Grüne: Diskussionsfreudig und folgsam

Die Grünen küren Robert Habeck zum Kandidaten für »die Menschen in Deutschland«

Robert Habeck führt die Grünen in den Bundestagswahlkampf.
Robert Habeck führt die Grünen in den Bundestagswahlkampf.

»Du musst dich bewegen, sonst gehst du unter.« Das ist der zentrale Satz von Robert Habecks mehr als einstündiger Bewerbungsrede am Sonntagmorgen. Habeck erzählt, dass sein Sohn diesen Satz zu ihm beim Schwimmen im Freibad gesagt hat. Er erzählt den Satz, als er davon spricht, dass »Resignation und Rückzug« eine von vier großen Gefahren für die Demokratie seien. Auch er habe über Rückzug nachgedacht. Die Arbeit in der Ampel-Koalition habe die Grünen beschädigt und er habe darüber nachgedacht, durch Rückzug Verantwortung zu übernehmen, sei aber zu einer anderen Antwort gekommen, sagt Habeck. Sich bewegen, nicht untergehen, ein Angebot machen.

Habecks Angebot kommt dann mit einigem Selbstbewusstsein. Die Grünen hätten einen Führungsanspruch, sie seien die einzige Partei, die Antworten gibt, die »so groß wie die Herausforderungen« seien. Die Grünen seien keine »Öko-App« für andere Parteien.

Als Wirtschaftsminister habe er Deutschland in einem schlechten Zustand übernommen, erklärt Habeck weiter. Die Abhängigkeit von russischem Gas, ein Versäumnis der Großen Koalition, vor deren Widerholung er immer wieder warnt. Ein Bündnis von CDU und SPD sei die »Liebesaffäre mit dem Status Quo«. Habeck soll »Kandidat für die Menschen in Deutschland« sein.

Was er den Menschen anzubieten hat? Mehr Klimaschutz, denn die globale Erwärmung störe das Wachstum und erhöhe die Kriegsgefahr. Habecks Analyse: Die fossile Industrie und autoritäre Kräfte seien ein Bündnis eingegangen, bedrohten die Demokratie in Deutschland von innen und außen. Was die Grünen dem entgegenstellen wollen, soll kein Elitenprojekt sein. Günstiger Strom und eine Vermögensabgabe sind Versprechen von Habeck.

Ein weiteres Versprechen: die Reform der Schuldenbremse. Darüber hatte der Parteitag am Samstag noch spät am Abend diskutiert. Die inhaltlichen Debatten über Anträge zur Migrationspolitik, dem AfD-Verbot und der grünen Wirtschafts- und Finanzpolitik waren im Vorfeld mit Spannung erwartet worden. Im Raum stand eine Kurskorrektur nach links. Diese Korrektur blieb aus.

Beispielhaft dafür war die Debatte über die Schuldenbremse. Jakob Blasel, neuer Vorsitzender der Grünen Jugend, argumentierte leidenschaftlich für die Abschaffung der Schuldenbremse. Er erhielt dafür Applaus. Gegen Blasel trat dann allerdings Felix Banaszak auf die Bühne. Der Duisburger Bundestagsabgeordnete wurde am Mittag gemeinsam mit Franziska Brantner zur neuen Doppelspitze der Grünen gewählt. Bei der Debatte am Abend plädierte Banaszak für eine Reform der Schuldenbremse. Das täten die Grünen seit 2019 und hätten viel erreicht. Mittlerweile seien fast alle politischen Kräfte für eine Reform. Banaszaks Appell: »Lasst es uns jetzt nicht an der falschen Stelle verspielen.«

Banaszak formulierte seinen Appell auch im Hinblick auf eine mögliche schwarz-grüne Koalition und erwähnte, dass selbst CDU-Chef Friedrich Merz für eine Reform der Schuldenbremse zu haben sei. Die Delegierten folgten ihrem neuen Vorsitzenden und erteilten der Forderung nach der Abschaffung der Schuldenbremse eine Absage.

Auch bei anderen inhaltlichen Debatten gab es keine Überraschungen. Der Antrag zum AfD-Verbot wurde inhaltlich so gestaltet, dass sich sowohl diejenigen, die einen Verbotsantrag noch vor den Neuwahlen darin wiederfinden, als auch die Gruppe um Renate Künast, die weiter prüfen möchte, ob die AfD verbotswürdig ist. Ebenso war ein Antrag zur Migrations- und Asylpolitik so formuliert, dass er eine breite Zustimmung fand, inhaltlich aber entsprechend vage blieb. Änderungsanträge von linken Grünen und solchen, die pazifistische Positionen vertraten, erhielten bei allen Debatten nur von vereinzelten Delegierten Zustimmung.

Und so präsentieren sich die Grünen in Wiesbaden zwar äußerst diskussionsfreudig, aber auch als folgsam. In wichtigen Debatten folgten sie der Parteiführung, die von Robert Habeck überstrahlt wurde. Ausreden für das »Team Robert« gibt es nun nicht mehr. Die neue Parteispitze besteht aus Vertrauten, inhaltlich musste Habeck keine Zugeständnisse machen. Es gab keine Beschlüsse, die seiner Agenda widersprechen. Und am Ende wählten ihn 96 Prozent der Delegierten zum Kanzlerkandidaten.

Jetzt fehlt es nur noch an der Wählergunst. Momentan liegen die Grünen in Umfragen um zehn Prozent. Bis zur Kanzlerschaft »für die Menschen in Deutschland« müssen noch einige Wähler*innen dazu kommen.

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