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Blindflug durch die Nacht
Ab einem Alter von 40 Jahren können Alterungsprozesse die Sicht im Dunkeln einschränken
Draußen ist es stockfinster, nass und neblig. Jetzt noch Auto fahren? Für Menschen, die sich als »nachtblind« einstufen, ist das eine echte Herausforderung: Sie sehen im Dunkeln unscharf, nehmen Kontraste weniger wahr oder fühlen sich von den Scheinwerfern entgegenkommender Autos geblendet.
Solche Störungen sind Experten zufolge unter Menschen in der zweiten Lebenshälfte sehr häufig. Meistens handelt es sich dabei nicht um eine »Nachtblindheit« im medizinischen Sinn, sondern um altersbedingte Probleme. »Der Begriff wird oft falsch verwendet«, sagt Wolfgang Wesemann, Medizinphysiker und Augenexperte des Kuratoriums Gutes Sehen. »Dass jemand wirklich nachtblind ist, ist eher die Ausnahme.«
Ab der Lebensmitte nimmt die Häufigkeit von Augenkrankheiten zu. Unter anderem das Glaukom kann bei Nachtsehstörungen eine Rolle spielen.
Auf der Netzhaut des Auges gibt es zwei Arten von Fotorezeptoren: Zapfen und die lichtempfindlicheren Stäbchen. Für das Farbensehen bei Tageslicht sind die Zapfen zuständig, für das Sehen bei geringer Helligkeit dagegen die Stäbchen. Letztere nehmen nur Hell-Dunkel-Kontraste, aber keine Farben wahr – daher sind nachts alle Katzen grau. Verändern sich die Lichtverhältnisse, muss sich das Auge erst einige Minuten umstellen. Wer aus der Helligkeit in einen dunklen Raum kommt, fühlt sich zunächst wie blind. Umgekehrt blendet Tageslicht, fährt man aus einem Tunnel.
Bei einer Nachtblindheit, die der medizinischen Definition entspricht, ist entweder die Funktion der Stäbchen selbst oder die Verarbeitung der Lichtreize gestört. Zum Beispiel tritt sie bei der erblichen Augenkrankheit Retinitis Pigmentosa auf, die eine Verkümmerung der Fotorezeptoren zur Folge hat. Sie ist aber sehr selten: »In Deutschland sind schätzungsweise 40 000 Menschen betroffen«, sagt Ulrich Kellner, ärztlicher Leiter des Augenzentrums Siegburg.
Auch Vitamin-A-Mangel kann zu Netzhautfunktionsstörungen führen, die sich als Nachtblindheit äußern. »Solche Defizite kommen hierzulande aber kaum vor«, erklärt der Experte der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG). Durchschnittliche Bundesbürgerinnen und -bürger sind mit dem Nährstoff nämlich gut versorgt. Daher bringt es für das Sehvermögen auch nichts, Vitaminpräparate einzunehmen: »Da gibt man nur viel Geld aus, ohne etwas zu erreichen«, sagt Kellner. In anderen Teilen der Welt, in denen Unterernährung ein Problem ist, sieht die Lage anders aus: Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO leiden weltweit rund 190 Millionen Kinder im Vorschulalter an einem Vitamin-A-Mangel. Bis zu 500 000 Kinder jährlich erblinden in der Folge.
Ob »echte« Nachtblindheit oder Altersproblem: Die Schwierigkeiten, die Menschen beim Nacht- und Dämmerungssehen beschreiben, können durchaus ähnlich sein. Oft ist der Beginn schleichend: In gut erleuchteten Städten fallen die Probleme später auf als auf dem Land, wo es nachts weniger Lichtquellen gibt. »Allgemein kann man sagen: Treten die Störungen bei jemandem auf, der älter als 40 Jahre ist, steckt meist der Alterungsprozess dahinter«, sagt Kellner. Erblich bedingte Erkrankungen der Netzhaut machen sich nämlich in der Regel früher bemerkbar.
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Dennoch sollte man sich auf jeden Fall in einer augenärztlichen Praxis untersuchen lassen, um die Ursache zu finden und gegebenenfalls behandeln zu lassen. Überhaupt empfiehlt der Berufsverband der Augenärzte allen Menschen ab 40, regelmäßig die Augen kontrollieren zu lassen. Ab der Lebensmitte nimmt die Häufigkeit von Augenerkrankungen nämlich zu. Manche davon, etwa das Glaukom, können auch bei Nachtsehstörungen eine Rolle spielen.
Offenbar sind Menschen ziemlich schlecht darin, ihr Sehvermögen selbst einzuschätzen: Bei einer Studie des Bundesamtes für Straßenwesen gaben 99 Prozent der 377 Teilnehmer an, gut zu sehen. Ganze 16 Prozent fielen allerdings bei einem anschließenden Sehtest durch. »Daran sieht man, dass es wichtig ist, das Sehvermögen ab und zu von einem Experten kontrollieren zu lassen«, sagt Wolfgang Wesemann.
Schon geringfügige Defizite wirken sich im Alltag deutlich aus. Bei schlechten Lichtverhältnissen kann sich eine nicht optimal korrigierte Fehlsichtigkeit noch stärker bemerkbar machen. Auch das Vermögen, bei Dämmerung und bei Dunkelheit zu sehen, lässt sich testen. Das kann sinnvoll sein, um die Diagnose zu untermauern und den Grad der Einschränkung festzustellen – allerdings muss man die Rechnung in der Regel selbst zahlen.
Aber warum spielt das Auge im Lauf der Jahre nachts nicht mehr recht mit? »Die Fähigkeit der Pupille, sich ausreichend zu öffnen, lässt nach«, erklärt Wesemann. Das bestätigen Untersuchungen von Neurowissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für biologische Kybernetik in Tübingen und an der Uni Basel. Sie statteten Menschen im Alter von 18 bis 87 mit Headsets aus und maßen die Pupillenweitung in Alltagssituationen und bei Laborexperimenten. Das Ergebnis: Mit jedem Lebensjahrzehnt nahm die Pupillenweite um rund 0,4 Millimeter ab. Dadurch fällt weniger Licht auf die Fotosensoren der Netzhaut, wodurch es zu einer Art Unterbelichtung kommt.
Abgesehen davon gibt es auch das Phänomen der Nacht-Kurzsichtigkeit: Es kann sein, dass jemand tagsüber keine Brille braucht, aber bei einbrechender Dämmerung in der Ferne unscharf sieht. Hauptproblem ist, dass das Auge bei Dunkelheit schlechter auf einen Punkt scharf stellen kann. Meist kann eine gut angepasste Brille helfen.
Für einige Menschen besteht das Problem aber vor allem darin, dass sie sich nachts schnell geblendet fühlen – etwa, wenn beim Autofahren plötzlich helle Lichter auftauchen. Dahinter steckt oft eine Linsentrübung (Grauer Star), die mit fortschreitendem Sehverlust verbunden ist. Blendempfindlichkeit ist oft ein erstes Symptom.
»Alle Menschen entwickeln einen Grauen Star«, sagt Kellner. »Das kann schon mit 50, aber auch erst mit 90 beginnen.« Durch die getrübte Linse wird das Licht stärker gestreut, sodass Scheinwerferlicht stark blendet und einen Nebelschleier erzeugt. Die gute Nachricht: Grauer Star lässt sich relativ einfach operieren, indem die trübe Linse durch eine neue, künstliche ersetzt wird.
Normale Altersveränderungen, die oft hinter den Sehproblemen stecken, lassen sich aber nicht behandeln. Spezielle Nachtfahrbrillen, die angeblich die Sicht bei Nacht verbessern sollen, kann man sich offenbar sparen. »Gelbgetönte Brillen steigern zwar tatsächlich den Kontrast, aber sie absorbieren wie eine Sonnenbrille Licht«, sagt Wesemann. Das könne bei Dunkelheit kontraproduktiv sein. »Ich rate daher von solchen Brillen ab.«
Dagegen lohnen sich seiner Meinung nach Brillengläser mit Antireflexbeschichtung: »Durch eine Entspiegelung der Vorder- und Rückseite des Brillenglases werden störende Reflexionen, Blendung und Lichthöfe stark vermindert«, erklärt der Optik-Experte. Das verbessere die Sicht beim Autofahren in der Nacht. Ansonsten hilft im Zweifelsfall nur eines: das Auto stehen zu lassen – vor allem dann, wenn zusätzlich Regen oder Nebel für schlechte Sicht sorgen.
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