel wissen – Stammkunden aus der Altstadt ebenso wie Zürcher Gourmets, Studierende oder Touristen.

Der Blick auf das Produkt und dessen Verarbeitung habe sich geändert, sagt Heini Schwarzenbach. Vieles von der Handarbeit, die bei der Röstung und Verpackung der Waren in Zürich geschieht, ist bis heute erhalten geblieben. Die Mischung aus Tradition und neuen Werten spiegelt sich auch in der Entwicklung des Sortiments wider. Schwarzenbach zeigt stolz das neue Bio-Zertifikat. »Vor einem Jahr haben wir komplett auf Bio umgestellt, nicht nur auf ein paar wenige Produkte.« Das sei kein einfaches Unterfangen gewesen, weil die gesetzlichen Anforderungen für die Lebensmittelqualität in der Schweiz sehr hoch seien.

Abschied vom alten Etikett

Das Online-Geschäft trage zu 20 bis 25 Prozent zum Umsatz des Familienbetriebes bei, sagt Heini Schwarzenbach, das sei schon vor der Covid-19-Pandemie so gewesen. So können Gourmets auch außerhalb der Schweiz erwerben, was das Herz begehrt: Annapurna-Curry, indische Garam-Masala-Mischung, gelbe Chili vom Amazonas, ägyptische Fenchelsamen, grünen Madagaskar-Pfeffer, schwarze Kichererbsen aus Italien oder Ackerbohnenmehl aus dem Albulatal in Graubünden. Dazu Reis und Linsen in den unterschiedlichsten Farben.

Exotik und Nostalgie gehören zum Geschäft, gleichwohl verbindet sich mit dem Etikett Kolonialwaren ein dunkles Kapitel europäischer Expansionsgeschichte – mit dem Ergebnis, dass vor einigen Jahren der Name »Colonialwaren« in »Genusswaren« geändert wurde. »Wir haben immer darüber diskutiert: Ist der Name richtig? Und er war über die Jahrzehnte auch richtig.« Dann habe es ein Umdenken in der Gesellschaft gegeben. »Wir wurden darauf angesprochen; ich habe das Gespräch immer wieder gesucht und gesagt: Das, was wir machen, das ist ja nicht mehr eine Ausbeutung ehemaliger Kolonien, sondern eine sehr tolle Zusammenarbeit!«

Sogenannte Kolonialwarenläden wie das »Schwarzenbach« wurden meist im 19. Jahrhundert gegründet. In einer rasant wachsenden Zahl von Einzelhandelsgeschäften wurden zu erschwinglichen Preisen Zucker, Kaffee und Schokolade verkauft, deren Rohstoffe vor allem aus europäischen Übersee-Kolonien stammten.

Manda Beck hat im Rahmen der Erarbeitung der Kolonialismus-Ausstellung herausgefunden, dass es Kolonialwarenläden in der Schweiz nicht nur in den Städten, sondern auch auf dem Land gab. Oft seien Kaffee, Tee, Gewürze und Südfrüchte aber auch Teil des Sortiments von Lebensmittelgeschäften gewesen.

Verdrängt durch die Supermärkte

Besonders in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es eine wahre Blüte für diese Läden. Im 20. Jahrhundert kam für viele das Aus. Der Einzelhandel entwickelte sich in den 70er Jahren hin zur Selbstbedienung und zum Supermarkt. Spätestens seit Beginn des 21. Jahrhunderts kritisierten postkoloniale Initiativen solche Läden. Allzu oft sei der Name gedankenlos übernommen worden, obwohl klassische Kolonialwaren wie Kaffee, Kakao, Tabak, Tee oder Baumwolle unter grausamen Bedingungen hergestellt wurden. Menschen mussten die Produkte in Sklaven- und Zwangsarbeit anbauen, pflegen und ernten.

Den Grund und Boden der Plantagen hatten sich europäische Siedler auch aus Zürich angeeignet und der einheimischen Bevölkerung geraubt, die meist keinen oder nur einen sehr geringen Lohn erhielt. »Wir wurden vor allem von sehr jungen Personen angesprochen und zum Teil auch verurteilt«, erzählt Schwarzenbach. Im Gespräch habe sich das immer etwas relativiert. »Aber es war absolut richtig, den Namen anzupassen.«

Andere Traditionsbetriebe wie Bäcker, Schlachter, Gemüse- und Obsthändler sind aus der Münstergasse längst verschwunden. Nur durch Spezialisierung auf erlesene Lebens- und Genussmittel habe sein Geschäft überleben können, sagt Schwarzenbach. Auch deswegen sei er oft in fremden Ländern unterwegs – immer auf der Suche nach neuen Produkten.

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