NS-Regisseurin Riefenstahl und die unheilvolle Welt der Effekte

Dokumentarfilmer Andres Veiel will mit seiner Doku über Leni Riefenstahl deren Selbstbild als unpolitische Regisseurin zerstören

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 7 Min.
Leni Riefenstahl zeigte sich vom »Führer« fasziniert, war bereit, ihm überall hin zu folgen, auch ins Verderben.
Leni Riefenstahl zeigte sich vom »Führer« fasziniert, war bereit, ihm überall hin zu folgen, auch ins Verderben.

Es ist ein merkwürdiger Effekt zu beobachten. Er macht sich auch in Andres Veiels Dokumentation »Riefenstahl« bemerkbar: Einerseits verurteilt man Leni Riefenstahl moralisch heutzutage viel schärfer für ihre persönliche Verstrickung in die NS-Herrschaft als noch vor Jahren und Jahrzehnten und widerlegt auch die von ihr selbst bis zu ihrem Tod gesponnene Legende, sie sei als Filmemacherin durch und durch unpolitisch gewesen.

Andererseits erleben wir gerade – eher stillschweigend – die Renaissance ihrer Ästhetik mit. Denn Riefenstahl, durch deren Filme sich von Anfang bis Ende das Prinzip Körperkult zieht, hat – nachdem ihr »Führer« Adolf Hitler tot war, dem sie mit ihrem Nürnberger Reichsparteitagsfilm »Triumph des Willens« von 1934 gehuldigt hatte – immer neue Idole gefunden, die sie mit ihren Filmen und Fotos verherrlichte. In einer Zeit, da mit Werbung, die mit ikonografischen Bildern operiert, Millionenumsätze gemacht werden, in der man »Stars« allein durch die Art, wie man sie fotografiert, erschafft, sogar ganze künstliche Bilderwelten inszeniert – da sollte man sehr grundsätzlich auf die von Riefenstahl perfektionierte Botschaft der Bilder blicken.

Gerade in den USA war (und ist) Riefenstahl zur Zeit der Pop-Kultur wieder gefragt. 1974 ließen sich Mick und Bianca Jagger für eine Serie in der »Sunday Times« von ihr fotografieren, Andy Warhol wollte sie treffen und der amerikanische Regisseur Quentin Tarantino sagte dem »Spiegel« ganz ohne jeden Vorbehalt: »Sie war die beste Regisseurin, die jemals lebte. Um das zu erkennen, muss man nur ihre Olympia-Filme ansehen.«

Leider setzt sich Veiel mit dieser Ästhetik des fatal schönen Scheins nicht auseinander. Er will vor allem Riefenstahls Selbstbild als unpolitische Regisseurin zerstören, sie als Lügnerin »enttarnen« (als hätte sie das nicht selbst immer wieder getan). Sie habe Hitler bewundert und sein »Mein Kampf« mit Begeisterung gelesen – dafür durchforscht er 700 Kisten Nachlass, beauftragt von der Produzentin des Films, Sandra Maischberger, von der es zum 100. Geburtstag der Regisseurin ein langes, Riefenstahls letztes Fernsehinterview gibt. Eine Neuigkeit ist das also nicht.

Ihren Nachlass vermachte Riefenstahl der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, und dort steht er seit dem Tod ihres Lebenspartners 2016 der Forschung offen. Viele Film- und Talk-Show-Schnipsel, von Riefenstahl selbst mitgeschnittene Telefonate, Notizen, Briefe, Prozessakten finden sich dort – aber Veiel hatte den Eindruck, dass dieser Nachlass sehr gründlich »vorsortiert« worden war. Tatsächlich hatte Riefenstahl in ihrem Kontrollwahn versucht, selbst zu bestimmen, was über sie erinnert und was vergessen werden soll. So etwas weckt immer detektivische Instinkte, so auch bei Veiel. Hat dieser dem Film gut getan oder eher nicht? Mit seinem Künstlerfilm »Beuys« war es Veiel 2017 gelungen, uns den – so nur aus der Kriegs- und Nachkriegsgeschichte verstehbaren – künstlerischen Ansatz von Joseph Beuys nahezubringen.

In »Riefenstahl« aber bringt er nichts nahe – was wohl auch daran liegt, dass Leni Riefenstahl als Person eher uninteressant ist. Denn es gibt bei ihr keine Reflexionsräume, kein Nachdenken oder Zögern, bloß immer eine schwer erträgliche Selbstgerechtigkeit. Sie zeigte sich – darin vielen anderen Deutschen gleich – vom »Führer« fasziniert, war bereit, ihm überall hin zu folgen, auch ins Verderben. Und später konnte sie sich daran nicht mehr erinnern.

Doch Veiels Entlarvungsansatz greift zu kurz, gerade wenn man Bücher wie »Riefenstahl – Eine deutsche Karriere« (2002) von Jürgen Trimborn zur Hand nimmt, in dem sich all dies bereits in sehr viel systematischerer Form als in der überaus sprunghaften von Veiel dargelegt findet.

Riefenstahl arbeitete als Filmemacherin mit raffinierten Bildmontagen, überraschenden Schnitten, revolutionierte dabei die Filmtechnik radikal – aber das ganz im Sinne ihrer Auftraggeber Hitler und der NSDAP. Als Mensch war sie durch zwei Eigenschaften geprägt: einen unmäßigen Ehrgeiz einerseits und politischen Opportunismus andererseits. Mit »Triumph des Willens« und den beiden Olympia-Filmen »Fest der Völker« und »Fest der Schönheit« verschaffte sie dem NS-Regime im In- und Ausland ein positives Image. Darüber empfand sie später niemals Reue. Sie habe immer versucht, das, was sie tun musste, perfekt zu machen. Wenn sie später zu ihrer Verteidigung sagte, sie hätte diese Filme, wenn sie den Auftrag und die Mittel dazu erhalten hätte, auch für die USA, die Sowjetunion oder andere gedreht, dann ist das nicht ganz falsch. Denn eine Fanatikerin war sie nicht (nicht einmal Mitglied der NSDAP), sondern eine Opportunistin, die ihre Fähigkeiten jedem anbot, der dafür zahlte.

Riefenstahl hatte in ihrem Kontrollwahn versucht, selbst zu bestimmen, was über sie erinnert und was vergessen werden soll.

Hitler faszinierte sie 1932 mit einer Rede, die sie im Berliner Sportpalast hörte, so sehr, dass sie am ganzen Körper gezittert habe – und Hitler hinterher in einem Brief bat, ihn persönlich kennenlernen zu dürfen. Daraus resultierten dann zahlreiche Treffen – aber immer ging es der Riefenstahl vor allem darum, sich Aufträge zu sichern. Freundschaften, mit wem auch immer, pflegte sie eher nicht, ihr war alles Geschäftsbeziehung. Die anderen, das blieben für sie immer die Konkurrenten, gegen die sie sich durchzusetzen versuchte. Auch das ist eine Konstante in ihrem Leben.

Schlechte Kritiken verzieh sie nie. Auch jene nicht zu »Der heilige Berg«, einem Stummfilm von 1926 in der Regie von Arnold Fanck, der sie mit seinen »Bergfilmen« als Schauspielerin berühmt gemacht hatte. Auch ihn ließ sie dann – wie jeden, den sie nicht mehr brauchte – emotionslos zurück, als sie 1933 begann, für die Nationalsozialisten Filme zu machen. Über »Der heilige Berg« hatte 1927 der Filmkritiker Siegfried Kracauer in der »Frankfurter Zeitung« eine vernichtende Kritik geschrieben: »Dieser von Dr. Arnold Fanck in anderthalb Jahren geschaffene Film ist eine gigantische Komposition aus Körperkultfantasien, Sonnentrottelei und kosmischem Geschwöge.«

Frauen, die rücksichtslos ihren Weg gehen, sind natürlich keineswegs sympathischer als Männer, die Gleiches tun. Béla Balázs, der ungarische Filmtheoretiker, Kommunist und Jude, hatte an Riefenstahls erstem eigenen Film von 1932, »Das blaue Licht«, als Autor und Co-Regisseur mitgewirkt. In Deutschland floppte der Film und verschwand schnell aus den Kinos. Balázs musste bald darauf, ohne sein Honorar erhalten zu haben, aus Deutschland in die sowjetische Emigration flüchten. Als Riefenstahl 1938 im NS-Staat als Regisseurin etabliert war, lief auch »Das blaue Licht« erneut im Kino – der Name Balázs aber war aus dem Vorspann verschwunden.

Es ist nicht bekannt, dass Riefenstahl sich jemals für verfolgte Kollegen eingesetzt hätte (anders als etwa der ebenfalls ins NS-Regime verstrickte Gustaf Gründgens, der immer wieder Bittbriefe für andere schrieb). Als ihr Kameramann Willy Zielke, der den »Prolog« zu den Olympia-Filmen gedreht hatte, kurz darauf vor Erschöpfung zusammenbrach und in die Psychiatrie kam, wurde er dort als psychisch Kranker sterilisiert – ohne dass seine Regisseurin, die sich auf dem Laufenden halten ließ, eingriff. Nein, für andere rührte sie keinen Finger.

Aber die Gewalt mitanzuschauen, die ihre Gönner Hitler und Goebbels in die Welt gebracht hatten, hielt sie dann doch nicht aus. Beim Überfall auf Polen 1939 war sie mit einer Kamera-Crew dabei, musste aber abbrechen, als sie die von deutschen Soldaten begangenen Gräuel erlebte. Sie wurde Zeugin einer Erschießung von Juden in Konskie am 12. September – von ihrer Fassungslosigkeit gibt es Fotos. Aber sie selbst habe mit diesen Verbrechen, so wird sie später immer sagen, nichts zu tun gehabt. Stattdessen telefonierte sie mit dem 1966 aus der Haft entlassenen Albert Speer (Hitlers Architekt und Rüstungsminister) regelmäßig. Denn dessen »Erinnerungen« waren ein Welterfolg geworden. Was er denn für Auftritte nehme, wollte sie von ihm wissen. Beide waren aus dem gleichen Stoff gemacht: keine Fanatiker, aber sich jedem andienend, der ihre Talente zu nutzen versprach.

Ja, es ist unerquicklich, daran ändert auch nichts, dass sie im Alter regelmäßig die Nuba im Sudan besuchte und sich von den großen muskulösen Männern fasziniert zeigte – und natürlich einen effektvollen Bildband mit ihren Fotos daraus machte. Die Welt der Effekte, das war ihre – und diese lebt auch nach Riefenstahls Tod 2003 im Alter von 101 Jahren auf unheilvolle Weise fort.

»Riefenstahl«: Deutschland 2024. Regie und Buch: Andres Veiel. 115 Min. Jetzt im Kino.

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