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Wiener Filmfestival: Austerität is burning
Die fünfte Ausgabe des queer-feministischen Wiener Filmfestivals Queertactics fragte nach Ästhetiken, Erzählungen – und Übersetzungen
Der Club ist ein Ort der Befreiung: Mit den Körpern geraten auch die Identitäten in Bewegung. Am Dancefloor des Club U, der sich im Untergeschoss einer alten Otto-Wagner-Station am Wiener Karlsplatz befindet, schien am vergangenen Freitag vieles möglich. DJ Malounadou, die DJ Yassi vom legendären House of Homoriental folgte, fügte auf den Plattentellern die Audio-Schnipsel einer ikonisch gewordenen Hymne neu zusammen. »Music Is the Answer – to your problems« – die von Celeda und Danny Tenaglia in den Spätneunzigern propagierte Bewältigungsstrategie scheint die lokale LGBTIQ+-Community bis heute zu mobilisieren. Sie ist nicht nur äußerst divers, sondern auch inklusiv – schließlich ist Be_hindertsein ebenso Teil queerer Kultur wie das Sicht- und Hörbarmachen von Stimmen aus der Diaspora.
In diesem Jahr war bei Queertactics erstmals auch eine Portion Clowns-Drag in Live-Form mit dabei. Drei Performer*innen aus dem Athen der Post-Austeritäts-Ära betraten kurz vor Mitternacht die Bühne des Club U. Wenige Stunden zuvor waren sie im Dokumentarfilm »Avant-Drag! Radical Performers Re-Imagine Athens« von Fil Ieropoulos auf der Leinwand des Wiener Admiral-Kinos zu sehen, im Rahmen des diesjährigen Queertactics-Filmfestivals. Im pillenbestückten Korsett mit türkiser Irokesenperücke und Plüschdildo scheint jeder Rekurs auf eine wie auch immer geartete Zweigeschlechtlichkeitsnorm obsolet. Für Kangela Tromokratisch, Veronique Tromokratisch und Drag-King Er Libido wurde die Trauer über die Trans*-Morde in ihrer Stadt mitunter auch zum Impetus für ihre queeren Körpergrotesken. Beim Rebetiko-Playback grüßte Zak Kostopoulos alias Zackie Oh heimlich aus dem Off – infolge von homophober Gewalt verstarb der LGBTIQ+-Aktivist im September 2018 in den Straßen Athens.
Mit kausalen Verkettungen genormter Körper hätte sich das durchweg kritische Publikum des viertägigen Festivals keineswegs zufriedengegeben. Nicht allein auf Ästhetiken kommt es bei Queertactics an, auch auf die Erzählungen dahinter – und die Möglichkeit ihrer Übersetzung in ein anderes Register. Eine unvollständige Audiodeskription, die gehörlose Personen vom kompletten Filmereignis ausschließt, wurde im finalen Urteil schon mal zum Zünglein an der Waage. Während des Eröffnungsabends forderte eine aufmerksame Subtitler*in aus dem Publikum demnach auch ein, was aus Gehörlosen-Perspektive fehlte: Nicht für alle, die im ausverkauften Saal den Spielfilm »Todo El Silencio (All The Silence)« sahen, gab es genügend sprachliche Beschreibungen des hörbaren Geschehens im unteren Bildrand. Gefordert wurde keine höhere Hermeneutik, sondern nur ein paar Zeichen mehr – als Äquivalente, die in unterschiedlichen Zirkulationssphären gleichermaßen funktionieren.
Die Festival-Direktorinnen von Queertactics sind bereits auf der Suche nach einer besseren Audiodeskription für die ohrenbetäubenden Sounds in »Todo El Silencio« – das bekundeten sie jedenfalls lautstark im Anschluss an die Diskussion. Katja Wiederspahn und Dagmar Fink präsentierten den queeren Liebling aus Mexiko am Mittwochagabend im Metro-Kinokulturhaus in Anwesenheit der Darstellerin Ludwika Paleta und einer Gebärdendolmetscherin. Die filmischen Charaktere verbinden Gebärdensprache mit gesprochenem Spanisch – und stellen die eindimensionalen Erwartungshaltungen einer ableistisch ausgerichteten Gesellschaft damit immer wieder infrage.
»All The Silence« handelt von der Gebärdensprachlehrerin und Schauspielerin Miriam, die als CODA – Child of Deaf Adults – in der lokalen Gehörlosengemeinschaft fest verankert ist. Als sie erfährt, dass sie ihr Hörvermögen verlieren wird, mehren sich die akustischen Ereignisse im Film – von der dröhnenden Klangkulisse infolge von Hyperakusis bis hin zum hörsturzbedingten Fiepen im Ohr. Die wachsenden Spannungen zwischen Miriam und ihrer gehörlosen und doch sprechenden Partnerin kulminieren in einer finalen Szene: »I don’t understand you«, heißt es kurz vor der Abblende. Miriam antwortet damit ihrem filmischen Gegenüber – und zugleich dem fragenden Blick des Publikums.
In diesem Jahr wurde Queertactics fünf Jahre alt. Durch den Zuwachs an Sponsor*innen erhielten die Festivalorganisatorinnen ein finanzielles Standbein und konnten auch Gäst*innen aus dem Ausland einladen; für viel mehr als zwei reicht es, wie Dagmar Fink im Gespräch betont, jedoch nicht. Gemeinsam mit Gabi Frimberger von den Wiener Frauenfilmtagen hat sie vor Jahren eine Vorform von Queertactics initiiert – dank einer kleinen Förderung konnten nicht-heteronormative Filme erstmals abseits des Rahmenprogramms gezeigt werden.
Seine feministische Grundierung hat das Festival bis heute nicht verloren, und es verleugnet seine Herkünfte nicht. Der brasilianische Spielfilm »Baby« von Marcelo Caetano, der am Sonntagnachmittag im Admiral-Kino lief, war der »Schwulenquote« geschuldet, meinte Ko-Direktorin Katja Wiederspahn lachend. Bei den moderierten Gesprächen im Anschluss an die Screenings waren auch in diesem Jahr Menschen aus dem gesamten LGBTIQ+-Spektrum präsent – von Eva Fels (Verein TransX), Dani Baumgartner vom feministischen Informations- und Bildungszentrum Frauensolidarität bis hin zu zwei sich als transmaskulin identifizierenden Künstlern vom Wiener Voguing-Verein trans*motion. Letztere kommentierten das Screening des Dokumentarfilms »The Aggressives« von 2005, der in Erinnerung an die im letzten Jahr verstorbene Queerfilmfestivalpionierin Barbara Reumüller gezeigt wurde.
Dem Anschein nach ist es ganz einfach: Man schreite auf einer gedachten Linie möglichst geradlinig durch den Raum und beginne dabei jeden Schritt mit dem Fußballen. Auf diese Weise aufzutreten, nimmt Einfluss auf die gesamte Körperhaltung: Becken und Schultern kippen zurück, ein Hüftschwung entwickelt sich – und genau darauf kommt es beim Voguing an. Vorausgesetzt, es handelt sich um eine der Kategorien, die auf die Darstellung von Femininität abzielen. Seit dem Erscheinen von Jennie Livingstons Dokumentarfilm »Paris is Burning« (1990), der schwarze Queens und ihre Houses zeigt, hat die queere Ballroom-Kultur ihre Kategorien vervielfältigt.
In Daniel Peddles »The Aggressives« laufen schwarze Frauen, die als Männer leben, in der »Butch«-Kategorie über die Bühne. Sie schleppen Ziegel, stellen Bauarbeiter oder Wall-Street-Brokers dar und bezeichnen sich selbst als »AGs«, kurz »Aggressives«. Abseits davon begehren sie vieles – vor allem aber andere Frauen. Bei ihren Walks steht ihre Credibility jedes Mal aufs Neue auf dem Spiel: Nur wer glaubwürdig durchgehen kann, wird zum gefeierten Star. »Being a butch means doing a man’s job« lautet einer der Zwischentitel in »The Aggressives«, der heute als Klassiker des Queer Cinema gilt. Die Fortsetzung beginnt 25 Jahre später und setzt die selbstbewusste Butch-History nicht fort. Abseits des Rahmenprogramms wollen Katja Wiederspahn und Dagmar Fink ihre unvorhersehbaren Transformationen demnächst ins Licht rücken – als Doku-Sequel-Follow-Up mit Zeitlücke dazwischen.
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