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Union Busting: Viel Geld und keine Skrupel
Eine Konferenz in Köln informierte über »Union Busting« und Angriffe auf konzern-kritische Berichterstattung
Was tun, »wenn die Gegenseite jede Menge Geld, wenig Respekt und keinerlei Skrupel hat?« Danach fragt die vierte juristisch-politische Fachkonferenz der Aktion gegen Arbeitsunrecht, die am Samstag in Köln stattfand. Auf dieser zeigen Stimmen aus Justiz, Gewerkschaft, Betrieb und Medien, mit welchen Tricks Unternehmen versuchen, die Organisierung am Arbeitsplatz zu behindern und Konzernkritik zu schwächen – und wie man sich zusammenschließt, um in Zeiten eines erodierenden Rechtsstaats, die Demokratie im Betrieb zu stärken.
47 Überlastungsanzeigen reichte eine Pflegerin mit ihren Kolleg*innen 2022 und 2023 am Klinikum in Lippe für die Palliativ-Station ein: Arbeitsbelastung und Personalmangel sollen den Anzeigen nach die Gesundheit der Beschäftigten und der Patient*innen gefährdet haben. Laut Medienberichten standen sogar Vorwürfe im Raum, die Situation am Krankenhaus hätte zu vermeidbaren Todesfällen geführt. Die Klinik gehört zu den größten kommunalen Krankenhäusern in Deutschland. Umso krasser ist die Geschichte, die Verdi-Gewerkschafter Walter Brinkmann am Samstag erzählt.
»In Start-Ups ist die Ideologie der Leistungsgemeinschaft besonders groß.«
Falko Blumenthal Gewerkschaftssekretär der IG-Metall München
Die Pflegerin klagt vor dem Arbeitsgericht, nachdem auf die Anzeigen hin keine Verbesserungen folgten. Eine Unterstützung durch den Betriebsrat soll sie laut Aussagen Brinkmanns nicht bekommen haben. Darum gründet er mit anderen Aktiven das »Aktionsbündnis Klinikum Lippe.« Sie sammeln Unterschriften, sprechen mit der Belegschaft und stellen einen Antrag auf Einrichtung eines Untersuchungsausschusses. Auch die Medien berichten darüber – laut Brinkmann soll die Geschäftsführung der Klinik am Standort Lemgo Kioske angehalten haben, jene Blätter nicht zu verkaufen.
Brinkmanns Engagement folgte eine Unterlassungsklage. Grund seien »rufschädigende« Aussagen, die Brinkmann getätigt haben soll. Konkret geht es um Aussagen, die der Gewerkschafter in einem Radio-Interview machte. Darin soll er laut eigenen Aussagen einen »Bezug zur Situation der Pflegekräfte« und den Todesfällen hergestellt haben. Das dies seine Meinung ist und kein Fakt, machte er ausdrücklich deutlich, wie er sagt.
Über den Unterschied zwischen Meinungs- und Tatsachenbehauptungen spricht auf der Konferenz der Anwalt Eberhard Reinecke. »Slapp« steht aus dem Englischen übersetzt für die strategische Prozessführung gegen öffentliche Beteiligung. Eine Ohrfeige (english »slap«) könne jene treffen, die in der Öffentlichkeit Missstände anprangern, so Reinecke. Slapps zeigen sich in Abmahnungen oder Unterlassungsklagen gegen konzernkritische Stimmen. Die Drohung mit Prozesskosten oder Entschädigungszahlungen sei laut Reinecke ein starkes Druckmittel. Nora Noll berichtet auf der Konferenz von der Klage des Deutschen Roten Kreuz gegen »nd« wegen der Berichterstattung über die problematischen Zustände im Berliner Ankunftszentrum Tegel.
Was also tun, wenn die Klage von der renommierten Medienkanzlei beim sozialen Aktivisten oder der engagierten Journalistin eintrudelt? Philipp Wissing von der »No-SLAPP-Anlaufstelle« bietet Journalist*innen und Whistleblower*innen erste Hilfe. Seiner Meinung nach sei die Richtlinie zum Schutz vor »Slapps«, die der Rat der Europäischen Union am 19. Mai 2024 angenommen hat, ein erster Schritt. Nun setzt sich sein Verein dafür ein, Betroffenen in Deutschland unter die Arme zu greifen: In der Aufklärung, eventueller Rechtsvermittlung und psychosozialer Unterstützung. Auch der bis dato fehlenden Dokumentation der Fälle nehme sich der Verein an. »Eben weil es so erfolgreich ist, sieht man es nicht«, sagt Wissing über das strategische Klagen gegen die öffentliche Beteiligung.
Einer, der vieles in der Arbeitswelt gesehen hat, ist der Gewerkschaftssekretär Falko Blumenthal von der IG-Metall, ein weiterer Referent auf der Konferenz. In seinem Vortrag spricht er über die Besonderheiten der Betriebsratsgründung in Start-Ups. Seinen Tätigkeitsort München bezeichnet er als einen der »hochkapitalisierten« Unternehmensstandorte für den Bereich Start-Up und neue Technologien.
Blumenthal nennt es die »Goldrauschmentalität«, die es in jenen Betrieben auf besondere Art und Weise erschwere, die Belegschaft zu organisieren und konfliktbereite Betriebsräte zu gründen. Gerade in Start-Ups, in denen es kein Eigenkapital gibt, sondern ein »Versprechen gegenüber dem Finanzmarkt«, wie Blumenthal es nennt, sei die Ideologie der Leistungsgemeinschaft besonders groß.
Er unterstreicht dies anhand eines Beispiels im Münchner Start-Up »Isar Aerospace«, das laut Website einen »flexiblen, nachhaltigen und kostengünstigen Zugang zum Weltraum für Satellitenkonstellationen« biete. Dort habe seine Gewerkschaft einen Betriebsrat gegründet und von der Leitung zu hören bekommen, »wir gehen hier in den Weltraum und ihr kommt uns hier mit dem Betriebsverfassungsgesetz.« Gewinne auf Seiten der Arbeitenden in dieser Art Betriebe zu erzielen, stelle die »Hingabe« der Entwickler*innen in Frage, sagt Blumenthal. Auch seien die Beschäftigten durch eine »Mentalität der Selbstaufopferung«, weniger bereit, in Konflikte zu gehen. Wer will schon den Produktionsprozess im Weltraum lähmen?
Blumenthal spricht auch von den wachsenden Aufgaben für Betriebsräte, die sich nicht nur mit dem Betriebsverfassungsgesetz auskennen müssten, sondern auch zunehmend mit sozialen Problemen wie Mobbing oder ethischen Fragen im Umgang mit »Künstlicher Intelligenz«. Ein Hörer aus dem Publikum, der seit einem Jahr Teil des Betriebsrats beim Telekommunikationsunternehmen 1&1 ist, pflichtet Blumenthal bei: »Ich habe jetzt sozusagen die ersten zwei Semester Jura hinter mir«, sagt er. Eine andere Hörerin moniert, dass man mit der Freistellung von Betriebsräten zwar entlaste, diese dadurch aber »nicht mehr richtig im Betrieb drinstecken« und daher die Bedürfnisse der Beschäftigten schlechter einschätzen könnten.
Union Busting hat viele Facetten. Chefinteressen verstecken sich nicht nur hinter Klagen gegen Aktivist*innen und Gewerkschafter*innen oder in der Unterdrückung einer kritischen Gegenöffentlichkeit. Sie werden auch nicht nur durch libertäre Start-Up-Träume aufrechterhalten. Manchmal zeigt sich schlichtweg der Wolf im Schafspelz unter den Beschäftigten. Andreas Job ist Verdi-Betriebsrat bei der Deutschen Post. Im Gespräch mit »nd« berichtet er von den Tricks der Arbeitgeber, Betriebsratswahlen zu unterwandern.
Am Flughafen Köln-Bonn arbeiten Job zufolge viele Migrant*innen bei UPS. Ihre Arbeit sei hart (das Neuverpacken von Paketen aus der Nicht-EU für den EU-Versand und umgekehrt) und finde meist nachts statt. Menschen, die so arbeiten, hätten es schwer, woanders Jobs zu finden, sagt der Gewerkschafter. Er habe in den vergangenen Jahren sechs Gewerkschaftsmitglieder gewonnen, das sei »gut« für den Bereich. Bei einer Betriebsratswahl, die seine Gewerkschaft jüngst initiierte, sei plötzlich ein neues Verdi-Mitglied mit einer 150-Mitglieder langen Liste aufgetaucht und habe die Wahl so massiv gestört, dass die Polizei einschreiten musste, erzählt Job, was er mit den Interessen des Arbeitgebers in Verbindung bringt. Dennoch sahnte Verdi zwölf von 25 Plätzen für den neuen Betriebsrat ab. Job spricht von einem Erfolg, Verdi habe seine Stimmenanzahl mehr als verdoppelt im Vergleich zum vorherigen Betriebsrat.
Als Gegenmittel gegen »Slapp« und »Union Busting« bietet die Konferenz am Samstag in Köln Aufklärung, Vernetzung und Solidarität. Viele der circa fünfzig Anwesenden aus dem Publikum erzählen ihre eigenen Geschichten aus der Arbeitswelt, teilen ihre Ängste miteinander, die kostspielige Klagen bei ihnen auslösten. Wenngleich die Veranstaltenden Jessica Reisner und Elmar Wigand von der Alktion gegen Arbeitsunrecht einen Raum für die Schattenseiten der deutschen Arbeitswelt öffneten, bleibt ihr Appell klassenkämpferisch-optimistisch: »Es besteht keine Gefahr, dass der Aktion gegen Arbeitsunrecht die Arbeit ausgeht«, sagt Wigand.
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