Toleranz und Gerechtigkeit

Neue Ausstellung in der Landeszentrale für politische Bildung in Potsdam

  • Matthias Krauß
  • Lesedauer: 4 Min.
Toleranz heißt, eine andere Meinung ertragen zu können.
Toleranz heißt, eine andere Meinung ertragen zu können.

Die Welt hat ein Problem mit Toleranz und diesem Problem kann man pädagogisch zu Leibe rücken. Dies ist die Grundannahme der neuen Ausstellung »Toleranz-Räume« in der brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung in Potsdam. »Wie begegnet man den Mitbürgern mit Respekt?« Das fragte Leiterin Martina Weyrauch bei der Ausstellungseröffnung Ende vergangener Woche.

Es ist eine farbenfrohe Ausstellung von Plakaten, Tafeln und Bildern. »Die Ausstellung eröffnet neue Perspektiven auf das Thema Toleranz und fördert den Respekt für die Lebenswelten anderer Menschen«, heißt es. »Doch Toleranz ist kein Selbstläufer. Menschen müssen sich aktiv dafür einsetzen. Interaktiv und leicht verständlich zeigt die Ausstellung, wie das funktionieren kann.«

Ist es das Ergebnis mangelnder Belehrung, wenn sich Menschen heute als intolerant erweisen? Gibt es eine Toleranz an sich? Einen Blick auf die Vielschichtigkeit und Wandelbarkeit des Begriffs wirft Professor Heinz Kleger, der vor einigen Jahren mit einem neuen Potsdamer Toleranzedikt an die Öffentlichkeit trat. Ja, die Bildung ist hier für ihn durchaus gefragt. »Das Bildungsbürgertum muss begreifen, dass politische Bildung auch zur Bildung gehört«, sagte er. Geduld, Offenheit, zivilisierte Mittel beim Austragen von Differenzen, das läuft für Kleger auf Toleranz hinaus. Ein Sich-gegenseitig-ertragen-können sei die Basis für einen halbwegs friedlichen Alltag.

Und doch ist das alles nicht so einfach. Man dürfe Toleranz nicht mit Gleichgültigkeit verwechseln, mahnte Kleger. Der Begriff »schwebt über der Geschichte, sein Inhalt wechselt«. Der Anfang des Toleranz-Gedankens werde gemeinhin der Aufklärung des 18. Jahrhunderts zugeordnet, aber da beginne er nicht.

Bezogen auf die aktuelle Lage klang der Professor nicht besonders zuversichtlich. In Potsdam trete Intoleranz weniger auf, aber »Potsdam ist eine Insel in
gewisser Weise«. Mehrfach und nicht von ungefähr beschwor Kleger: »Bürgerkriege sind die schrecklichsten von allen.«

Der Westfälische Frieden, der 1648 den 30-jährigen Krieg beendete, ist ein herausragendes Beispiel von Toleranz. Er verbot nicht nur die Fortsetzung aller Feindseligkeiten, er untersagte auch, der jeweils anderen Seite auch nur das Geringste nachzutragen. Es sollte ein völliger Frieden herrschen.

Kleger erwähnte, dass namentlich Preußen mit dem Toleranzbegriff in Verbindung gebracht wird. Aber als der brandenburgische Kurfürst Friedrich Wilhelm I. den im katholischen Frankreich verfolgten Hugenotten eine Zuflucht bot, geschah das gegenüber Glaubensbrüdern, denn sie waren Protestanten wie er selbst. Vor allem aber durfte die Hugenotten wohl kommen, weil sie nützlich waren. Sie nahmen laut Kleger sehr nachhaltig Einfluss auf die Entwicklung in Berlin und Brandenburg. Die Brandenburger lernten den Gebrauch von Gabel, Leberwurst und Bratensoße schätzen. Aber war das Toleranz? »Das Edikt von Potsdam war kein Toleranzedikt und es hieß auch nicht so.« Was die in Brandenburg lebenden Juden betraf, dauerte es bis zu ihrer rechtlichen Gleichstellung sehr viel länger.

Der Professor warf einen Blick auf Brandenburg in den 1990er Jahren, als das Bundesland eine Welle rechter Gewalt erlebte. Afrikaner, die zum Studium in die DDR gekommen waren, sollten wieder verschwinden. Es dauerte, bis Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) dem 1998 »endlich« mit dem Handlungskonzept »Tolerantes Brandenburg« ein Bündel von Maßnahmen entgegensetzte. »Ich habe meine Landsleute für besser gehalten als sie sind«, soll Stolpe gesagt haben.

Ist es heute besser? »Ich möchte meine Freunde in den USA nicht herabsetzen, aber auf die Annahme hin, Donald Trump sei ein Faschist, fragen sie: ›Was ist ein Faschist?‹« So berichtete Kleger. »Den Kommunismus-Vorwurf kennt man besser.« Es war US-Präsident Theodore Roosevelt, der seine eigene Vorstellung von Toleranz entwickelte: »Sprich sanft und trage einen großen Knüppel, dann wirst du weit kommen.«

Professor Kleger beschrieb aktuelle Ausbrüche extremer Intoleranz, auch wieder auf religiösem Gebiet. Alle seine arabischen Studenten nehmen derzeit eine aggressive Protesthaltung gegenüber Israel ein, nicht weit entfernt von reinem Fanatismus, erzählte Kleger. Er sprach auch von »linkem Antisemitismus« und warf den deutschen Linken Versagen vor. Als Kleger 2008 mit seinem Neuen Potsdamer Toleranzedikt an die Öffentlichkeit trat – wir wissen jetzt, dass es das erste war –, sollen ihm gerade Linke entgegengehalten haben, Problem in Deutschland sei weniger ein Mangel an Toleranz als vielmehr ein Mangel an Gerechtigkeit.

Zweifellos sind aber Menschen, die ein auskömmliches Einkommen haben, aufgeschlossener gegenüber neuen und fremden Einflüssen. Anders Menschen, die um einfachste Dinge kämpfen müssen. In einer Gesellschaft, in der es aus Sicht der meisten gerecht zugeht, kann Toleranz gedeihen. Sie ist ein besserer Nährboden für Toleranz als eine Gesellschaft, in der soziale Unterschiede so groß geworden sind, dass man von asozialen Abständen sprechen muss.

»Es gibt Menschen, die können sich Toleranz nicht leisten«, sagte nicht von ungefähr Joachim Seinfeld von der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus, der sich an der Erarbeitung der Ausstellung beteiligte. Er merkte ironisch an: »Die Intoleranten sind immer die anderen.«

»Es gibt Menschen, die können sich Toleranz nicht leisten«

Joachim Seinfeld Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus
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