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GEAS-Reform: Recht auf Asyl bald Makulatur
Noch am Tag des Ampel-Bruchs beschloss das Kabinett den deutschen Rahmen für EU-Asylrechtsverschärfung
Als Olaf Scholz am späten Mittwochabend das Ende der Ampel verkündete, hob er noch einmal die gemeinsamen Errungenschaften der Koalition von SPD, Grünen und FDP hervor. An erster Stelle nannte er die »Erfolge« bei der Bekämpfung der »irregulären Migration«. Also das jüngst durch den Bundestag gebrachte »Asyl- und Sicherheitspaket« wie auch zuvor das »Rückführungsverbesserungsgesetz« und die Ausweitung der Befugnisse von Polizisten, was Durchsuchung von und Zutritt zu Unterkünften von Asylbewerbern betrifft.
Nur wenige Stunden vor seinem Statement hatte sein Kabinett noch die Umsetzung im April vom EU-Parlament verabschiedeten Verschärfungen der EU-Asylregeln in deutsches Recht auf den Weg gebracht – fast zwei Jahre früher als erforderlich. Eine große Mehrheit im Bundestag dürfte den beiden Gesetzentwürfen unabhängig vom Ampel-Aus sicher sein. Die FDP-Abgeordneten werden sie mittragen, ebenso vermutlich eine Mehrheit von CDU und CSU.
Das Bundesinnenministerium teilte mit, laut Kabinettsbeschluss würden die rechtlichen Vorgaben für das neue Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) »eins zu eins umgesetzt«. Noch vor der EU-rechtlichen Umsetzungsfrist Mitte 2026 will Innenministerin Nancy Faeser (SPD) zudem die GEAS-Regelung für die sogenannten Außengrenzverfahren an deutschen Flughäfen zur Anwendung bringen.
Für Asylverfahren in gefängnisähnlichen Einrichtungen, die Deutschland nur an Seehäfen und internationalen Flughäfen betreffen, ist wegen der notwendigen Unterbringungskapazitäten eine Abstimmung zwischen Bund und Ländern notwendig.
Festgelegt wurde in den nun beschlossenen Gesetzentwürfen auch, dass in Fällen, in denen Deutschland beabsichtigt, Asylbewerber und anerkannte Flüchtlinge aus einem anderen europäischen Staat aufzunehmen, durch persönliche Anhörungen sichergestellt wird, dass Personen, die eine Sicherheitsgefahr darstellen, »erkannt« und nicht übernommen werden. Bei Gefahren für Sicherheit und Ordnung soll es zudem keine Ausreisefrist geben, »sondern die schnellstmögliche Ausweisung und Rückführung erfolgen«.
Mit dem Kabinettsbeschluss werde ein wichtiges Signal gesetzt, dass Deutschland das neue EU-Recht »schnell und umfassend umsetzt«, lobte Faeser das Agieren der Ampel. Sie wolle sich auch auf europäischer Ebene weiter für eine zügige Umsetzung der GEAS-Reform in allen Mitgliedstaaten einsetzen.
Die EU-Neuregelungen geben den Mitgliedstaaten für die Umsetzung eine Frist bis Juni 2026. Bis dahin gelten europaweit die bisherigen Regeln. Sie sehen unter anderem eine Verpflichtung zur Identitätskontrolle bei Ankommenden vor. Asylbewerber aus Herkunftsländern, für die EU-weit eine Schutzquote von unter 20 Prozent registriert wurde, sollen künftig ihr Verfahren an den EU-Außengrenze durchlaufen, weil ihnen pauschal eine geringe Bleibeperspektive eingeräumt wird.
Beim deutschen Flughafenverfahren, das zuletzt kaum noch zur Anwendung kam, weil kaum Menschen über deutsche Airports einreisen, wird der Transitbereich des Flughafens als nicht-deutsches Territorium definiert. Personen, die dort festgesetzt werden, gelten als nicht eingereist.
Offenbar sollen dort künftig auch Asylverfahren von Menschen aus Ländern mit geringer Schutzquote analog zu den »Außengrenzverfahren« durchgeführt werden. Faeser erklärte dazu, es sollten »bestehende rechtliche Spielräume genutzt werden, um im Flughafenverfahren vorzeitig zentrale GEAS-Regelungen anzuwenden«.
»Mit dem Gesetz hat die Ampel noch schnell vor der Selbstauflösung einer wohl kommenden rechten Regierung Tür und Tor für eine unkontrollierte rassistische Ausgrenzungs- und Abschiebepolitik geöffnet.«
Valeria Hänsel medico international
Die Linke ist die einzige Partei im Bundestag, die die GEAS-Reform und damit die vom Kabinett beschlossenen Gesetzentwürfe ablehnt. Clara Bünger, fluchtpolitische Sprecherin der Linke-Gruppe im Parlament, kritisierte am Mittwoch insbesondere einen Paragrafen, der eine Festlegung sicherer Herkunftsstaaten im Sinne einer EU-Verordnung aus dem Reformpaket vorsieht und ein eingeschränktes parlamentarisches Verfahren ermöglicht.
Dies und das Paket insgesamt werden auch von den Menschenrechtsorganisationen Pro Asyl und medico international scharf kritisiert. Pro Asyl moniert wie Bünger, dass sogenannte sichere Drittstaaten und Herkunftsländer nicht mehr wie bisher in einem ausführlichen parlamentarischen Verfahren festgelegt werden sollen, sondern per Rechtsverordnung. Damit würden »die Expertise und die Kritikpunkte, über die Bundestag und Zivilgesellschaft verfügen, stark eingeschränkt«.
Die GEAS-Umsetzung in deutsches Recht wertet Pro Asyl als die »größte Asylrechtsverschärfung seit Jahrzehnten«. Generell würden die von der EU geforderten Mindeststandards »erheblich« überschritten und faire Asylverfahren verhindert. »Die Bundesregierung hat mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verpasst, die Menschenrechte zu achten und rechtsstaatliche Standards zu wahren«, so die Einschätzung Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher von Pro Asyl. »Es droht Haft von Familien und Kindern – wie weit soll die Entrechtung von schutzsuchenden Menschen noch gehen?«
Allaows fordert eine Überarbeitung der Gesetzentwürfe. Dabei müssten »die von der EU gewährten Ermessensspielräume im Sinne des Schutzes von Asylsuchenden« genutzt werden. Bei Beibehaltung der bisherigen Entwürfe würden »unter dem Deckmantel der GEAS-Umsetzung neue Möglichkeiten der Freiheitsbeschränkung und De-facto-Inhaftierung von Schutzsuchenden« eingeführt.
Pro Asyl wie Medico befürchten die Schaffung »geschlossener Zentren, wie es sie bisher in Deutschland noch nicht gibt«. Die Flüchtlinge dürften diese »nicht verlassen, teilweise nur, weil sie aus einem bestimmten Herkunftsland kommen«, so Pro Asyl. Schutzsuchende sollen durch Maßnahmen wie die sogenannte Asylverfahrenshaft massiven Freiheitsbeschränkungen unterworfen werden, die »mit internationalen Menschenrechtsstandards nicht vereinbar seien«.
Valeria Hänsel, Referentin für Flucht und Migration bei medico, schrieb im Onlinedienst X: »Mit dem Gesetz hat die Ampel noch schnell vor der Selbstauflösung einer wohl kommenden rechten Regierung Tür und Tor für eine unkontrollierte rassistische Ausgrenzungs- und Abschiebepolitik geöffnet.«
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