Lauter als Gott

Dem Vergessen entrissen: Eine Einladung, mal wieder Blue Cheer zu hören

  • Frank Schäfer
  • Lesedauer: 7 Min.
Im Kampf gegen die Windmühlen des Rockgeschäfts: Blue Cheer, 1968 in den Niederlanden
Im Kampf gegen die Windmühlen des Rockgeschäfts: Blue Cheer, 1968 in den Niederlanden

Dickie Peterson lässt sich am Ende in Deutschland nieder und arbeitet im Brotjob als Lagerist. Wenn mal wieder ein paar Konzerte am Stück anstehen, nimmt er sich Urlaub. Der Konzert-Veranstalter Kalle Becker bucht Blue Cheer 2000 für das Burg-Herzberg-Festival und wird dann auch so eine Art Agent für die Band. Becker vermittelt ihr unter anderem eine Japan-Tour. »Da war Peterson dann der Gott für zwei Wochen, und danach ist er wieder zurück in sein Lager nach Hannover und seinem Job nachgegangen«, erzählt Gunter Lorz, der Pressemann des Festivals.

Die Anfänge der 1966 in San Franciso gegründeten Band sahen weitaus glamouröser aus. Jim Morrison von den Doors bezeichnete sie einmal als »mächtigste Band, die ich je gesehen habe«. Hartnäckig hielt sich zudem das Gerücht, sie seien »lauter als Gott«. Zur wilden Krach-Aura gehört auch die Anekdote, die der Musikjournalist Lester Bangs gerne erzählte. »Ein Freund von mir hatte einen Plattenspieler, der den Plattenteller in entgegengesetzter Richtung drehen konnte; als wir das erste Album von Blue Cheer, ›Vincebus Eruptum‹, rückwärts spielten, hörte man keinen Unterschied zu vorwärts.«

Man hat sie immer wieder mit dem Psychedelic Sound der Spätsechziger in Verbindung gebracht. Das stimmt schon in gewisser Weise, sie benannten sich schließlich nach einem LSD-Derivat, mit dem sie der Hippie-Chemiker Owsley Stanley großzügig belieferte, hingen mit den Merry Pranksters ab und Drummer Paul Whaley war eine Weile mit Janis Joplin liiert – aber die Haight-Ashbury-Szene ist vor allem der Nährboden, aus dem sich das Monster erhebt. »Zuallererst waren wir eine laute, voll reinhauende Rock’n’Roll-Band, Mann«, diktiert Dickie Peterson, der Gangleader, zwei Jahre vor seinem Tod dem Interviewer der »Pittsburgh Post« in die Feder. »Unser einziges Ziel war es, Musik zu machen, die mindestens genauso ein physisches wie ein akustisches Erlebnis war.« Es sollten die Schlaghosen schlackern.

Deshalb trug das zweite Album 1968 auch den Titel »Outsideinside« – weil einige Songs der Legende nach so höllenmäßig phonstark waren, dass man sie nur draußen aufnehmen konnte. Dabei war »Outsideinside« schon etwas handzahmer, moderater und songorientierter als ihr gewaltiger Aufschlag »Vincebus Eruptum«. Trotzdem klingen sie immer noch wie eine ungeschlachte, brutale Jimi Hendrix Experience.

Das kommt dem Label Philips zu Ohren, und das schickt sie sofort ins Studio. Sie haben noch gar nicht genügend eigenes Material, also müssen Coversongs her, Eddie Cochrans »Summertime Blues« erweist sich als Glücksgriff. »Wir haben es ständig verändert, Teile hinzugefügt und entfernt. Es waren auch große Dosen LSD im Spiel«, meinte Peterson später. Wie auch immer, diese wilde, verwahrloste Singleauskopplung bringt es auf Platz 14 der Billboard-Charts, und der Erfolg trägt ihr Debütalbum »Vincebus Eruptum« sogar auf Platz 11.

Noch sind die Kritiken gut, aber das ändert sich bald. Blue Cheer waren der Presse nie ganz geheuer. Das lag nicht zuletzt auch daran, dass ihr Manager Allen »Gut« Terk ein ehemaliges Mitglied der Hells Angels war, sie galten schlicht als unsichere Kantonisten. Dickie Peterson ließ in einem späteren Interview verlauten, dass sie zwar gegen den Vietnamkrieg opponierten und der konservativen Regierung unter Nixon, nicht zuletzt wegen ihrer verschärften Drogen-Politik, einen Stinkefinger zeigten, aber mit den Flower-Power-Traumschlössern auch nichts am Hut hatten.

»Es war leicht, uns zu hassen«, räumte Gründungsgitarrist Leigh Stephens später ein. Der erklärte Temperenzler beklagte sich einmal zu oft über den laxen Umgang seiner beiden Mitspieler mit Booze und Drogen und wurde dafür schließlich vor die Tür gesetzt. Von nun an rotiert das Personalkarussell in gleichbleibender Geschwindigkeit. Ab 1969 bis zur ersten Auflösung 1975 vergeht fast kein Jahr ohne Besetzungswechsel. Am Ende ist nicht einmal mehr Bandgründer Dickie Peterson dabei.

Diese Inkonsistenz wirkt sich natürlich auf die Songs aus. Das dritte Album »New! Improved!« (1969) verspricht einiges und hält wenig. Die erste Seite überrascht mit gut produziertem, zurückgelehntem Country Rock, die zweite Seite ist näher dran am ursprünglichen Blue-Cheer-Sound, klingt aber für ihre Verhältnisse viel zu lasch, eher wie eine Kreuzung aus Velvet Underground und Cream. Wo ist die destruktive Energie bloß hin?

Das fragt man sich auch beim nächsten Album. »Blue Cheer« aus demselben Jahr fährt weiter auf der Mainstream-Rock-Schiene und erinnert eher an ein konventionelles Rolling-Stones-Album jener Zeit, nur ohne die Hits. Gut, »Fools« und »Rock And Roll Queens« könnte man schon auf Classic-Rock-Sendern spielen. Hier hat bereits Gitarrist Gary Lee Yoder seine Finger im Spiel, der auf »The Original Human Being« (1970) die Gitarre übernimmt und auch die meisten Songs singt. Man hat den Eindruck, als würde die Band Dickie Peterson langsam aus den Händen gleiten. Die leidlich harten Songs »Good Times Are So Hard To Find«, »Make Me Laugh« oder »Pilot« sind mit ihren Orgelbreitseiten eher Steppenwolf als Blue Cheer. Noch dazu kopieren sie hier gleich mehrfach den Stax-Sound mit ranschmeißerischen Soul-Bläsern. Etwas Blues und Boogie ist natürlich auch immer dabei und ein versponnen-hippieskes Sitar-Instrumental, »Babaji (Twilight Raga)«, das wie die Verhöhnung ihres eigenen Frühwerks klingt.

Beim letzten Album vor der Auflösung, »Oh! Pleasant Hope« (1971), wissen sie überhaupt nicht mehr, ob sie lieber The Band oder die Rolling Stones sein wollen. Die alten Blue-Cheer-Fans haben sie mit ihren diversen Häutungen verloren und zu wenig neue dazu gewonnen. Angesichts der sinkenden Verkaufszahlen gibt es für Philips keine besondere Notwendigkeit, ihnen einen weiteren Vertrag zu offerieren, und so macht Peterson erst mal den Laden dicht.

Allerdings hat der Name noch immer einen guten Klang, also unternimmt er bald wieder Versuche, Blue Cheer zu reanimieren. Mit neuem Personal arbeitet er an frischen Songs, sie spielen Demos ein, aber die Verhandlungen mit den Labels scheitern allesamt. Blue Cheer wird eine On-Off-Beziehung für viele Jahre. Erst als sich in Folge des 80er-Metal-Hypes Jon und Marsha Zazula vom Megaforce-Label an die alten Krachmaten erinnern und sie 1984 für ein Album signen, kommt wieder etwas mehr Kontinuität in ihre Arbeit.

Das Reunion-Album »The Beast Is Back« enthält endlich wieder neue Songs, der Sound ist zeitgemäß dreckig und der neue Gitarrist Tony Rainier zeigt den beiden Veteranen Peterson und Whaley den Weg in die Moderne. Es liegt sicherlich auch an Mitproduzent Carl Canedy, dass sich Blue Cheer jetzt ein wenig nach dessen Stammband The Rods anhören. Mit etwas mehr Mut und komplett neuem Material hätte man vielleicht sogar Anschluss finden können an die aktuelle Szene, doch die vielen alten Songs sind eben trotz der Runderneuerung hörbar Relikte einer anderen Zeit, und so floppt das Album auf ganzer Linie.

Ein Jahrzehnt später hätte man vielleicht eher damit punkten können, die Grunge- und bald darauf auch die Stoner-Rock-Szene, also Bands wie Mudhoney, Melvins oder Kyuss, führen Blue Cheer in ihrer Ahnenreihe. Mit Mudhoney sind sie dann auch in Europa unterwegs. In den späten Achtzigern und Neunzigern wird das ihr Hauptwirkungskreis. Mittlerweile gehören sie zu den Oldie-Bands und touren regelmäßig an der Seite von Generationskollegen wie Mountain, Groundhogs oder Ten Years After durch die Provinzen.

Dickie Peterson stirbt am 12. Oktober 2009 an Prostatakrebs, zwei Jahre zuvor war das letzte Album »What Doesn’t Kill You ...« erschienen. Ein letzter scharfkantiger Stoner-Brocken, den wieder nur die Eingeweihten wahrnehmen. Peterson lässt sich seine Laune davon nicht verderben. »Bei ihm dachte man immer, er sei ein finsterer Rocker«, erinnert sich Gunter Lorz, »aber wenn du den kennengelernt hast, nach drei Minuten hast du ihm dein Kind anvertraut. Der hat keinen Wert darauf gelegt, dass er mal mit ›Summertime Blues‹ einen Riesenhit hatte.« Mit dem Song war er schon lange im Reinen. »First we loved it, then we hated it, now we’re used to live with it«, soll er gesagt haben.

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