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Initiative: »Volkswagen ist dysfunktional aufgestellt«
Tobi Rosswog von der Initiative »VW heißt Verkehrswende« über das widerständige Potenzial in Wolfsburg
Sie sind Teil des Bündnisses »VW heißt Verkehrswende«. Wie entstand es in Wolfsburg?
Wir sind im August 2022 mit einer Handvoll kreativer Aktivist*innen nach Wolfsburg gegangen, weil genau hier am VW-Stammsitz, also in der Höhle des Löwen der Automobilindustrie, der richtige Ort ist, um das Thema Verkehrswende zu setzen und klar zu kommunizieren: Wir möchten kein zweites Detroit. Wir brauchen den Umbau der Automobilindustrie. Wir brauchen die Kolleg*innen, um Dinge zu produzieren, die wir als Gesellschaft wirklich brauchen. Dafür haben wir mitten in Wolfsburg das offene Projekthaus AMSEL 44 initiiert, um uns gemeinsam zu organisieren.
Gab es Unterstützung von VW-Arbeiter*innen und Gewerkschafter*innen?
Unbedingt. Und anders wäre es auch nicht gegangen. Es ist das eine, als Aktivist*innen von außen radikale Kritik zu äußern und eine Prise Utopie hineinzubringen, das Undenkbare denkbar werden zu lassen. Aber richtig wirksam wird der Aktivismus erst gemeinsam mit kämpferischen Kolleg*innen, die den Betrieb seit Jahrzehnten kennen und die deutlich ernster genommen werden. Gemeinsam haben wir über 100 bunte, kreative, subversive, disruptive und spektakuläre Aktionen gemacht, um zu intervenieren und den automobilen Konsens Stück für Stück aufzubrechen.
Aktuell ist viel von der VW-Krise und Werksschließungen die Rede. Welche Lösungen gäbe es, die sowohl die soziale Frage als auch die Umwelt berücksichtigen?
Ohne die Verbindung der sozialen mit der ökologischen Frage und umgekehrt geht es ohnehin nicht. Damit es hier kein zweites Detroit gibt, braucht es Konversion – den Umbau der Automobil- hin zur Mobilitätsindustrie, also weg vom Auto hin zu Bussen, Bahnen und Lastenrädern – und Vergesellschaftung. Das bedeutet: die Fabriken denen, die darin arbeiten.
Tobi Rosswog ist Mitglied der Initiative »VW heißt Verkehrswende«.
Haben Sie den Eindruck, dass diese Überlegungen in die aktuelle Diskussion über die Perspektive von VW einfließen?
Wir haben immer für ein Change-by-Design (Veränderung durch Gestaltung, d. Red.) geworben und gefordert, den Konzern jetzt auf die Zeit nach dem Auto vorzubereiten. Durch die aktuelle Krise ist für alle offensichtlich, wie dysfunktional VW aufgestellt ist. Den Mitarbeitenden wurde jahrzehntelang eingetrichtert, dass ein Mann an der Spitze alle Weisheit in sich trägt, um über 600 000 Menschen auf die Zukunft auszurichten. Wenn sich herausstellt, dass das doch nicht der Fall ist, wird er einfach ausgetauscht und die Hoffnung auf den nächsten gesetzt. Aber absolutistische, oder sollten wir sagen monotheistische, Systeme waren noch nie gut darin, das Wissen und das Gespür einer großen Gruppe von Individuen zu aktivieren.
Kann die aktuelle Krise auch hinderlich für eine ökosoziale Perspektive sein?
Krisen sind erstmal durchaus Möglichkeitsfenster für Veränderung. Aktuell gibt es zwei Optionen: Die reaktionäre Perspektive heißt, Panzer zu bauen, die emanzipatorische Perspektive lautet, zukunftsfähige Produkte zu bauen, die wirklich gebraucht werden. Dazu gehören Bahnen statt Autos.
Wie greifen Sie in die aktuelle Debatte ein?
Wir sind eng mit Kolleg*innen verbunden. Wir bekommen die Stimmung aus den unterschiedlichen Werken mit und kooperieren auch mit Kolleg*innen in der Mobilitätsindustrie, um Kämpfe zu verbinden. Passenderweise sind wir gerade mit dem Doku-Film »Verkehrswendestadt Wolfsburg – den automobilen Konsens aufbrechen« auf Tour und sprechen an über 100 Orten mit Aktivist*innen, Arbeitenden, Gewerkschaftler*innen und Forschenden über die Themen. Dabei entstehen oft spannende Impulse. Auch gibt es immer wieder Austausch mit den verschiedenen kleinen Banden, die sich tollerweise an verschiedenen VW-Standorten bilden.
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