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Brüchige Bilder auf dem DOK Leipzig
Das Internationale Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm (DOK Leipzig) fragte in diesem Jahr auch nach der eigenen Geschichte
»Es interessiert mich nicht die Bohne, was ihr da in Leipzig macht«, habe Hartmut Bitomsky gesagt. So erinnerte sich der Filmpublizist und Kurator Ralph Eue auf dem diesjährigen DOK Leipzig. Eue hatte den Regisseur überzeugen wollen, zur Vorführung seines Films »Staub« (2007) persönlich zu erscheinen, doch der habe damals dankend abgelehnt. Insgesamt sei das Interesse der marxistischen Filmemacher aus der BRD – zu denen Bitomsky zählt – am Osten und den dort bestehenden realsozialistischen Verhältnissen nicht besonders groß gewesen, meint Eue. Ein Phänomen, das offenbar auch noch nach 1990 Bestand hatte. Zumindest zu DDR-Zeiten hatte die Ignoranz auf Gegenseitigkeit beruht: Man hatte sich größtenteils nicht um die Genossen aus dem Westen bemüht. Waren sie zu nonkonform, zu sarkastisch und analytisch zu radikal gewesen, wie es das diesjährige DOK-Programmheft nahelegt? Jedenfalls schienen sie eher unerwünscht zu sein.
Mittlerweile sind schon einige Filme von Bitomsky und auch Harun Farocki in Leipzig gelaufen – aber Nachholbedarf gibt es offenbar noch immer. Im Rahmen der Retrospektive »Dritte Wege in der zweigeteilten Welt. Utopien und Unterwanderungen« kam es nun zur Premiere ihres gemeinsamen Werks »Eine Sache, die sich versteht (15x)« (1971). Ästhetisch ein wenig aus der Zeit gefallen, doch grundsätzlich immer noch sehr einleuchtend ist dieser Lehrfilm, der Grundbegriffe aus Karl Marx‘ »Kapital« anschaulich vermittelt. Mit der Reihe, in der er gezeigt wurde, arbeitete das DOK Leipzig auch seine eigene Geschichte auf: Welche Filme wurden hier während der DDR-Zeit vorgeführt – und welche nicht? Was waren die politischen Gründe dafür? Auch für die anderen an diesem Abend gezeigten Filme, gedreht von Želimir Žilnik, Krzysztof Kieślowski und John Smith, war es die Leipziger Premiere.
Internationaler Wettbewerb Dokumentarfilm
Goldene Taube Langfilm: »La Jetée, the Fifth Shot« (Dominique Cabrera | FR 2024)
Goldene Taube Kurzfilm: »Being John Smith« (John Smith | GB 2024)
Silberne Taube Langfilm: »Twice into Oblivion« (Pierre Michel Jean | FR, HT, DO 2024)
Silberne Taube Kurzfilm: »What Goes Up« (Samar Al Summary | SA, US 2024)
Internationaler Wettbewerb Animationsfilm
Goldene Taube Langfilm: »Pelikan Blue« (László Csáki | HU 2024)
Goldene Taube Kurzfilm: »On Weary Wings Go By” (Anu-Laura Tuttelberg | EE, LT 2024)
Deutscher Wettbewerb Dokumentarfilm
Goldene Taube Langfilm: »Tarantism Revisited« (Anja Dreschke, Michaela Schäuble | DE, CH 2024)
Goldene Taube Kurzfilm: »Der König von Spanien« (Leonard Volkmer | DE 2024)
Publikumswettbewerb
Goldene Taube: »Once upon a Time in a Forest« (Virpi Suutari, FI 2024)
Einer, der umgekehrt nicht aus dem Osten in den Westen wollte, war Thomas Heise. Das DOK Leipzig hatte in diesem Jahr einen Erinnerungsabend für den Regisseur, der Ende Mai nach kurzer schwerer Krankheit in Berlin verstorben war, organisiert. Seine Verbindung zum Festival war eng gewesen: Zwölf von Heises Filmen waren in verschiedenen Sektionen gezeigt worden. Nun kamen Freunde und Weggefährten zusammen, um ihn und sein Werk aus verschiedenen Perspektiven zu umkreisen. Unter anderem waren auch Filmaufnahmen zu sehen, in denen Heise über sich und seine Arbeit spricht. Viele Filmemacher aus der DDR seien in der Umbruchzeit kurz nach dem Mauerfall in den Westen gegangen, erzählt er, und auch er hätte dort leicht Anschluss finden können, aber: »Wartet nur ab, habe ich gesagt, das wird hier noch das spannendste Land der Welt«. Heise blieb – und schuf etwa die »Neustadt-Trilogie« – drei Filme, die zwischen 1992 und 2007 das Leben mehrerer Familien in Halle-Neustadt dokumentieren, oder »Material« (2009), einen Film, in dem sich Fragmente, die von den frühen 80ern bis zur damaligen Gegenwart gedreht wurden, zu einem Mosaik über die soziale und gesellschaftliche Realität der (ehemaligen) DDR zusammenfügen.
Heise wurde aufgrund dieser und anderer Werke oft als Chronist des Ostens beschrieben. Doch seine künstlerische Tätigkeit und sein Interesse, das wird auch an diesem Abend deutlich, gingen weit über diese Rolle hinaus. Überall sah er Anknüpfungspunkte, überall konnte etwas erzählt werden.
Bernhard Sallmann, ebenfalls Dokumentarfilmer, hob hervor, dass Heises Bilder oft imperfekt seien – etwas, das viele Regisseure loszuwerden trachteten. Thomas Heise hingegen zeigte auch brüchige, fragile, poröse Aufnahmen – weil er verstand, dass sie einer Wirklichkeit entnommen waren, die auch an sich brüchig, fragil und porös war. Es war das Abgelegte, Abseitige, Unfertige, das ihn interessierte. Ersichtlich wird das auch am Film »Barluschke« (1997), der in seinem Erscheinungsjahr beim DOK Leipzig mit der Silbernen Taube einen der Hauptpreise gewann und nun als einer von fünf Heise-Filmen noch einmal gezeigt wurde. Heise porträtiert darin den Stasi- und späteren BND-Agenten Bertolt Barluschke und wird dabei selbst mit dessen Ablenkungsmanövern konfrontiert. Am Ende wird der Zuschauerin klar, dass ihr Barluschke, obwohl sie ihm eine ganze Weile zugehört hat, ein Rätsel geblieben ist.
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Wie komplex die Wirklichkeit ist und dass die Bilder, die wir sehen, uns niemals alles vermitteln können, war auch Thema des 34-minütigen Films »We Had Fun Yesterday« (2024), der in der Sektion »Internationaler Wettbewerb Dokumentarfilm« lief. Die französische Regisseurin Marion Guillard ist ausgebildete Tierfilmerin. Auch »We Had Fun Yesterday« enthält Landschafts- und Tieraufnahmen, doch die Stimme Guillards, die sich darüberlegt, erzählt von etwas anderem: vom Verhältnis der Regisseurin zu ihrer Familie, zu ihrem Körper und ihrer Sexualität. Sie sei als Teenager bulimisch gewesen, sagt Guillard etwas lakonisch – das betreffe sowohl die »McChicken«-Sandwiches von McDonald’s als auch Tier- und Landschaftsaufnahmen, die sie en masse anfertigte. Wir sehen Aufnahmen von einem USA-Trip, den Guillard damals einmal mit ihrer Familie machte. Die Kamera richtet sich auf alles, was gemeinhin als sehens- und filmenswert gilt: den Grand Canyon, Wälder, Abendhimmel, ein Eichhörnchen. Doch Guillards im Nachhinein zugefügte Stimme verrät uns: Emotional berührt hat sie keine dieser Aufnahmen. Außer dieser einen, die zufällig entstand: Guillard filmte im Auto sitzend einen auf der Fensterscheibe krabbelnden Käfer, dahinter zieht die Szenerie des Nationalparks vorbei. Früher, erzählt Guillard, habe sie Imperfektion verabscheut – digitale Bilder etwa, die sich aufgrund von Alterungsprozessen selbst zersetzten, hätten ihr Angst gemacht. Heute findet sie sie schön. Es ist erstaunlich, wie dieser Film es schafft, seelische Vorgänge und Gedanken und den nach außen gerichteten Blick der Kamera miteinander zu verknüpfen. Letztlich wirft er viele Fragen auf: Was ist Natur, und inwiefern ist unser Blick auf sie nicht immer schon von Kultur geprägt? Wie beherrschen wir die Natur, sowohl die äußere als auch die in uns?
Einen Preis für Guillards Film gab es nicht – den gewannen in diesem Jahr andere Filme (s. Kasten). Die Goldene Taube für den besten internationalen Dokumentarfilm etwa wurde der französischen Regisseurin Dominique Cabrera für ihren Film »La Jetée, the Fifth Shot« (2024) verliehen. Cabrera stellt darin den berühmten, aus Standbildern bestehenden Sci-Fi-Kurzfilm »La Jetée« (1962) von Chris Marker in seinen historischen Zusammenhang, der auch ihre eigene Familiengeschichte berührt. Es ist ein Film darüber, wie Bilder entstehen und was hinter ihnen liegt – und als solcher ist er wohl repräsentativ für das gesamte Festival.
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