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Neuer Wind in lappländischer Redaktion

Miia Tervo gelingt mit »Neuigkeiten aus Lappland« eine präzise filmische Studie einer um Befreiung ringenden Frau

  • Nicolai Hagedorn
  • Lesedauer: 5 Min.
Was tun als Journalistin, wenn nichts Berichtenswertes passiert?
Was tun als Journalistin, wenn nichts Berichtenswertes passiert?

Im Dezember 1984, also mitten im Kalten Krieg, landete eine russische Rakete im nordfinnischen See Inari, löste großes mediales Interesse aus und führte dazu, dass die Weltöffentlichkeit dem dünn besiedelten Gebiet einige Aufmerksamkeit schenkte – mit großen Auswirkungen auf die dortige Bevölkerung. 40 Jahre später widmet die Regisseurin Miia Tervo dem Ereignis den Film »Neuigkeiten aus Lappland«.

Tervo interessieren an dem historischen Ereignis vor allem zwei Aspekte: einerseits die Komik, die sich in erster Linie daraus ergibt, dass die wenigen Menschen in dieser Region aus ihrem überaus unaufgeregten Leben gerissen werden und sich plötzlich inmitten eines Ereignisses von weltpolitischer Tragweite wiederfinden. Andererseits geht es ihr darum, eine Analogie der politischen Ereignisse zu den Lebensumständen einer jungen Frau herzustellen, die es nicht schafft, für sich private Grenzen zu ziehen. Die auf finnisches Staatsgebiet eingedrungene Rakete wird so zur Metapher für verletzte private Grenzen. Letzteres ist leider zu konstruiert, und so verrennt sich »Neuigkeiten aus Lappland« etwas zwischen den eigenen Ambitionen.

Tervo erzählt die Geschichte aus der Perspektive von Niina, einer jungen, alleinerziehenden Mutter zweier kleiner Kinder, großartig gespielt von Oona Airola. Niinas Mann Tapio, über den wir bald erfahren, dass er im Gefängnis sitzt, war ihr gegenüber gewalttätig, doch sie spielt die Sache herunter, sucht die Schuld für Tapios Übergriffigkeit bei sich selbst und liebäugelt damit, ihm nach seiner Entlassung eine zweite Chance zu geben.

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Im Dezember 1984, damit setzt der Film ein, fährt sie mit den Kindern in den Wald, um eine Weihnachtstanne zu fällen, doch sie bringt den Anhänger, auf dem der Baum transportiert werden soll, nicht korrekt am Auto an, und so landet die Tanne im Panoramafenster der Redaktion der örtlichen Zeitung »Lappland News«. Deren knurriger Chefredakteur Esko, ein Mann mit beeindruckendem Bauch und nicht minder beeindruckender Vokuhila, ist entsprechend wenig begeistert und fordert von Niina »10 000«. Die hat sie natürlich nicht, und so erlaubt Esko ihr zähneknirschend, die Schulden bei ihm abzuarbeiten, indem sie Artikel für die Zeitung verfasst.

Das Problem: In Lappland passiert praktisch nichts Berichtenswertes, weshalb Esko Niina auffordert, sich etwas auszudenken: »Hier passiert ja nie was. Letztes Jahr handelte der beliebteste Artikel davon, wie Aimo Pirtikkola beim Eisangeln einen Strumpf verloren hat.«

Mit dem kurz darauf folgenden Raketeneinschlag ändert sich das natürlich radikal, und aus Niina wird eine unbedarfte, aber hartnäckige Investigativ-Journalistin. Die Szenen, in denen der eher schlichte Esko, der eigentlich nur heitere Nachrichten in der Zeitung haben will, und die vom Leben nicht gerade verwöhnte Niina zueinander finden, gehören zu den stärksten des Films. Die beiden sind ein bemerkenswertes und komisches Duo. Esko ist überdies als Figur sehr gelungen. Er sieht zwar wie ein Klischee aus, ist aber keines, und so entsteht ein wunderbar eigenartiger Charakter.

Indem Niina indes eine Aufgabe hat, etwas, was ihre Leidenschaft weckt, beginnt sie sich aus ihren bedrückenden Lebensumständen zu befreien, und sie beginnt eine Liebesbeziehung mit Kai, einem Piloten der Luftwaffe, der während eines Fluges das unbekannte Flugobjekt gesehen hat und daher ihr journalistisches Interesse weckt.

Doch dann taucht Tapio auf, ihr Ex-Mann und Vater ihrer Kinder, der frühzeitig aus dem Gefängnis entlassen wurde und nun seinen Platz zurückfordert. Niina fällt in ihre alten Muster und Gewohnheiten zurück, ordnet sich dem Mann unter und lässt auch wieder Nähe zu. Erst als ihr die wegen eines möglichen Atomsprengkopfes in der Rakete herbeizitierte Atomexpertin Mailis den Tipp gibt, das »Neinsagen« vor dem Spiegel zu üben, kann sie sich überwinden, Tapio aus ihrem Leben zu werfen, was sie freilich mit erneuten Prügeln bezahlt.

Miia Tervo gelingt mit »Neuigkeiten aus Lappland« eine präzise filmische Studie einer um Befreiung ringenden Frau, die sich mit den alltäglichen Demütigungen und Inferioritäten arrangiert hat, hauptsächlich aus Angst vor den Konsequenzen, die ein Nein haben kann. Niina weiß, dass sie an dem Kuschen vor der Familie, dem Mann und den Autoritäten am Arbeitsplatz zugrunde gehen wird, aber sie kann sich aus diesen Zwängen zunächst nicht befreien. Als Mailis sie darauf anspricht, warum es ihr so schwerfällt, Grenzen zu ziehen, Nein zu sagen, wenn sie etwas nicht will, antwortet Nina: »Man weiß irgendwie… Man hat Angst, dass man anfängt zu weinen. Oder dass man erstarrt oder dass das Herz zu schlagen aufhört und man wahnsinnige Angst bekommt. Oder man hat Angst zu sterben.«

»Neuigkeiten aus Lappland« ist eher keine Komödie, als die der Film angekündigt wird, die komischen Element sind Randerscheinungen. Vielmehr zeigt uns Tervo ziemlich drastisch die Auswirkungen von Ausweg- und Aussichtslosigkeit, mit denen Frauen, die den gesellschaftlichen Konventionen und Anforderungen der patriarchalen Gesellschaften ausgeliefert sind, oft zu kämpfen haben, und wie schwer es ist, sich aus einer solchen Situation wieder zu befreien.

So ist »Neuigkeiten aus Lappland« ein beeindruckender, sehenswerter und auch gelegentlich komischer Film, dem man allerdings gewünscht hätte, dass Tervo die »Grenzverletzungs«-Metaphorik etwas weniger strapaziert hätte.

»Neuigkeiten aus Lappland«: Finnland/Estland 2024. Regie und Buch: Miia Tervo. Mit: Oona Airola, Hannu-Pekka Björkman, Tommi Korpela, Pyry Kähkönen. 119 Min. Kinostart: 14. November.

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