Spanisches Linksbündnis Sumar in Existenzkrise

Feministischer Juniorpartner der Regierung wird vom Rücktritt seines Sprechers Errejón wegen Vorwürfen sexuellen Missbrauchs schwer getroffen

  • Ralf Streck, San Sebastián
  • Lesedauer: 4 Min.
Iñigo Errejón, der Sprecher von Sumar im Kongress, auf dem Weg aus einer Plenarsitzung, im Abgeordnetenhaus, am 22. Oktober 2024, in Madrid. Vorwürfe sexueller Übergriffe, die er eingeräumt hat, haben ihn zum Rücktritt von all seinen Ämtern gezwungen.
Iñigo Errejón, der Sprecher von Sumar im Kongress, auf dem Weg aus einer Plenarsitzung, im Abgeordnetenhaus, am 22. Oktober 2024, in Madrid. Vorwürfe sexueller Übergriffe, die er eingeräumt hat, haben ihn zum Rücktritt von all seinen Ämtern gezwungen.

Das spanische Linksbündnis »Sumar« (Summieren) versteht sich als »feministisches« Projekt. Die Vorwürfe wegen sexueller Übergriffe gegen Frauen durch den Fraktionssprecher Iñigo Errejón treffen die Formation daher ins Mark. Nach dem Rücktritt der Parteigründerin Yolanda Díaz im Juni wegen Wahlschlappen hat sich mit dem Rücktritt von Errejón die Lage nun zur existenziellen Krise verschärft. Das Linksbündnis ist im Schockzustand. Die Details, die seither ein immer deutlicheres Bild über ihn und die Partei zeichnen, sind verstörend und zerstören weiter massiv das Vertrauen in Sumar, das erst im Mai 2023 gegründet wurde.

Errejón war ein »Star« der Formation, die als Juniorpartner der sozialdemokratischen PSOE in der Minderheitsregierung von Pedro Sánchez fungiert. Dessen ohnehin wackelige Regierung gerät nun noch stärker ins Wanken. Errejón, einst Mitgründer der Linkspartei »Podemos« (Wir können es), hatte sich mit seinem ehemaligen Freund Pablo Iglesias überworfen, und Podemos wurde auf seine Initiative aus Sumar ausgegrenzt.

Viele aus dem Umfeld wussten Bescheid

Errejón musste nun abtreten, nachdem die linke und feministische Journalistin Cristina Fallarás auf Instagram zunächst anonyme Missbrauchsvorwürfe gegen ihn publiziert hatte. Errejón hat in einer Stellungnahme gegenüber seiner Formation längst »moralisch verwerfliche« Handlungen eingeräumt, die strafrechtlich irrelevant seien. Das sehen Juristen anders, vor allem seitdem die Schauspielerin Elisa Mouliáa aus der Anonymität trat und Anzeige erstattet hat. Ermittlungen wurden eingeleitet. Mouliáa beschreibt einen Vorgang, den man Vergewaltigungsversuch nennen kann. Errejón habe sie bei einer Party 2021 »stark« am Arm gepackt und »gewaltsam etwa sechs Meter einen Flur entlang in ein Zimmer gezerrt«. Er habe die Tür verriegelt, »damit ich nicht fliehen kann«, ihr Küsse aufgezwungen, sie abgeleckt, sie dann »auf das Bett gestoßen und seinen Penis aus der Hose geholt.«

Fallarás berichtet, nun gut ein Dutzend weitere Berichte von Frauen zu haben. Aus der Anonymität ist derweil auch Aida Nízar getreten, die Errejón als »niederträchtiges Subjekt« bezeichnet, der sie auf einer Party schon vor »acht oder neun Jahren« begrabscht habe. Viele aus seinem politischen Umfeld hätten das mitbekommen und geschwiegen, erklärt die TV-Mitarbeiterin. Dass im Linksbündnis Sumar niemand etwas gewusst haben will, glauben Außenstehende nicht. Doch erst am vergangenen Dienstag wurde mit einer parteiinternen Untersuchung begonnen.

Viel war längst bekannt. So hatte das Festival »Tremenda FemFest« in Castellón schon im Juni 2023 eine Stellungnahme veröffentlicht, dass Errejón Frauen begrabscht habe. Das hatte eine Betroffene auch auf X anonym veröffentlicht. Eine Freundin von Errejón ist in dem Fall als Vermittlerin aufgetreten, die frühere Kabinettschefin Loreto Arenillas. Sie wurde dafür nun von ihrer eigenen Partei »Más Madrid« (Mehr Madrid) geschasst, die Errejón mitgegründet hatte. Arenillas wehrt sich: Sie sei der »Sündenbock« und habe niemals »sexuelle Belästigung oder Gewalt vertuscht«. Sie war zum Zeitpunkt der Vorgänge nicht mehr Kabinettschefin. Zudem habe sie die verantwortliche Parteisprecherin Manuela Bergerot darüber informiert. Die habe es nicht für angebracht gehalten, etwas gegen den Parteigründer zu unternehmen.

Angesichts der Aussagen von Arenillas klingen »Solidaritätsbekundungen« aus den Reihen von Sumar und Más Madrid mit den von sexuellen Übergriffen betroffenen Frauen hohl. Das gilt auch für die Selbstkritik, wonach es Fehler bei den »Mechanismen zur Prävention und Feststellung« von Übergriffen gegeben habe. Der Parteisprecher Ernest Urtasun bat außerdem um »Entschuldigung«. Man werde »notwendige Schritte« einleiten, damit sich so etwas nicht mehr ereignen könne. Allerdings hat Urtasun, der Sumar seit dem Abtritt von Parteigründerin Yolanda Díaz praktisch führt, Nachfragen nicht beantwortet, ob man die Vorgänge vor eineinhalb Jahren auf dem Festival gekannt habe.

Schwerer Vertrauensverlust für Sumar

Das Vertrauen in das »feministische Projekt«, das Díaz schaffen wollte, ist zerstört. Feministische Gruppen zeigen sich wenig erstaunt: Der Fall von Herr »Superfeminist und linker Verbündeter« erinnert die »Stiftung Junger Frauen« an das, was sie bereits gewusst habe: »Politische Räume, wie links sie auch sein mögen, reproduzieren die patriarchalen Logiken, die in allen Bereichen unserer Gesellschaft vorherrschen.« Unter dem »Banner der Gleichheit« würden nun die gleichen wie stets zuvor geschützt, resümieren sie mit Blick auf den Fall Errejón.

Ausgestanden ist nichts. Fallarás erklärt, auch Aussagen zu Vorgängen in anderen Parteien zu haben. Weit muss man nicht blicken. Beim sozialdemokratischen Partner hat Elisa Abril, ehemaliges Führungsmitglied der Partei-Jugendorganisation, sexuelle Belästigung durch einen sozialdemokratischen Gemeinderat zunächst intern und dann über die Justiz angezeigt. Sie wurde »freundlich« von ihrer Partei aufgefordert, die Anzeige zurückzunehmen, um dieser »keinen Schaden« zuzufügen. »Rate mal, wer nicht tätig wurde«, fragt sie den Parteichef und Ministerpräsident Sánchez auf X. Der Gemeinderat wurde schließlich zu einer Geldstrafe verurteilt.

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