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Leipziger Autoritarismus-Studie: Rassismus auf Vormarsch
Die Leipziger Autoritarismus-Studie erhebt demokratiefeindliche Einstellungen in der Bevölkerung
Die Ausländerfeindlichkeit nimmt in Deutschland wieder zu; Grund dafür ist vor allem der Anstieg in Westdeutschland. Zu diesem Ergebnis kommt die 12. Leipziger Autoritarismus-Studie, die am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde. Seit 2002 erhebt sie im Zweijahrestakt die Einstellungen der Bevölkerung zu autoritären und demokratiefeindlichen Tendenzen.
Rassismus nimmt zu
Bei 31,5 Prozent der Befragten in Ostdeutschland beobachteten die Studienautor*innen eine »manifeste Ausländerfeindlichkeit« (2022: 33,1 Prozent). Dazu gehört etwa die Zustimmung zur Aussage, die Bundesrepublik sei »durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet«. In Westdeutschland stieg der Wert von 12,6 Prozent bei der letzten Befragung auf 19,3 Prozent. Angesichts dessen sprach Studienleiter Oliver Decker von einer deutlichen »atmosphärischen Verschiebung« im Westen. Ko-Leiter Elmar Brähler erklärte: »Die Ausländerfeindlichkeit hat sich damit zu einem bundesweit geteilten Ressentiment entwickelt.«
Unzufrieden mit dem System
Zudem vernahmen die Forschenden einen deutlichen Rückgang in der Zufriedenheit mit dem politischen System, vor allem im Osten: Nur noch 29,7 Prozent der Befragten in Ostdeutschland sprachen sich für die Demokratie, wie sie in Deutschland funktioniert, aus (2022: 53,5 Prozent). Aber auch im Westen sind laut der Studie nur noch 46 Prozent mit dem Funktionieren der Staatsform zufrieden (2022: 58,8 Prozent) – das ist der geringste Wert seit 2006. Die Interviewten gaben als Grund dafür vor allem ihre Unzufriedenheit mit Parteien und Politiker*innen sowie einen Mangel an Möglichkeiten zur Mitbestimmung an.
Zurück zu alten Rollenbildern
Eine Rückkehr zu klassischen Rollenbildern beobachteten die Wissenschaftler*innen bundesweit. Am stärksten verbreitet sind demnach transfeindliche Einstellungen, die in der 12. Ausgabe der Studie erstmals abgefragt wurden. Sie äußern sich in der Zustimmung zu Aussagen wie: »Transsexuelle sollen aufhören, so einen Wirbel um ihre Sexualität zu machen.« 46,9 Prozent der Befragten stimmten dieser Aussage zu, weitere 26,3 Prozent zumindest teilweise. Antifeministische und transfeindliche Weltbilder sind laut der Studie in Ostdeutschland deutlich häufiger vertreten als in Westdeutschland. Früher war das Frauenbild im Osten deutlich progressiver.
Kehrtwende bei Antisemitismus
Während seit Beginn der Erhebungen die Zustimmung zu antisemitischen Aussagen deutlich abnahm, beobachteten die Forschenden in diesem Jahr wieder einen leichten Anstieg. »Vor dem Hintergrund des 7. Oktober 2023 wollten wir erfassen, wie antisemitische Einstellungen in linken Milieus geäußert werden können«, erklärt Ko-Herausgeberin Ayline Heller.
Deshalb untersuchten die Wissenschaftler*innen diesmal auch den postkolonialen Antisemitismus. Der Aussage »Israel wurde nur gegründet, damit Europäer kein schlechtes Gewissen haben« stimmten 13,5 Prozent der Befragten zu, weitere 28,4 Prozent zumindest teilweise. Die Studienautor*innen werten diese als antisemitisch, weil die Legitimität des Staates Israel angezweifelt und die besondere Situation der Staatsgründung geleugnet werde, wie es in der Studie heißt.
Beide Formen des Antisemitismus waren bei Personen, die sich politisch »links außen« verorten, am stärksten vertreten (19,1 beziehungsweise 25,7 Prozent); gefolgt von Personen, die sich als »rechts außen« einstuften. »Der Antisemitismus funktioniert als Brückenideologie, er verbindet linke und rechte Milieus«, sagt Ko-Herausgeber Johannes Kiess.
Rechtsextremismus bleibt selten
Auch wenn Rassismus, Frauenfeindlichkeit und Antisemitismus der Studie zufolge auf dem Vormarsch sind – geschlossen rechtsextreme Weltbilder bleiben selten. Dafür ist eine hohe Zustimmung in sechs Dimensionen notwendig: Verharmlosung des Nationalsozialismus, Autoritarismus, Sozialdarwinismus, Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit und Chauvinismus. Nur 4,5 Prozent der Befragten fallen in diese Kategorie. Bei der ersten Befragung im Jahr 2002 lag der Wert bei 9,6 Prozent. Doch auch hier hat der Studie zufolge eine Angleichung zwischen Ost und West stattgefunden, die offenbar auf die Abnahme rechtsextremer Weltbilder in Ostdeutschland zurückzuführen ist.
Die Leipziger Autoritarismus-Studie wird von Forschenden der Universität Leipzig durchgeführt, in Kooperation mit der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung und der Otto-Brenner-Stiftung der IG Metall.
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