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Wo geht’s zur Ostmoderne?

In Chemnitz wurde das architektonische Erbe von Karl-Marx-Stadt besprochen

  • Nils Onstraat
  • Lesedauer: 3 Min.
Wenn Karl Marx das geahnt hätte: In Chemnitz werden nicht mehr so viele Busse benötigt.
Wenn Karl Marx das geahnt hätte: In Chemnitz werden nicht mehr so viele Busse benötigt.

Ganz im Sinne des einzigartigen Glockenspiels »Clarion«, mit dem die Botschaft »Die Gedanken sind frei« live vom Chemnitzer Rathausturm gespielt wird, hatten elf Wissenschaftler*innen in der vergangenen Woche in der Universität Chemnitz über drei Tage Gelegenheit, ihre Gedanken zum Thema »Karl-Marx-Stadt. Architektur und Städtebau im internationalen und historischen Kontext« vorzutragen. Das Kolloquium wurde von den städtischen Kunstsammlungen und der TU veranstaltet und fand in der Universitäts-Bibliothek statt. Es sollte helfen, das Profil von Chemnitz zu schärfen, das 2025 europäische Kulturhauptstadt wird – zusammen mit Nova Gorica in Slowenien. 37 Jahre hieß die drittgrößte Stadt Sachsens nach dem Philosophen, noch vor dem Ende der DDR, im Juni 1990, wurde zum alten Namen zurückgekehrt, nachdem drei Viertel seiner Einwohner dafür gestimmt hatten.

Der angekündigte Beitrag von Thomas Flierl, unter anderem ehemaliger Berliner Kultursenator für die PDS, entfiel. Es wäre zielführend gewesen, hätten die Veranstalter den anwesenden Vortragenden Flierls Ansatz, »Das Gewordene in beiden ehemals getrennten Deutschländern unter den konkreten Bedingungen seines Entstehens und Gebrauchs zu begreifen« und zwar »bevor beurteilt werden kann, was es heute und künftig praktisch und kulturell wert ist, ob und wie es angeeignet werden kann – oder nicht« besonders ans Herz gelegt. Möglicherweise wäre damit der Mehrzahl der Vorträge ein Mehrwert verschafft worden, der zu einer wirklich hilfreichen und gültigen Expertise der Probleme der designierten Kulturhauptstadt führen könnte.

Zwei Vorträge ragten heraus. Mit großem Beifall wurde der Vortrag von Hilde Strobl (Archivarin für Bau.Kunst.Geschichte der Universität Innsbruck) bedacht: »Die Neue Heimat – ein gewerkschaftlicher Baukonzern in der BRD 1950–1982«. Die Referentin lieferte den Nachweis, dass dieses Gewerkschaftsunternehmen mittels Städtebau nicht nur bauliche Geschichte schreiben, sondern explizit »gesellschaftsprägenden Einfluss« ausüben wollte, mithin im Westen das zu beobachten war, was den Planern im Osten vorgeworfen wurde und wird.

Zudem konnte selbst der Gewerkschaftskonzern die annähernde Deckung des großen Bedarfs an Wohnungen nur mit dem Einsatz der »Westdeutschen Platte« planen und fertigstellen, also mit rationeller Baufertigung und Montagebau. Der größte nicht staatliche Wohnungsbaukonzern Europas beschäftigte 1968 jeden zwölften Bauarbeiter der BRD und expandierte weltweit, von Monaco bis Mexiko. Das Aus bereitete sich die Neue Heimat dann systemgemäß selbst: durch gierige Finanzbetrügereien in nicht vorstellbarem Ausmaß.

Die umfassende »Dekonstruktion« von Altbauten wird im Westen bis heute bedauert und konnte nur punktuell, aber mit spektakulärem Erfolg zivilgesellschaftlicher Proteste, durchkreuzt werden. Im Osten, beispielsweise in Chemnitz bieten sich dagegen weiterhin Gelegenheiten, Abrisse planerisch und baupolitischen zu verhindern – vielleicht parallel zu einem neuerlichen Paradigmenwechsel.

In diesem Sinne war der abschließende Vortrag von Thomas Morgenstern (Leiter der unteren Denkmalschutzbehörde in Chemnitz von 1990 bis 2020) über den »Umgang mit dem architektonischen Erbe der DDR nach 1989« schlüssig. Der eigentliche Blick des Zeitzeugen galt der »Umsturzzeit, die dazu verführte, alles infrage zu stellen, was an die DDR erinnerte« – aus politischen Gründen. Dazu hatte sich zuvor noch kein Referent geäußert.

Exemplarisch stellte Morgenstern die bis heute diskutierte Frage des Denkmalschutzes für die Chemnitzer »Autobusstation« vor, ein schon auf den ersten Blick technisch und ästhetisch spektakuläres Bauwerk. Geplant und erbaut 1969, waren die Busse das Hauptverkehrsmittel von täglich 30 000 Fahrgästen aus dem Umland. Der Rückgang der Fahrgäste nach der Wende um 50 Prozent hatte aufgrund von Arbeitslosigkeit und Abwanderung 16 der 20 Busspuren funktionslos gemacht. Bis heute flackert deshalb die Diskussion um anderweitige Verfügbarkeiten der Immobilie mit dem denkmalgeschützten einzigartigen ostmodernen Bauwerk immer wieder auf. Dass es zu den Chemnitzer Hinguckern gehört, ist keine Frage. Aber wie lange kann der Denkmalschutz dagegenhalten? Die Themen der Tagung werden 2025 Gegenstand einer Ausstellung sein.

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