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Rundfunkreform: Klasse statt Masse?
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wird mit einer Neuerung des Medienstaatsvertrags beschnitten und weiter digitalisiert
Die Zeiten, in denen die ganze Familie vor dem Fernseher bei »Wetten dass…?« mitfieberte, sind vorbei. Das belegt etwa die »ARD/ZDF-Medienstudie«, die in diesem Mai veröffentlicht wurde und die aus den bis dahin getrennt durchgeführten jährlichen Studien beider Sender hervorgeht. 120 Minuten täglich verbringt derzeit der durchschnittliche Bundesbürger vor dem Flimmerkasten. Zum Vergleich: Im Jahr 2000 waren es noch 185. Gegenwärtig sehen 73 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal wöchentlich »linear«, das heißt in Echtzeit, fern. Zwar sind das immer noch mehr Menschen als diejenigen, die mindestens einmal wöchentlich Streaming-Dienste wie Netflix und Prime oder auch die Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender nutzen – und der Konsum linearen Fernsehens ist in den letzten Jahren nicht mehr wesentlich gesunken –, doch gerade bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen haben sogenannte »zeitsouveräne« Angebote, vor allem Streaming-Dienste, dem Fernsehen längst den Rang abgelaufen. Das Fernsehpublikum wird demnach im Schnitt immer älter und bildet immer weniger die Gesamtbevölkerung ab. Auch die Nutzung von klassischem Hörfunk ist rückläufig – auch wenn dieser immer noch in allen Altersgruppen verbreiteter ist als Musik-Streaming-Dienste, Youtube oder Podcasts.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) muss sich also etwas einfallen lassen, um die Jüngeren nicht zu verlieren. Zudem hat er vor allem während der Corona-Pandemie in manchen Teilen der Bevölkerung an Glaubwürdigkeit und Akzeptanz eingebüßt. Es verbreiteten sich Verschwörungsideologeme und das Narrativ, »die da oben« würden nur sogenannte »Fake News« senden, um ihre Macht zu erhalten. Mit der wachsenden Skepsis in diesen Teilen der Bevölkerung gegenüber ÖRR-Inhalten geriet auch der Rundfunkbeitrag, den in Deutschland jeder zahlen muss – egal, ob er oder sie das Angebot des ÖRR nutzt oder nicht – zunehmend in die Kritik. Die Inflation, die die Reallöhne sinken ließ, befeuerte diese Tendenz. Menschen, die im Internet auch zahlreiche kostenlose Angebote nutzen können, ist eine Abgabe für den ÖRR immer schwieriger zu vermitteln.
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Geholfen hat da der 2022 publik gewordene Skandal um Patricia Schlesinger nicht gerade: Der Ex-Intendantin des RBB wird vorgeworfen, auf Kosten der Gebührenzahler Vetternwirtschaft und Vorteilsnahme in großem Stil betrieben zu haben. Der Fall war Wasser auf den Mühlen der ÖRR-Kritiker. Trotzdem, das zeigt eine in diesem Jahr veröffentlichte Langzeitstudie der Uni Mainz, ist das Vertrauen der Gesamtbevölkerung in die Öffentlich-Rechtlichen nach wie vor hoch. 64 Prozent der Befragten gaben 2023 an, den ÖRR als »sehr/eher vertrauenswürdig« zu bewerten. Das sind zwar fünf Prozentpunkte weniger als noch 2016, aber immerhin zwei Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. Aber: Zwölf Prozent beurteilten den ÖRR »überhaupt nicht/eher nicht vertrauenswürdig« – 2016 waren es noch fünf Prozent.
Die fünfte Reform
Wie kann sich der ÖRR vor diesem Hintergrund an die sich wandelnde Medienlandschaft anpassen und seinem Auftrag, »die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen«, weiter nachkommen? Darüber diskutierten in dieser Woche von Mittwoch bis Freitag die 16 Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Bundesländer auf ihrer Konferenz (MPK) in Leipzig. Grundlage war der Entwurf einer Neuerung des 2020 erlassenen Medienstaatsvertrags. Er ist der Nachfolger des Rundfunkstaatsvertrags – der Titel soll der gesellschaftlichen Bewegung hin zu digitalen, interaktiven und nicht-linearen Medienangeboten Rechnung tragen – und wird wie schon jener laufend überarbeitet.
In den vier Jahren seines Bestehens ist die nun von der MPK beschlossene Reform bereits die fünfte. Am Freitagmittag fasste Alexander Schweitzer, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz (SPD), auf einer Pressekonferenz der MPK kurz die wesentlichen Neuerungen zusammen, auf die sich die Länderchefs und -chefinnen geeinigt haben. Dabei betonte er zuallererst, dass es allen Teilnehmenden wichtig gewesen sei, den ÖRR »zu erhalten und auch in Zukunft zu gestalten« – vor allem in Anbetracht der Marktmacht chinesischer und US-amerikanischer Streaming-Anbieter. Es solle jedoch auch das duale System zwischen ÖRR und privaten deutschen Anbietern in seiner derzeitigen Form erhalten bleiben.
Auf der Agenda der Ministerpräsidenten und -präsidentinnen hatten zahlreiche unterschiedliche Punkte gestanden. Einer etwa war die feste Verankerung eines »Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit« im Vertrag. Um zu verhindern, dass öffentliche Gelder missbraucht oder falsch eingesetzt werden, sollen dem Dokument zufolge regelmäßig Wirtschaftlichkeitsprüfungen durchgeführt werden. Der zuständigen Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) soll es ermöglicht werden, finanz- bzw. beitragsrelevante Vorgänge und Projekte zu überprüfen. Außerdem schreibt der neue Vertrag vor, die außertarifliche Vergütung – zum Beispiel für Intendanten oder Programmdirektoren – »auf das unbedingt erforderliche Maß« zu beschränken. Die Gehälter dieser Spitzenverdiener sollen sich an Bezügen im öffentlichen Sektor und vergleichbarer öffentlicher Unternehmen orientieren. Auf der Pressekonferenz äußerte sich Schweitzer nicht zu diesen Punkten.
Hingegen gab es bereits klare Informationen zur künftigen Programmgestaltung. Massiv eingespart werden soll vor allem im Bereich der Schwerpunktangebote. Insgesamt sollen 17 Hörfunkkanäle und drei oder vier Fernsehsender eingestampft werden. Gegen die Schließung des Kultursenders 3sat, der teilweise oder vollständig in das Programm von Arte überführt werden soll, hatte es bereits am Mittwoch Protest gegeben. Eine Petition mit dem Titel »Rettet 3Sat! Rettet unsere Kultur!« mit prominenten Unterzeichner*innen wie den Regisseuren Wim Wenders und Volker Schlöndorff sowie den Schriftstellerinnen Elke Heidenreich und Sybille Berg war vor dem Tagungsgebäude an die Ministerpräsidentenkonferenz übergeben worden. Knapp 150 000 Unterschriften waren zusammengekommen. Geholfen haben sie offenbar nicht. Perspektivisch solle, so Schweitzer, eine »europäische Kulturplattform« geschaffen werden, die aus dem »schon heute bekannten Angebot von Arte und auch möglicherweise 3Sat« bestehe. Sprich: Zwei Sender werden zu einem gemacht.
Außerdem sollen die vier linearen Spartenkanäle aus dem Bereich »Bildung, Information und Dokumentation« – tagesschau24, Phoenix, ARD-alpha und ZDFinfo – auf ein oder zwei Angebote reduziert werden; die derzeit vier Angebote aus dem »Bereich Kinder, Jugendliche und jüngere Erwachsene« – KiKa, funk, ZDFneo und ARDone – auf drei. Jüngere Erwachsene sollen sich dabei dem Vertrag zufolge eher im Hauptprogramm statt in eigens für sie entwickelten Formaten wiederfinden.
Auch gegen diese Kürzungen hatte es zuvor großen Protest gegeben. Die Kampagnenorganisation Campact hatte eine Unterschriftenaktion gestartet; bis Redaktionsschluss kamen gut eine halbe Millionen Unterschriften zusammen. Unabhängige Berichterstattung sei, so die Initiatoren auf ihrer Website, in Zeiten von erstarkendem Rechtspopulismus wichtiger denn je. Mit den geplanten Beschlüssen sei diese gefährdet. Die Ministerpräsidenten sehen das offenbar anders. Zwar handele es sich um eine quantitative Begrenzung des Angebots, so Schweitzer, doch die Qualität solle steigen. »Klasse statt Masse« sei das Credo.
Und was ist mit den Sportübertragungen, einem für den ÖRR sehr teuren Unterfangen? Bisher haben die Sender selbst entschieden, wieviel sie dafür ausgeben. Das waren sowohl bei der ARD als auch beim ZDF dreistellige Millionenbeträge jährlich. Die beschlossene Novelle des Staatsvertrages sieht nun vor, dass »die für Sportereignisse aufgewendeten Mittel ein angemessenes Verhältnis zum Gesamtprogrammaufwand nicht überschreiten« dürfen. Das sollen fünf Prozent der Gesamtkosten sein, so Schweitzer auf der Pressekonferenz. Außerdem soll der Sport dem Vertrag zufolge in seiner Breite abgebildet werden – und damit Sportarten, die kommerziell weniger gut vermarktet werden als etwa Fußball, mehr Sendezeit bekommen. Insgesamt soll die Sportberichterstattung nicht ausgeweitet werden.
Streit über Texte im Internet
Eine von Vertretern des ÖRR scharf kritisierte geplante Novelle war die zu Pressetexten auf den Portalen der Öffentlich-Rechtlichen. Laut Medienstaatsvertrag ist sogenannte »Presseähnlichkeit« den Medien des ÖRR verboten, weil sie damit in einen unfairen Wettbewerb mit der freien Presse treten würden. Der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) kritisiert seit Jahren, dass das trotzdem geschieht. Nun soll es laut der geplanten Neuerung schärfere und verbindliche Regelungen geben. Texte auf Seiten wie tagesschau.de und sportschau.de dürfen dem Vertrag zufolge nur noch »sendungsbegleitend« veröffentlicht werden. Das heißt: Erst wenn im Fernsehen oder Radio über ein Thema berichtet wurde, sollen dazu Texte auf den Portalen des ÖRR erscheinen. Vertreter des ÖRR hatten sich dagegen positioniert, unter anderem mit dem Argument, dass Texte eine schnellere Information der Nutzer gewährleisten könnten. Auditive und visuelle Formate müssten oft aufwendiger produziert werden. Wenn der ÖRR keine Texte veröffentlichen dürfe, könne er seinem Auftrag der Information und Bildung nicht angemessen nachkommen. Schweitzer sagte nun auf der MPK, dass ein »guter Kompromiss gefunden« worden sei. Die Rede war von einer »Positivliste«, mit deren Hilfe »sehr viel möglich« sein solle, ohne dass private Medienanbieter Konkurrenz erführen. Was das konkret heißt, erläuterte er nicht.
Im Vorhinein ebenfalls heftig diskutiert worden war über eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags. Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) hatte eine Erhöhung um 58 Cent auf 18,94 Euro pro Monat empfohlen. Ein Vorschlag, der in Sachsen-Anhalt und Bayern auf starken Widerstand gestoßen war. Auf der Pressekonferenz gab Schweitzer nun bekannt, dass keine Beschlüsse zum Rundfunkbetrag gefasst worden seien – das Thema solle auf der nächsten MPK im Dezember weiter diskutiert werden.
Vergleichsweise unstrittig scheint der Teil des Medienstaatsvertrags zu sein, der auf eine Anpassung des ÖRR auf die zeitgenössische Mediennutzung abzielt. In Zukunft soll es der Novelle zufolge mehr Formate geben, die »Interaktion und Partizipation leben« – sei es bei der Auswahl von Themen und Programmen, sei es innerhalb der Debatten, die im ÖRR geführt werden. Der »Publikumsdialog« solle gestärkt werden, so auch Schweitzer. Dies soll laut Vertrag auch mittels technischer Neuerungen geschehen. Auch Videospiele oder Chatrooms sollen auf den Portalen des ÖRR künftig potentiell nutzbar sein – sofern sie der Erfüllung des Auftrags dienen.
Wie der neue Medienstaatsvertrag en detail aussieht, das heißt welche der vielen Reformparagraphen nun in welcher Form angenommen wurden, war bis Redaktionsschluss nicht zu erfahren. Insgesamt scheinen viele Pläne, die der Entwurf enthält, von den Ministerpräsidentinnen und- präsidenten bestätigt worden zu sein. Damit der neue Vertrag ab Sommer 2025 in Kraft treten kann, müssen noch alle Landtage zustimmen.
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