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AfD: Teil einer Umsturzbewegung
Partei strebt Auflösung der Nachwuchsorganisation an – wohl ein Schachzug, um Verbot zu verhindern
»2024 hatten wir so viele Fälle wie noch nie«, sagt Dominik Schumacher vom Bundesverband der Mobilen Beratungen gegen Rechtsextremismus am Dienstagvormittag bei einer Pressekonferenz in Berlin. Manche Beratungsteams des bundesweiten Netzwerks hätten schon im Frühjahr so viele Fälle gehabt wie sonst in einem ganzen Jahr. Dabei sei das Jahr hoffnungsvoll gestartet, erzählt Schumacher. Die bundesweiten Proteste nach den Veröffentlichungen des Recherchebüros Correctiv über das »Geheimtreffen« von Potsdam hätten vielen Menschen den Impuls gegeben, selbst gegen rechts aktiv zu werden. Von der Politik wurden die Proteste aus Sicht der Mobilen Berater*innen nicht ausreichend unterstützt. Für das Jahr 2024 zeichnen sie insgesamt ein düsteres Bild.
Die extreme Rechte sei »in der Offensive«, die AfD eile von Wahlerfolg zu Wahlerfolg und agiere als »parlamentarischer Arm einer antidemokratischen Umsturzbewegung«, wie Schumacher feststellt. Im Umfeld der Partei wüchsen terroristische Gruppen heran und der extremen Rechten sei es erstmals seit langer Zeit gelungen, jugendkulturelle Erfolge zu erzielen. Die Mobilen Berater verweisen auf den »Ausländer raus«- und den »Abschiebe«-Song. Bundespolitisch würden immer wieder Themen der extremen Rechten diskutiert und inhaltliche Zugeständnisse gemacht. »Die extreme Rechte konnte auch ohne Regierungsbeteiligung ihren Einfluss ausweiten«, sagt Schumacher bei der Pressekonferenz.
»Es gibt viele Parallelen zu den 90er Jahren, auch damals unterstützte die Politik Engagement gegen rechts nicht.«
Oliver Decker Universität Leipzig
Oliver Decker von der Universität Leipzig, einer der Herausgeber der Autoritarismus-Studien, kann dem Rechtsextremismusberater nur beipflichten. Er erklärt, er fühle sich an die 90er Jahre erinnert. Die Politik habe damals weder Engagement noch Forschung gegen rechts gefördert, im Gegenteil sogar das Neonazismusproblem geleugnet. »Der ausländerfeindliche Schwung wurde von der damaligen schwarz-gelben Koalition genutzt«, sagt Decker und verweist auf den sogenannten Asylkompromiss 1993. Dass man heutzutage wieder Asylgipfel veranstalte, zeige, dass es in der Politik keinen Lerneffekt gegeben habe. Die Fokussierung auf Migrant*innen als Problem stärke die extreme Rechte, so die Einschätzung des Wissenschaftlers.
Eine besondere Sorge von Decker: »Die autoritäre Aggression ist selbstverständlicher Teil der politischen Alltagskultur geworden, das zeigt auch unsere Leipziger Autoritarismus-Studie 2024. Und wie die Mobile Beratung sehen wir, dass gerade unter jungen Erwachsenen und Jugendlichen Ressentiments immer akzeptierter werden.« Wenig verwunderlich, dass bei der Pressekonferenz auch über die Junge Alternative (JA) gesprochen wurde. Die AfD-Jugend ist bislang als unabhängiger Verein organisiert. Viele Mitglieder der JA sind nicht Mitglied in der AfD. Politisch kann die JA durchweg in der extremen Rechten verortet werden. In Zukunft soll die Jugend direkt an die Partei angegliedert werden, junge AfD-Mitglieder werden automatisch Mitglieder der JA. Einige Beobachter*innen glauben, die AfD wolle ihre Jugend so mäßigen. Schumacher sieht in dem Schritt vor allem einen Grund: »Die AfD hat Angst vor dem Verbot ihrer Parteijugend und will ihm zuvorkommen.« Die Auflösung und Umwandlung folge zahlreichen Vorbildern in der extremen Rechten. Auch Björn Höcke habe schon im Frühjahr davon gesprochen, dass man die Parteijugend neu organisieren solle, um sie vor einem Verbot zu schützen. Schumacher stellt fest: »Die Junge Alternative ist nicht das Rechtsextremismusproblem der AfD, das ist die Partei selbst.« Eine organisatorische Veränderung bei der Parteijugend sei nichts anderes als eine »Nebelkerze«. Auch Oliver Decker bestärkt diese Einschätzung. Möglicherweise bekomme die AfD mehr »Steuerungsmöglichkeiten«, harmloser mache das die Jugend aber nicht.
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Was also tun? Für die Mobile Beratung liegt ein zentraler Punkt darin, zivilgesellschaftliches Engagement zu stärken. Bei der Pressekonferenz berichtet Sylvia Spehr vom Bündnis Nordhausen zusammen, wie sie und andere sich 2023 gegen den AfD-Kandidaten bei den Oberbürgermeisterstichwahlen engagierten. Sie hatten Erfolg. Er habe sie auch durch eine Kommunalwahl mit schlechtem Ergebnis und eine »ernüchternde« Landtagswahl getragen. Mit der Bundestagswahl stehe nun die nächste Herausforderung an. Spehr will zeigen: »Wir werden nicht leiser werden und am Ende wird die Demokratie stärker sein als ihre Feinde!«
Dafür könnten Sylvia Spehr und Aktive im ganzen Land Unterstützung gebrauchen. Das fordert der Bundesverband Mobile Beratungen. In seinem Jahresbericht zeigt er auf, wie das gehen könnte. Eine konkrete Forderung: mehr Schutz für marginalisierte Gruppen, Migrant*innen und Menschen, die sich für Demokratie engagieren. Für sich selbst wünschen die Beratungen ein Ende der Projektfinanzierung und langfristige Arbeitsverträge für die Beschäftigten.
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