- Berlin
- Internationaler Tag gegen Gewalt
Femizide bekämpfen heißt Prävention
Keine Kürzungen und eine bessere soziale Infrastruktur: Das fordern Aktive im Gewaltschutz für Frauen anlässlich des 25. Novembers
Am kommenden Montag, dem 25. November, demonstrieren in Berlin zahlreiche Organisationen zum internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen. Sie fordern eine sichere Finanzierung, auch von Präventionsarbeit. Die wird dringend benötigt, denn Gewalt gegen Frauen ist bis hin zur schlimmsten Form allgegenwärtig: In der Hauptstadt wurden laut Aussagen der Innensenatorin Iris Spranger (CDU) zwischen Januar und September dieses Jahres 28 Frauen ermordet, weil sie Frauen sind. Man spricht auch von Femiziden: Morde an Frauen aufgrund ihres Geschlechts. Die letzten mutmaßlichen Opfer sind eine 31-jährige Frau und ihre beiden Kinder aus Marzahn, die am 3. November ermordet wurden.
2023 wurden deutschlandweit 360 Femizide verübt. Das geht aus dem aktuellen Lagebericht des Bundeskriminalamts (BKA) hervor. Laut den BKA-Daten hat die Zahl an Femiziden in den vergangenen Jahren zugenommen. Ob diese Zahlen der Realität entsprechen, lässt sich nicht eindeutig sagen. Das hängt auch von der Definition des Begriffs ab, auf die sich Behörden stützen.
- Frauenhaus-Vermittlung über die
BIG-Hotline: 030 611 03 00. Unter dieser Nummer können auch Angehörige Hilfe
und Beratung erhalten. - Es gibt ein bundesweites »Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen«. Die Nummer 116 016 ist kostenlos und rund um die Uhr erreichbar. jme
Fredericke Leschner und Elena Rausch, die für die Kriminologische Forschungs- und Dokumentationseinrichtung des Bundes arbeiten, sprechen in dem 2022 erschienenen Buch »Femizid« von einem »nicht unerheblichen Anteil« von Morden an Frauen, bei denen das Geschlecht »ausschlaggebend« für die Tötung ist – »sei es in der Position als Ehefrau oder Tochter oder beispielsweise bei Tötungen mit sexueller Motivation«, schreiben sie. »Die Tatsache, dass Frauen zu einem großen Teil im familiären Kontext durch Partner*innen und Verwandte getötet werden, lässt es zu einem sozialen Phänomen werden und macht eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Thema unter Berücksichtigung des Geschlechtsaspekts notwendig«, schreiben die Autorinnen.
Der Mord an einer Frau aufgrund ihres Geschlechts ist die hässlichste Fratze des Patriarchats. In anderer Form zeigt es sich in physischer Gewalt wie Vergewaltigungen oder Schläge. Auch psychische oder emotionale Gewalt gehört dazu – ein Thema, dem die Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG) in einer am 3. Dezember startenden Kampagne mehr Öffentlichkeit verschaffen will.
Nua Ursprung ist Referentin für Öffentlichkeit bei BIG. Ursprung erklärt im Gespräch mit »nd«, welche Formen psychische Gewalt annehmen kann. Da seien zum Beispiel Drohungen: »die Kinder wegzunehmen«, »deinen Aufenthaltsstatus zu gefährden« oder »dir wehzutun«, wie sich in großen Lettern in einem kleinen Videospot der von Ursprung entwickelten Kampagne lesen lässt. Das Video soll bereits ab dem 25. November an den Berliner Bahnhöfen laufen.
Auch das »Kontrollieren von Handys« oder »extreme Eifersucht« ist laut Ursprung gewaltvoll. »Die Idee der Kampagne ist, Menschen verschiedene Identifikationsflächen zu bieten«, erklärt sie. In einfacher Sprache will BIG mit dem »Stereotyp des blauen Auges als bekannteste Form häuslicher Gewalt« brechen. Häusliche Gewalt beginne nämlich in der Regel mit psychischer Kontrolle.
Zur Gewalt gegen Frauen gehöre außerdem das »Freunde verbieten«, »Geld wegnehmen«, das »Auflauern« oder »Drohen«, wie sich auf einem der Plakate zur Kampagne lesen lässt. Es äußere sich auch in Formen wie »gegen den Willen anfassen«, »schlagen«, »würgen«, »beleidigen« oder »schubsen«, wie ein weiteres Plakat erklärt.
Ursprung sagt, es sei wichtig, von Gewalt betroffene Frauen nicht als hilflose Opfer zu zeichnen. »Sich Hilfe zu holen, ist ein sehr starker Schritt«, sagt die BIG-Referentin. Doch viele wissen nicht, wo oder wie. Hinzu käme, dass es strukturelle Ursachen hat, warum sich Frauen oft nicht aus gewaltvollen Beziehungen lösen können: »keine neue Wohnung«, »nicht genug Geld«, »gemeinsame Freunde« oder einfach nur das Festhalten an dem Versprechen »er will sich ändern« – auch diese Beispiele sind auf einem der Plakate ab Dezember im öffentlichen Raum zu lesen.
Rund um die Uhr bietet BIG eine Hotline an, um Frauen zu beraten und in Frauenhäuser weiterzuvermitteln – wenn es Platz gibt. 963 Schutzplätze in Frauenhäusern und Zufluchtswohnungen müsste der Senat laut Istanbul-Konvention zum Schutz vor Gewalt für Frauen bereitstellen. Laut Ursprung gebe es derzeit 492. Seit Monaten verzeichnet die Hotline außerdem eine erhöhte Anzahl an Anrufen.
Ein weiteres Problem für BIG ist die unsichere Finanzierung. »Für uns ist nicht hundertprozentig klar, ob wir von Kürzungen betroffen sind«, sagt Ursprung. Die von der Senatsverwaltung für Soziales und Gleichstellung geförderten Projekte, darunter die Plakat-Kampagne, seien sicher. Andere hingegen sind über den stark von Kürzungen betroffenen Etat der Bildungsverwaltung finanziert und unsicher. Außerdem fehle nach wie vor eine Finanzierung der durch die Tariferhöhung gestiegenen Lohnkosten, sagt Ursprung. »Das kommt de facto einer Kürzung gleich.«
Zu den unsicher finanzierten Angeboten gehören solche zur Prävention, damit Femizide gar nicht erst stattfinden. Diese richten sich zum Beispiel an Kinder, um sie vor häuslicher Gewalt zu schützen. BIG bietet auch Fortbildungen für Lehrkräfte oder Infoveranstaltungen für Eltern an.
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Kürzen, wenn die registrierten Fallzahlen steigen, und das trotz Ratifizierung der Istanbul-Konvention, die auch Präventionsarbeit vorschreibt – das entsetzt viele Aktive aus dem Gewaltschutz. Zum diesjährigen internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen rufen diverse Berliner Gruppen zur Demonstration auf, um Femizide zu bekämpfen. BIG beteiligt sich, wie auch der Paritätische Wohlfahrtsverband, die Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser oder der Dachverband der Migrantinnenorganisationen. Die Demonstration startet am 25. November um 16 Uhr vor dem Abgeordnetenhaus.
»Wir sind fassungslos und wütend, dass hochrangige Politiker*innen sich im Wahlkampf lieber an Gendersternchen abarbeiten, als dort anzupacken, wo es offensichtlich notwendig ist«, heißt es in dem Aufruf. Es brauche schnellstmöglich ausreichend finanzielle Mittel zum Ausbau des Hilfesystems statt Sparzwang. Der Aufruf zur Demonstration bezieht sich explizit auf die sofortige Umsetzung des Landesaktionsplans mit 130 Maßnahmen zum Schutz und zur Prävention.
Zur »revolutionären Vorabenddemonstration« ruft bereits am 24. November die Frauenorganisation »Zora« ab 17 Uhr am S-Bahnhof Frankfurter Allee auf. Die Aktivist*innen sprechen ebenfalls von den Facetten der Gewalt, die sich bereits im »Schubsen im Streit«, »psychischen Terrror« oder durch »sexualisierte Übergriffe« zeigten, bevor diese »nicht selten« im Femizid mündeten. Auf der Demonstration sind keine Männer erwünscht.
Eine weitere Demonstration zum 25. November ist die der Alliance of Internationalist Feminists. Unter dem Motto »Widerstand beginnt mit allen notwendigen Mitteln« startet diese um 18 Uhr am Oranienplatz in Kreuzberg. Der Aufruf erinnert an Widerstandskämpferinnen wie die Bürgerrechtlerin Assata Shakur, die Guerrillera Sakine Cansiz oder Leila Khaled, die zur Volksfront zur Befreiung Palästinas gehört. Femizide werden nicht thematisiert.
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