Im falschen Film bei der Weltklimakonferenz

Für diese Art Gipfeldiplomatie ist das Thema viel zu wichtig – Impressionen aus Baku

Ein weiblicher Eisbär auf einem Felsen in der kanadischen Provinz Manitoba
Ein weiblicher Eisbär auf einem Felsen in der kanadischen Provinz Manitoba

Es gibt Momente auf einem Klimagipfel, da wähnt sich der Berichterstatter im falschen Film. Ein solcher Moment kam in den Katakomben des Bakuer Nationalstadions, als zwei Animateure in aufgeblasenen Eisbärenkostümen herumhüpften und Vorbeigehende einluden, sich mit ihnen fotografieren zu lassen – vor dem Aufsteller ihres Auftraggebers »Nuclear for Climate«, einer angeblichen Grassroots-Initiative, die andere für die Kernenergie erwärmen möchte.

Wirkliche Klimaschützer haben Eisbären als Klimawandelsymbol längst entsorgt. Zu traurig ist das Schicksal der stattlichen Tiere, deren Lebensraum ihnen von der Menschheit buchstäblich unter den Tatzen weggeschmolzen wird – und zwar so schnell, dass daran auch Hunderte neue Atomkraftwerke nichts ändern würden. Das nukleare Versprechen ist ein falsches.

Will die Welt noch an der 1,5-Grad-Grenze dranbleiben und sollen auch Eisbären noch eine kleine Chance haben, müssen die Treibhausgasemissionen bis 2030 um etwa 40 Prozent herunter. Der einzige Weg dahin ist, schnell aus der fossilen Energiewelt auszusteigen und an diese Stelle die Erneuerbaren zu setzen. Das meint die globale Klimapolitik mit dem Begriff »Energy Transition«. Beim Vorgängergipfel COP 28 in Dubai gaben die Staaten deshalb das Versprechen zu einer »transition away« ab, zu einem Übergang weg von den fossilen Energien Kohle, Öl und Gas.

In dem Punkt waren die bis zum offiziell geplanten Ende der 29. Weltklimakonferenz am Freitag vorgelegten Papiere eine einzige Enttäuschung, sagen Expert*innen. Wort für Wort haben sie Hunderte von Paragrafen der Beschlussentwürfe durchforstet und fanden nur eher indirekte Hinweise, dass Baku fossil nicht hinter Dubai zurückfällt.

Mit einem desaströsen Gipfel-Ergebnis bei der Treibhausgasminderung würden aber auch mögliche Einigungen bei der Klimafinanzierung auf falsche Versprechen hinauslaufen. Der Grund: Eine fortschreitende Erderwärmung wird die Kosten für Klimaanpassung wie auch für eingetretene Klimaschäden rasch in astronomische Höhen treiben. Da werden selbst Hunderte von Milliarden Dollar schnell zu Peanuts.

Genau davor, war auf den Verhandlungsfluren der Konferenz zu hören, haben die Industrieländer geradezu einen Horror. Dazu kommen ihre vielfach klammen Haushalte.

Selbst deutsche Politiker*innen schauten in Baku stets darauf, wie ihre Klimagaben in der politisch aufgeheizten Heimat ankommen. Wegen der innenpolitischen Lage sollte immer auch versprochen werden, Ausgaben für den globalen Klimaschutz würden sich positiv für die Menschen in Deutschland auswirken, hieß es. Und wurden von Deutschland hier und da ein paar Millionen für verschiedene Klimafonds zugesagt, gehen diese Gelder, wie man versicherte, nicht zu Lasten des Bundeshaushalts 2025, sondern waren bereits im Haushalt 2024 vorgesehen. Das Versprechen ist nicht falsch, nur bestehen solche Zusagen mitunter auch in Verpflichtungsermächtigungen für kommende Bundeshaushalte, engen also künftige Spielräume ein.

So oder so haben die Industrieländer vielfache Motive, ihre festen Zusagen zum neuen globalen Ziel für die internationale Klimafinanzierung, die sie vor allem aus ihren Haushalten zu bezahlen haben, möglichst niedrig zu halten. Am Samstag war in Baku die Summe bei 250 Milliarden Euro vorerst zum Stehen gekommen. Das Versprechen gilt, um das klarzustellen, sogar erst fürs Jahr 2035, und die Industriestaaten wollen es auch nicht allein erfüllen, sondern dabei nur eine Führungsrolle innehaben.

Die Summe ist so provokativ klein, dass man sich im falschen Film wähnte. Klimaaktivistin Line Niedeggen kritisierte die Industriestaaten, deren Wohlstand auf Kohle, Öl und Gas basiere, für ihre Blockade bei der Finanzierung. Oft würden sich die Industrieländer als Vorreiter in Sachen Klimaschutz präsentieren und die Schuld am stockenden Fossil-Ausstieg auf »die Ölstaaten« schieben, sagt Niedeggen von den Climate Activist Defenders. Dabei seien die USA der größte Öl- und Gasproduzent der Welt.

Dass der Gipfel so sehr von der fossilen Lobby bestimmt wurde, verwundert auf den ersten Blick nicht, fand er doch in einem Ölstaat statt. Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit: Aserbaidschan liegt bei der Erdölförderung weltweit etwa auf dem 25. Platz. Und wer Öl exportiert, braucht auch Kunden – die größten Abnehmer aserbaidschanischen Öls sind Italien, Indien, Israel und Spanien.

Zusätzlich zu fossilen Interessen wurde der Klimagipfel von weltpolitischen Unsicherheiten belastet: Kriegerische Auseinandersetzungen in mehreren Weltteilen, die Trump-Wahl in den USA, die noch wenig handlungsfähige EU-Kommission und auch das Aus für die deutsche Ampel-Regierung stellten hohe Hürden für die Klimadiplomatie auf. Diese waren auch für das Gastgeberland zu hoch. Aus Leidenschaft für den Klimaschutz holte Aserbaidschan den Gipfel ohnehin nicht nach Baku, sagten Verhandler*innen. Der Autokratie gehe es vor allem um ihre Reputation und ihr internationales Ansehen.

Leider zeigte sich, wie ebenfalls zu hören war, die Gipfelpräsidentschaft lange beratungsresistent und wenig kompromissfähig. Ein Scheitern des Gipfels wollte sich die aserbaidschanische Führung schon aus Imagegründen aber auch nicht leisten – wie man sich hier herauswinden wollte, war bis Samstag zumindest noch völlig unklar.

Für diese Art Gipfeldiplomatie ist das Klima aber das falsche Thema. Am Ende sitzen alle Staaten in einem Boot, auch die sogenannten reichen Länder, die sich derzeit die Extremwetterschäden noch irgendwie leisten können, aber auch nicht mehr lange. Diese Erkenntnis setzte sich aber ebenfalls in Baku noch nicht durch. Die Blicke richten sich insofern schon auf den nächsten Weltklimagipfel Ende nächsten Jahres in Brasilien.

Unabhängig vom konkreten Ergebnis der Baku-Konferenz: Nach ihr kommt es entweder zu einem Neustart der globalen Klimapolitik oder diese zerfällt in eine Politik, wo sich jeder selbst der Nächste ist. Und mit den Eisbären ist es dann ohnehin vorbei.

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