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Troubles in Tbilisi
Ausland übt Kritik am Anti-EU-Kurs der georgischen Regierung
Protestwochenende in Georgien: Nachdem Premierminister Irakli Kobachidse am Donnerstag erklärte, die Beitrittsgespräche der Südkaukasus-Republik bis 2028 auf Eis zu legen und bis dahin auch keine Gelder aus Brüssel anzunehmen, gingen am Wochenende im ganzen Land Menschen gegen Kobachidses Regierungspartei Georgischer Traum und deren politischen Kurs auf die Straße.
In der Hauptstadt Tbilisi, wo sich mehrere Tausend Menschen versammelt hatten, kam es am Samstagabend zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei. Die Polizei setze Schlagstöcke, Wasserwerfer und vermutlich auch Gummigeschosse ein. Die Demonstranten beschossen ihrerseits das Parlament und die Sicherheitskräfte mit Feuerwerksraketen, steckten dabei mehrere Parlamentsräume in Brand. Auch Steine kamen zum Einsatz.
Gewaltsame Zusammenstöße in Tbilisi
Nach Polizeiangaben wurden am Wochenende allein in Tbilisi 200 Menschen wegen »Ungehorsams gegenüber rechtmäßigen Polizeianordnungen und geringfügigen Rowdytums« verhaftet, 27 Protestierende sollen verletzt worden sein. Erfasst wurden allerdings nur Menschen, die in Krankenhäusern behandelt wurden. Die Zahl der Verletzten dürfte weit höher sein.
Angesichts der Bilder und des Vorgehens der Demonstranten (in der Nacht zum Samstag übernachteten mehrere Menschen in Zelten auf der Straße) wurde in sozialen Medien bereits von einem neuen Maidan gesprochen. Auch in Kiew gingen die Menschen 2013 nach dem Stopp der EU-Annäherung auf die Straße.
Premierminister: Kein Maidan in Georgien
Soweit werde es aber nicht kommen, sagte Kobachidse am Samstag. »Im Gegensatz zur Ukraine 2013 ist Georgien ein unabhängiger Staat mit starken Institutionen und, das ist das wichtigste, mit erfahrenen und weisen Menschen. Georgien ist ein Staat und lässt das nicht zu«, so der Premier. Vielmehr seien europäische Politiker und eine lokale »Agentur« dafür verantwortlich, die Tbilisi unter Druck setzen würden. Die europäische Integration sei aber nicht gestoppt, sagte Kobachidse, vielmehr sollen ihr Steine in den Weg gelegt werden.
Zwischen Brüssel und Tbilisi herrscht Eiszeit, nachdem das georgische Parlament die umstrittenen Gesetze über »ausländischen Einfluss« und »LGBT-Propaganda« angenommen hatte. In einer Resolution verweigerten die Abgeordneten in Brüssel zudem die Anerkennung der Parlamentswahl vom 26. Oktober, bei der die Partei Georgischer Traum die absolute Mehrheit errang. Überschattet wurde die Wahl durch Betrugsvorwürfe. Die EU fordert deshalb einen neuen Urnengang. Diesen lehnt Kobachidse kategorisch ab.
Europäische Union droht mit Sanktionen
Am Freitag spitzte sich der Konflikt zwischen Kobachidse und der EU weiter zu, nachdem sich der EU-Botschafter Paweł Herczyński auf die Seite der Demonstranten geschlagen hatte. »Wir haben volles Verständnis für euren Zorn und eure Verzweiflung«, sagte Herczyński und zog damit den Zorn des georgischen Premiers auf sich. Auch, weil er die Polizeigewalt ansprach und verurteilte. Kobachidse drohte daraufhin dem EU-Vertreter mit »Maßnahmen«, sollte dieser sich weiter einmischen.
Am Sonntag brachte die neue EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas Sanktionen gegen Georgien ins Spiel. Es sei eindeutig, dass Gewalt gegen friedliche Demonstranten inakzeptabel sei und die georgische Regierung den Willen des georgischen Volkes sowie die georgische Verfassung respektieren sollte, sagte die frühere estnische Regierungschefin am Rande von Gesprächen in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Man werde gemeinsam mit den Mitgliedstaaten mögliche Konsequenzen erörtern. Als konkrete Beispiele nannte Kallas Sanktionen, aber auch Einschränkungen bei der Visavergabe.
Am Sonnabend hatten bereits die USA ihre strategische Partnerschaft mit Georgien vorübergehend ausgesetzt und die Entscheidung, den EU-Beitrittsprozess auszusetzen, als »Verrat an der georgischen Verfassung« bezeichnet.
Machtkampf zwischen Präsidentin und Premier spitzt sich zu
Angeheizt wird die Situation auch durch die Spannung zwischen Premier Kobachidse und Präsidentin Salome Surabischwili. Surabischwili, selbst mit Unterstützung des Georgischen Traums an die Macht gekommen, befindet sich seit Monaten im Streit mit Parlament und Regierung.
Die in Paris geborene und aufgewachsene Präsidentin hatte zuletzt sowohl den umstrittenen Gesetzen als auch der neuen Regierung ihre Anerkennung verweigert und sie als illegitim bezeichnet. Am Wochenende stellte sie sich erneut auf die Seite der Demonstranten und erklärte, ihr Amt nicht zum Jahresende aufgeben zu wollen, so wie es die Verfassung vorsieht. »Ich bleibe Ihre Präsidentin«, betonte sie. »Ein unrechtmäßiges Parlament kann keinen neuen Staatspräsidenten wählen, daher gibt es auch keine Amtseinführung, und mein Mandat verlängert sich bis zur rechtmäßigen Wahl eines Parlaments«, so Surabischwili.
Am 14. Dezember wird in Georgien eine neue Staatsspitze gewählt, erstmals nicht direkt, sondern in einer Wahlversammlung, der auch Vertreter der abtrünnigen Republik Abchasien angehören. Ende des Jahres werde Surabischwili nicht mehr Präsidentin sein, bekräftigte Kobachidse am Sonntag.
Die Lage in Georgien bleibt weiter angespannt. Am Sonntag gab es neue Protestaktionen, zu der Menschen aus dem ganzen Land nach Tbilisi kamen. In der Hafenstadt Batumi zogen Demonstranten zum Gerichtsgebäude, in dem gegen festgenommenen des Vortags verhandelt wurde.
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