Falsche Botschaft

Die Praxis pränataler Bluttests suggeriert, dass Behinderung unerwünscht ist

  • Jonte Lindemann
  • Lesedauer: 5 Min.
Werden seit 2022 unter bestimmten Voraussetzungen durch die Krankenkassen übernommen: pränatale Bluttests auf Trisomie 13, 18 und 21.
Werden seit 2022 unter bestimmten Voraussetzungen durch die Krankenkassen übernommen: pränatale Bluttests auf Trisomie 13, 18 und 21.

Am 9. Oktober stand die Frage nach den Auswirkungen der Kassenzulassung des Bluttests auf Trisomie 13, 18 und 21 auf der Tagesordnung des Gesundheitsausschusses im Bundestag – und mit ihr auch die Debatte darum, welchen Umgang unsere Gesellschaft mit Behinderung und den Möglichkeiten der Pränataldiagnostik findet.

Beim sogenannten nichtinvasiven Pränataltest (NIPT) wird die DNA des Fötus aus dem Blut der schwangeren Person gefiltert und auf die Trisomien 21, 18 und 13 untersucht. Er kann ab der zehnten Schwangerschaftswoche angewandt werden. Je seltener eine Abweichung insgesamt ist, desto häufiger ist die Wahrscheinlichkeit eines falsch-positiven Ergebnisses. Bei Trisomie 21 (auch Down-Syndrom genannt) ist etwa jedes dritte auffällige NIPT-Ergebnis falsch. Für ein aussagekräftiges Ergebnis wird dann eine invasive Abklärung benötigt.

Der NIPT wird häufig vor allem als Suche nach Trisomie 21 begriffen, da die Trisomien 13 und 18 per Ultraschalluntersuchung leichter zu erkennen sind. Einen therapeutischen Nutzen bietet der Test nicht – Trisomie 21 ist weder eine Krankheit, noch ist sie behandelbar. Das Ergebnis stellt Schwangere lediglich vor die Entscheidung, ob sie den Fötus weiter austragen wollen. Tatsächlich waren Lebenserwartung und -chancen von Menschen mit Trisomie 21 noch nie so hoch wie derzeit – zugleich breitet sich eine Praxis aus, die auf die Vermeidung ihrer Geburt zielt.

Die Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses für das Gesundheitswesen (G-BA), mit der der NIPT im Juli 2022 zur Kassenleistung wurde, stellt insofern ein Novum dar: Hier übernimmt die Solidargemeinschaft eine Untersuchung ohne medizinischen Nutzen. In der Entscheidungsfindung und auch während der Bundestagsdebatte waren damals zwei Punkte dauerpräsent: Die Kostenübernahme sollte die Zahl invasiver Untersuchungen senken, die das Risiko eines vorzeitigen Abgangs des Fötus bergen. Und der NIPT sollte nicht zu einem Massenscreening auf das Down-Syndrom werden.

Der G-BA wies wiederholt daraufhin, dass seine Aufgabe lediglich in der medizinischen Prüfung des Tests liege – um die gesellschaftlichen Auswirkungen abzuschätzen, brauche es ein anderes Verfahren. Der unabhängige Vorsitzende des G-BA, Josef Hecken, sah hier einen klaren Handlungsauftrag für die Politik, insbesondere angesichts der Möglichkeiten einer Ausweitung des Testspektrums auf andere genetische Abweichungen.

Die Übernahme des NIPT durch die Krankenkassen könnte somit einen folgenreichen Präzedenzfall geschaffen haben. Umso verwunderlicher ist, dass die Politik darauf verzichtet hat, die Umsetzung wissenschaftlich zu begleiten. Ob der NIPT nicht doch als Massenscreening genutzt wird – dazu werden schlicht keine flächendeckenden Daten erhoben. Behindertenverbände und Organisationen der Elternselbsthilfe hatten wiederholt darauf hingewiesen, dass die Kassenfinanzierung eine normative Botschaft sende. Schwangere würden den Test als Regelleistung verstehen. Was dabei immer mitschwinge: Behinderung gilt als unerwünscht.

Auf Initiative der Bremischen Bürgerschaft wurde im vergangenen Jahr ein Bundesratsbeschluss gefasst, der die Regierung auffordert, ein entsprechendes Monitoring zur Inanspruchnahme des NIPT, der Beratungspraxis sowie zu den sozialen Auswirkungen zu veranlassen und ein Gremium einzurichten, das neben den medizinischen Aspekten auch ethische Fragen und gesellschaftliche Folgen prüft.

Dies wurde an den Gesundheitsausschuss überwiesen, der nun, über ein Jahr nach der Entschließung des Bundesrats, eine öffentliche Anhörung durchführte. Die Mehrheit der 16 Geladenen, einschließlich G-BA-Vertreter Hecken, sprach sich für das Monitoring aus. Eine Entwicklung in eine Richtung, in der es nur noch junge, gesunde Menschen geben soll, dürfe es in einer Gesellschaft, in der er leben wolle, auf keinen Fall geben. Was wir als Gesellschaft wollten, könne nicht der G-BA entscheiden.

Im Verlauf wurden viele Leerstellen beim Umgang mit dem NIPT deutlich. Tatsächlich deuten die Abrechnungsdaten der Krankenkassen darauf hin, dass er deutlich häufiger eingesetzt wird als beabsichtigt. Durchschnittlich 77 Prozent der Schwangeren haben den Test während der ersten fünf Quartale seit der Kassenzulassung genutzt. Dies dürfte auch an den schwammigen Mutterschaftsrichtlinien liegen. Der Test wird übernommen, »wenn er geboten ist, um der Schwangeren eine Auseinandersetzung mit ihrer individuellen Situation hinsichtlich des Vorliegens einer Trisomie im Rahmen der ärztlichen Begleitung zu ermöglichen«.

Zwischen dem gesetzlichen Anspruch an ärztliche Aufklärung und der tatsächlichen Praxis scheint eine große Lücke zu klaffen. So erklärte Jana Schmidtke in ihrem Sachverständigenbericht vor dem Gesundheitsausschuss, sie habe in der gynäkologischen Praxis lediglich einen Flyer von der Sprechstundenhilfe erhalten.

Dass die Testpraxis bereits Auswirkungen auf behinderte Menschen und ihre Familien hat, bestätigten sowohl Schauspielerin und Aktivistin Carina Kühne, die selbst das Down-Syndrom hat, als auch Tina Sander, Vertreterin des Elternvereins Mittendrin. Kühne betonte, es mache sie traurig, »überall zu hören, nicht gewollt zu sein«. Sander führte aus, wie der NIPT werdende Eltern unter Druck setze, ein nicht behindertes Kind zur Welt bringen zu müssen: »Ich glaube, Sie können sich vorstellen, wie verletzend es ist, wenn man beim Sandkuchenbacken das Lebensrecht des Menschen in Frage stellen muss, den man am meisten auf dieser Welt liebt.«

Deutlich wurde laut Sander in dieser Anhörung, »wie unterschiedlich die Medizin auf der einen Seite und die Betroffenen-Vertreter*innen, die Disability Studies und die psychosoziale Beratung auf der anderen Seite das Thema betrachten.« Pränatalmediziner Wolfgang Henrich behauptete gar, er glaube nicht, dass Schwangere sich von der Gesellschaft beeinflussen ließen, sie selbst hätten »Angst vor einem erkrankten Kind«. Hier offenbart sich auch ein Verständnis von Behinderung, das im medizinischen Modell verhaftet bleibt und die gesellschaftlichen Bedingungen außer Acht lässt – entgegen der UN-Behindertenrechtskonvention, die Deutschland ratifiziert hat und eine Abkehr von dieser defizitorientierten Sichtweise fordert.

Am 8. November berät der Bundestag über einen interfraktionellen Antrag, der ebenfalls die Einrichtung eines Monitorings und eines Gremiums zur Zulassung pränataler Tests fordert. Sollte dieser angenommen werden, könnten bald belastbare Daten eine Grundlage für eine nachzuholende Debatte über die Folgen dieser Tests bieten – und über unser Bild von und den Umgang mit Behinderung.

Jonte Lindemann ist Referent*in für Medizin beim Gen-ethischen Netzwerk e.V.

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