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Literaturforum: Im Namen von Recht und Ordnung
Das Literaturforum im Brecht-Haus in Berlin widmete sich der Geschichte der Polizei
Ganz Berlin interessiert sich für die Polizei? Nicht ganz Berlin, aber ein paar Interessierte waren es doch, die sich Mitte November im Literaturforum im Brecht-Haus zusammengefunden hatten – zum Themenabend »Polizey«. Die altertümliche Schreibweise ist nicht nur ein vom Hausherrn entlehnter Verfremdungseffekt, sondern ruft zugleich eine literarische Tradition auf, die bis in die Weimarer Klassik reicht. Friedrich Schiller, der bereits mit »Die Räuber« und »Der Verbrecher aus verlorener Ehre« dem Verbrechen schreibend auf der Spur war, wollte ein großes Drama mit dem Titel »Die Polizey« schreiben. Es blieb jedoch bei dem Versuch, das Stück existiert nur als Fragment.
Schiller meinte mit »Polizey« weit mehr, als man sich heute so unter der Polizei vorstellt, nämlich die gesamte Verwaltung eines modernen Territorialstaates, die der Durchsetzung des bürgerlichen Rechts dient. Aufgefallen war das einigen französischen Philosophen im späten 20. Jahrhundert, die sich fragten, wie Menschen drauf sein müssen, damit sie überhaupt machen, was die Macht von ihnen verlangt. So hat Michel Foucault in seinen Beobachtungen zur Gouvernementalität den Schiller wieder ausgegraben. Und auch Jacques Rancière hat in seinem Klassiker »Das Unvernehmen« diesen weiten Begriff der Polizei wiederbelebt, als einen Gegenbegriff zur Politik.
Der Abend im Brecht-Haus schlug einen intellektuellen Bogen von Schillers Zeiten bis zur Gegenwart. Und das mit den Mitteln der Kunst und der Theorie. Von dem Dramatiker Björn SC Deigner stammt das Theaterstück »Die Polizey«, das den Schiller-Verweis bereits im Titel trägt und sich als eine Fortschreibung bis ins Heute versteht. Es wurde 2020 am Bamberger Theater uraufgeführt, kurz nachdem in den USA wieder einmal ein junger Schwarzer durch Polizisten zu Tode gebracht wurde und es landesweit gewaltige Proteste gegeben hatte. Luise Vogt hat aus Deigners Text ein preisgekröntes Hörspiel gemacht, das an diesem Abend präsentiert wurde.
»Die Polizey« von Deigner und Vogt beginnt in Paris nach der Französischen Revolution, als sich die Polizei als moderne Institution herausbildet und die lokalen Gerichtsbarkeiten aus der Feudalzeit ablöst. Und wie man ahnt, sind die Geburtsstunden solcher Institutionen kein biblisches Scheiden zwischen Tag und Nacht, sondern ein diffuses Gebiet jenseits von Gut und Böse. Wie bei Balzac, wo die größten Verbrecher zum Polizeichef werden, erscheint die Polizei als diejenige unter den bewaffneten Banden und Cliquen, die vom Staat alimentiert wird, um die anderen Banden, die es mit dem staatlichen Monopol der Gewalt nicht so genau nehmen, zu überwachen und zu verfolgen.
Die Durchsetzung des Gewaltmonopols und die Überwachung des »Gesellschaftskörpers« führen durch die funktionale Differenzierung dazu, dass die Polizei zu einem Staat im Staate wird – die Gewalt schlägt Recht, im Namen von Recht und Ordnung. Das führt so weit, dass die Polizei immer wieder durch Übergriffe auf Einzelne oder Gruppen auffällt, die nicht in die bürgerliche Gesellschaft passen oder an dieser rütteln, weil sie die Idee einer besseren Gesellschaft vom Kopf auf die Straße tragen. In dem Hörspiel erfährt man, wie die Polizei bei den Verbrechen der Nazis mittut, sich mit Neonazis gemein macht oder bei deren Verbrechen wegschaut. Erschütternd.
In seinen Zeichnungen hat Johannes Weilandt die Verselbstständigung des Polizeikörpers eingefangen. Mit feinen Strichen hat der bildende Künstler schemenhafte Szenen von Polizeieinsätzen geschaffen. Bewusst ausgelassen hat Weilandt jene, die gerade niedergerungen oder umgehauen werden. Durch diese Leerstelle tritt, ästhetisch verfremdet, die Gewalt solcher Einsätze deutlich hervor. Das wiederum wirft die Frage auf, womit man es bei der Polizei zu tun hat, die ja in Berlin künftig immer mehr Mittel bekommen soll, während die Kultur – immerhin ein sehr großer Wirtschaftszweig in Berlin – von der Regierung kaputtgekürzt wird.
Nicht von der Kunst, sondern von der Theorie hat sich Debora Darabi der Polizei genähert. In ihrem dichten Vortrag fährt sie Marx, Engels und Luxemburg auf, um zu zeigen, dass die Gewalt der Polizei nicht zu trennen ist von der Gewalt der kapitalistischen Produktionsweise. Ihr Argument: Wo Menschen ohne Eigentum zur Lohnarbeit am Privateigentum anderer Menschen gezwungen sind, braucht es Zwangsmittel, die auch dann funktionieren, wenn die Ideologie nicht verfängt. Ihre theoretischen Hauptfeinde: der Reformismus und der Abolitionismus, also die Vorstellungen, es könne unter den heutigen Verhältnissen eine bessere oder gleich gar keine Polizei mehr geben.
So ist man als Zuschauer und -hörer am Ende zweierlei: Einerseits durch die Kunst mit der Geschichte der Polizei konfrontiert, andererseits durch die Theorie über ihre Funktion aufgeklärt. Und selbst wer dachte, man erfahre alles, was man über die Polizei im 21. Jahrhundert wissen müsse, in David Simons genialer Fernsehserie »The Wire«, wird an diesem Abend, moderiert von nd-Redakteur Erik Zielke, eines Besseren belehrt. In einer Zeit, in der die »polizeiliche Logik« sich auch im Alltag ausbreitet, ist es dringend geboten, über die Polizei, ihre Geschichte und ihre Funktion nachzudenken – es helfen dabei Schiller oder Marx, Foucault oder Rancière.
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