Tabak fürs Volk

Wie ein Zigarrenunternehmer einmal den Genossen Shakespeare zu Werbezwecken nutzte

Hier ist bereits die eine oder andere Rauchwolke vorbeigezogen: Julias Balkon im Zentrum von Verona.
Hier ist bereits die eine oder andere Rauchwolke vorbeigezogen: Julias Balkon im Zentrum von Verona.

Es ist schon eine Frechheit für das ohnehin krisengebeutelte kubanische Volk: Da grinst aus dem übergroßen Land an der gegenüberliegenden Küste demnächst der neualte, in die Jahre gekommene, närrische Regent wieder herüber. Politisch dürfte man sich, die USA betreffend, in Havanna ohnehin kaum Hoffnung auf Besserung gemacht haben. Aber der künftigte Präsident ist darüberhinaus ja auch, was Stil und Benehmen, was die Konventionen menschlichen Zusammenlebens und das notwendige Mindestmaß an Anstand angeht, eine heftige Beleidigung des sittlichen und ästhetischen Empfindens.

Und auch wirtschaftlich bleibt es in dem Inselstaat prekär. Selbst im Zigarrenhandel, für Kuba durchaus ein nennenswerter Wirtschaftsfaktor, werden deutliche Einbußen verzeichnet. Die Corona-Pandemie, Missernten und Naturkatastrophen zeitigen ihre Folgen.

Genosse Shakespeare

Wie es euch gefällt: Alle zwei Wochen schreibt Erik Zielke über große Tragödien, politisches Schmierentheater und die Narren aus Vergangenheit und Gegenwart. Inspiration findet er bei seinem Genossen aus Stratford-upon-Avon.


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Dennoch: Unter den Zigarren stechen solche kubanischer Herkunft deutlich hervor. Und unter diesen wiederum gehören jene der Marke mit dem schönen Namen »Romeo y Julieta« zu den weltweit bekanntesten und beliebtesten. 1875 von kubanischen Tabakbauern als Reminiszenz an den Genossen Shakespeare gegründet, wurde das Unternehmen knapp 30 Jahre später, zu einer Zeit also, als Kuba noch an dem abstoßenden Spiel nach den Regeln des freien Marktes teilnahm, von José »Pepin« Rodriguez Fernandez, einem gewieften Geschäftsmann, gekauft.

Don Pepin, von dem nicht bekannt ist, ob er je eine Zeile von William Shakespeare gelesen hat, wusste, wie er den Laden auf Vordermann zu bringen hatte. Als Werbemann in eigener Sache reiste er durch die ganze Welt, um seine Zigarren weltbekannt zu machen. Er kaufte ein Rennpferd und nannte es – hat die so sanft wie leidenschaftliche liebende Capulet das verdient? – Julieta. Bald schon waren »Romeo y Julieta« Marktführer.

Auch Britanniens konservativer Premier Winston Churchill, dem Rauchwerk bekanntlich gnadenlos verfallen, schwor auf Don Pepins Fabrikate. Der wiederum belohnte den Politiker und benannte kurzerhand eine Zigarre von besonders üppigem Format nach Churchill.

Don Pepin hatte gar versucht, das angebliche Wohnhaus der Julia – die Casa di Giulietta, die in Verona bis heute ein Touristenmagnet ist – zu kaufen. Als der Plan scheiterte, eröffnete er immerhin einen Stand unter dem prominenten Balkon, von wo aus er an Shakespeare-Verehrer aus aller Welt probeweise Zigarren verschenkte.

Von der Kunst, die Weltliteratur eingeschlossen, bleibt wenig Substanz, wenn man sie den Geschäftsleuten überlässt. Von der Shakespeare’schen Tragödie etwa hat sich vor allem das Klischeebild des unglücklichen jugendlichen Liebespaars erhalten. Sentimental denkt man an unerfüllte Liebe und will lieber nicht genau wissen, »wo Bürgerblut die Bürgerhand befleckt«. Die literarische Meisterschaft verschwindet in Zeiten der Verkäuflichkeit von allem und jedem hinter dem Markenwert.

Nach Don Pepins Tod Anfang der 50er Jahre und nach der Kubanischen Revolution war Schluss mit den Wahnfantasien aus den Marketinglehrbüchern. Die Tabakfabrik wurde verstaatlicht. Aber »Romeo y Julieta« heißen die Zigarren, nach wie vor auch außerhalb Kubas ausgesprochen beliebt, noch immer. Und mit etwas Glück werden für die Zigarrendreher in der Fabrik, für die Torcedores, von einem professionellen Vorleser, dem Lectora de tabaquería, Verse aus »Romeo und Julia« zu Gehör gebracht, die auch heute mehr sein können als gut verkäufliche Namen.

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