Goethe vs. Friedrich: Die um den Mond kreisen

Eine Ausstellung in Weimar widmet sich der Beziehung Goethes zu Caspar David Friedrich und anderen Romantikern

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 7 Min.
Caspar David Friedrich malte gerne Wolken, aber nicht für Goethe: »Rügenlandschaft mit Meeresbucht«, Gouache über Graphitstift auf Velinpapier, 13 × 20,7 cm, um 1802
Caspar David Friedrich malte gerne Wolken, aber nicht für Goethe: »Rügenlandschaft mit Meeresbucht«, Gouache über Graphitstift auf Velinpapier, 13 × 20,7 cm, um 1802

Dieser 250. Geburtstag wurde groß begangen. Nun hat auch noch Weimar seine Ausstellung zu Caspar David Friedrich. Sie ist überschaubar und passt ins Schiller-Museum. Doch nicht zum naturfernen Idealisten Friedrich Schiller wird hier der Bogen geschlagen, sondern zu Johann Wolfgang von Goethe. Was den Maler und den Weimarer Dichterfürsten verbinde, sei die Romantik, so lautet eine der Prämissen dieser Ausstellung.

Goethe ein heimlicher Romantiker? Reflexartig möchte man da mit Goethes Verdikt über die Romantik antworten: »Das Klassische nenne ich das Gesunde, und das Romantische das Kranke.« Aber dabei stehen zu bleiben, griffe tatsächlich zu kurz. Denn wo, wenn nicht in den »Leiden des jungen Werther« (1774) kulminiert die Selbstermächtigung der Kunst stärker als in diesem Werk des jugendlichen Stürmers und Drängers? Auch der alte Goethe steht der Romantik nicht so fern, wie man vielleicht glauben möchte: Er sieht sich zunehmend nicht mehr unter den Gesunden, sondern den Kranken. Er fühlt sich isoliert, verlacht und verachtet von den Jungen, die vieles tun, nur nicht ihn lesen. Der alte Goethe leidet, trotz seines vom Weimarer Hof alimentierten hohen ministerialen Lebensstandards. Er liest die Bücher der Jungen, sämtlich Romantiker, und manche gefallen ihm sogar.

Als der Dichter Johann Peter Eckermann, der ihn bewundert, aus überaus armen Verhältnissen zu ihm kommt, ist Goethe glücklich – und überträgt dem jungen Hausfreund gleich eine Riesenaufgabe: Er solle doch bitte sämtliche Zeitschriftenbeiträge der letzten Jahrzehnte von ihm sichten und aus der Perspektive der neuen Generation vorschlagen, was davon in die gerade entstehende Werkausgabe aufgenommen werden solle. Eine ehrenvolle, aber leider unbesoldete Tätigkeit. Als der eifrige Eckermann ein gut bezahltes Angebot von einer englischen Literaturzeitschrift erhält, regelmäßig über deutschsprachige Neuerscheinungen zu berichten, rät Goethe entschieden ab – das lenke nur von der eigentlichen Aufgabe ab, die er ihm gestellt habe.

Nein, Eckermann, der bis zu seinem Tode immer fleißig und arm bleiben wird, hasst ihn dafür nicht. Andere schon, denn die Vampir-Natur Goethes hat sich natürlich herumgesprochen. Aber zu Eckermann, der immerhin durch die »Gespräche mit Goethe« (1836), wenn schon nicht reich, so doch unsterblich geworden ist, sagt Goethe 1830 etwas, das die Romantik als Brücke von Goethe zu Caspar David Friedrich plausibel macht: »Der Begriff von klassischer und romantischer Poesie, der jetzt über die ganze Welt geht und so viel Streit und Spaltung verursacht, ist ursprünglich von mir und Schiller ausgegangen ... Er bewies mir, dass ich selber wider Willen romantisch sei ...« Die Brüder Schlegel hätten seine unbeabsichtigte Romantik dann, so Goethe weiter, ohne Vorbehalt vorangetrieben und daraus ein Kunstprogramm gemacht, das nicht in seinem Sinne sei.   

Natürlich hofft jeder junge Dichter oder auch Maler, ob er Goethe nun tatsächlich bewundert oder ihn heimlich hasst, auf eine Empfehlung von ihm. Denn eine solche sei ein »Karriere-Motor« gewesen, wie es Florian Illies in seiner pointierten Rede zur Ausstellungseröffnung formuliert. Auch Caspar David Friedrich, den »Die Leiden des jungen Werther« faszinieren, die in seinem Geburtsjahr erschienen waren, sucht den Kontakt zu Goethe in Weimar und schickt ihm 1805 zwei Zeichnungen aus demselben Jahr: »Wallfahrt bei Sonnenuntergang« und »Herbstabend am See«. Goethe gefallen sie und er sorgt dafür, dass der 30-jährige Friedrich bei den »Weimarer Preisaufgaben« den ersten Preis bekommt, allerdings nur den halben ersten Preis, denn die Zeichnungen hatten nichts mit dem gestellten Thema zu tun. Daran will sich aber – angesichts von Goethes Begeisterung – niemand ernsthaft stören. Goethe selbst begründet seine Entscheidung unter anderem mit nachgewiesener »Reinlichkeit« und »Fleiß« – was Illies zu der bösen Bemerkung verleitet, das klinge, als spreche dieser über seine Putzhilfe.    

Ja, Goethe bietet durch seine herablassende Art immer wieder Anlass, ihn zu hassen. Und das, obwohl er durch seine Farbenlehre, seine Hochschätzung der Gotik, seine Entdeckung des Zwischenkieferknochens (mit der er eine ganze Forscherinnung brüskiert), auch durch seine geologischen Passionen völlig ins Abseits gerät: Der alte Dichterfürst steht da als radikaler Außenseiter. Seinen »Faust II« (1832) wird er außer Eckermann niemandem zeigen, er hat keine Lust mehr auf die zu erwartenden Reaktionen.

Aber er hört darum nicht auf, fordernd zu sein. So liest Goethe, der auch ein leidenschaftlicher Klimaforscher ist, 1816 das Buch des Engländers Luke Howard über die Entstehung der verschiedenen Wolkenformen. Und umgehend bittet er Caspar David Friedrich, ihm die drei verschiedenen Grundformen – Cirrus, Stratus und Cumulus – zu zeichnen. Der reagiert konsterniert, geradezu beleidigt. Er soll Lehrbildchen für Goethe malen? Wäre es nicht um die Wolken gegangen, die für ihn eine ganz besondere Dimension haben, gleichsam Himmelsschatten sind, hätte er es vielleicht getan. Aber so lehnt er brüsk ab. Goethe ist ergrimmt, zeichnet sich seine Wolken selber. Ordnungsfetischist, der er ist, stellt er gleich sechs verschiedene Wolkentypen dar. Die kleinen, eher unbeholfenen Zeichnungen Goethes könnte man – ohne die damit zusammenhängende Geschichte – in der Ausstellung leicht übersehen.

Die Ölgemälde Caspar David Friedrichs aber, von denen hier, neben vielen Zeichnungen, einige gezeigt werden, lassen sich nicht übersehen. Sie schaffen einen geradezu sakralen Raum um sich. Friedrich kultiviert damit seine ganz eigene Art von Romantik. Diese ist gänzlich ironiefrei und dafür durchdrungen von Erlösungserwartung. Neben dem kleinlichen Gezänk um Gefälligkeiten zwischen Goethe und Caspar David Friedrich ist es wohl diese sich immer stärker zeigende Tendenz in den Bildern von Friedrich, die Goethe befremdet, ja zunehmend abstößt. Kirchen (auch als Ruinen) und große Kreuze, das sind keine Motive, die Goethe begeistern können. Und das Licht – ist es bei Friedrich nicht ein Schein von Transzendenz, also gleichsam göttlich?

Für Goethe, der immer schon meinte, jeder könne sich seine Religion selbst aussuchen (oder es auch bleiben lassen), ein radikaler Diesseits- und kein Jenseitsdenker war, ist das latent Christliche bei Friedrich nichts, was ihn ansprechen könnte. Und das, obwohl es immer auch verbindende Leidenschaften zwischen ihnen gibt: etwa den Mond als nächtliche Sonne. So in dem nur knapp einen halben Meter hohen, aber 1,50 Meter breiten Ölgemälde Friedrichs »Mond über dem Riesengebirge« (1810/11), das die Ausstellung zeigt. Goethe hatte nicht nur bereits 1778 sein berühmtes Gedicht »An den Mond« geschrieben, sondern er zeichnete ihn auch immer wieder.

Dass der Weimarer Hof viele Werke von Caspar David Friedrich ankaufte, die sich nun im Besitz der Stiftung Weimarer Klassik befinden, geht ursprünglich auf Goethes Fürsprache zurück. Aber dass ihm das hier gezeigte Gemälde »Huttens Grab« (1823/24) gefallen hat, darf man bezweifeln. Denn es scheint ganz aus Atmosphäre gemacht, eine Art Impressionismus im transzendenten Auftrag zu sein.

Diese Weimarer Ausstellung bemüht sich nicht nur um die Präsentation von Werken Caspar David Friedrichs, sondern stellt romantische Bezüge zur Weimarer Klassik auch über ihn hinaus dar. Das darf man ihr als Vorzug anrechnen. So stehen hier Werke von Philipp Otto Runge und Carl Gustav Carus jenen von Friedrich zur Seite. Sie zeigen, neben Ähnlichkeiten, auch die Begrenztheit einer eher konventionellen Romantik im Verhältnis zu dem den Begriff von Realismus seiner Zeit sprengenden Werken Caspar David Friedrichs.

Die Weimarer Frauen der Gesellschaft, »Netzwerkerinnen« um Johanna Schopenhauer, Louise Seidler oder Caroline Bardua, machen für Caspar David Friedrich auch dann noch Reklame, als Goethe längst auf Distanz zu ihm gegangen ist. Ab 1820 herrscht ein ungutes Schweigen zwischen ihnen. Für Goethe steht Friedrich nun auf der anderen Seite, der jener Romantiker, die in seinen Augen sämtlich Irrläufer sind.

Dass die Ausstellung sich diesem Weimarer Kapitel Caspar David Friedrichs mit aller stillen Hingabe zum Detail widmet, macht sie zu einem sehenswerten Kleinod.

»Caspar David Friedrich, Goethe und die Romantik in Weimar«, bis zum 2. März 2025, Schiller-Museum, Weimar

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