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Sergej Prokofjew: Oper wird Jahrmarkt

Der Sieg der Sonderlinge: An der Semperoper in Dresden wird Sergej Prokofjews »Die Liebe zu den drei Orangen« gegeben

  • Kai Köhler
  • Lesedauer: 5 Min.
Jahrmarktstreiben auf der Opernbühne: »Die Liebe zu den drei Orangen« von Prokofjew
Jahrmarktstreiben auf der Opernbühne: »Die Liebe zu den drei Orangen« von Prokofjew

Der Prinz ist schwerkrank, denn der intrigante Minister Leander füttert ihn – im wörtlichen Sinn – mit schlechten Versen. Der gute Zauberer Tschelio, die böse Fee Fata Morgana spielen mit Karten um sein Schicksal. Endlich kann der Prinz lachen und ist geheilt – aber sogleich hext ihm Fata Morgana die Liebe zu drei Orangen an. Um die Orangen zu bekommen, wagt er sich sogar in den Palast Kreontas. Da wartet die Riesenköchin, die mit ihrer Suppenkelle Eindringlinge zu Brei zu schlagen pflegt. Es folgt ein Weg durch die Wüste und endlich das Treffen mit der Prinzessin Ninetta, die in der dritten Orange gefangen war. Da überrascht es schon nicht mehr, wenn Ninetta flugs in eine große Ratte verwandelt wird. Außerdem gibt es einen ziemlich hilflosen König, eine Ärzte- und eine Teufelsschar, zudem Anhänger der Tragödie und der Komödie sowie der Schar der Sonderlinge, die sich schließlich durchsetzen. Die Aufzählung ist nicht vollständig.

Als Sergej Prokokjew »Die Liebe zu den drei Orangen« 1919 im Auftrag der Oper Chicago komponierte, dachte er an US-amerikanische Hörer und vereinfachte seine Tonsprache. Tatsächlich ist dieses Werk zugänglicher als »Die Spieler« von 1917 und »Der feurige Engel« von 1922/23 und blieb bis heute Prokofjews meistgespielte Oper. Das liegt auch daran, dass es bunt in jeder Hinsicht ist: in seiner Handlung, den Bühneneffekten, aber auch in der schlanken, vom Rhythmus geprägten Musik. Der bekanntgewordene Marsch, der mehrfach als Bestandteil des Hofzeremoniells ertönt, steht dafür beispielhaft: eine rasche, energisch federnde Bewegung und dazu eine Melodie, die einprägsam ist und ihre Tücken zeigt, sobald man sie nachzusingen versucht. Stets liegt sie um eine kleine harmonische Wendung neben der erwarteten Fortschreibung und spielt reizvoll mit der Tonalität, ohne diese aufzulösen.

Die Geschehnisse sind höchstens locker miteinander verbunden und zuweilen wenig folgerichtig. Sollte man deshalb, wie Regisseur Evgeny Titov im Programmheft, von Unbewusstem und Traumlogik sprechen? Die Oper geht auf Carlo Gozzi und die italienische Commedia dell’Arte des 18. Jahrhunderts zurück. Das war eine Weiterentwicklung des Volkstheaters, das auf dem Marktplatz um das Interesse des Publikums kämpfte. In der russischen und dann sowjetischen Avantgarde wurde daraus eine Montage der Attraktionen, die noch die Filme Sergej Eisensteins prägt, für die Prokofjew nach seiner Rückkehr in die UdSSR die Musik komponierte. Psychologie spielt da kaum eine Rolle. Für »Die Liebe zu den drei Orangen« sind Bretterbude und Zirkus wichtiger als Sigmund Freud.

Freilich ist Oper ein teureres Spektakel als der Jahrmarkt. Und auch ein Stück, mit dem die Sonderlinge über die Forderungen der Tragödien- und Komödienfans siegen, kann sich von den Gewohnheiten der Gattung nicht lösen. Es spricht für Titov, dass es sich nicht in seiner Theorie verliert. Er psychologisiert im richtigen Maße, nämlich so, dass die Figuren mehr als Marionetten sind und sich – im Rahmen des hier Möglichen – nachvollziehbar zueinander verhalten. Doch unterwirft er sie keinem starren Konzept.

Das stand anfangs zu befürchten, wenn im Zentrum der Bühne der Prinz in seinem Bett liegt und Objekt der Therapie ist. Bühnenbildner Wolfgang Menardi hat dafür einen weiten, doch letztlich geschlossenen Raum entworfen, mit dem Krankenzimmer und höfische Öffentlichkeit verschmelzen. Doch sobald die Suche nach den drei Orangen beginnt, entstehen freiere Spielflächen. Nun geht es eindeutig nicht um innerliche Vorgänge, sondern um Musiktheater – mit der Betonung auf »Theater«, zumal sich Kunststreit und Handlung überkreuzen.

So sieht man, auch dank Emma Ryott (Kostüme) und Fabio Antoci (Licht), Lustiges wie Grausliges. Die überdimensionale Köchin (als Bass: Taras Shtonda) vereint beides ebenso wie die mehr als menschengroße Rattenfigur. Es wurde in dieser Premiere gelacht, was ein gutes Zeichen ist.

Einen nur halbwegs guten Abend hatte die Sächsische Staatskapelle unter der Leitung von Erik Nielsen. Die Tempi waren angemessen straff, der Gestus war deutlich; doch schwankte die Lautstärke zwischen allzu dezent und ziemlich knallig. Auch war der Klang – zumindest auf dem Platz des Rezensenten – arg bläserlastig, und so ließ sich das Tun der Streicher manchmal nur erahnen. Gefährdet war auch die Klangbalance zwischen Chor und Orchester: Besonders im Prolog überdeckten die jeweils zu zahlreichen Anhänger der Tragödie und der Komödie die Bemühungen im Orchestergraben.

In »Die Liebe zu den drei Orangen« gibt es nicht die zwei oder drei ganz großen Partien, sondern etliche Rollen mittleren Umfangs. Wenn im Verzeichnis der König noch an erster Stelle steht, so zitiert das die alte hierarchische Regel, die Personen ihrer Rangfolge nach aufzuführen und nicht nach ihrer Bedeutung innerhalb der Handlung. In diesem Fall wirkt das beinahe subversiv. Georg Zeppenfeld gibt überzeugend den Vater, der über den kranken Sohn jammert, das Geschehen an seinem Hof nicht überschaut und bis beinahe zum Ende immer das Falsche tut. Man kann den Schwächling nicht schwach singen, aber Klage und Empfindung vermitteln, wo es am Herrscher fehlt.

Mauro Peter muss als sein Sohn den Wandel von Krankheit zu liebesfixierter Unternehmungswut gestalten; letzteres gelingt besser als die Klage, weil Stück und Regie da auch mehr Raum lassen. Ohne Truffaldino würde er sofort scheitern. Spaßfreudig, jedem Heroismus abgeneigt, aber durch List rettend, wenn die Gefahr einmal nicht vermieden werden konnte: Diese aus der Commedia dell’Arte übernommene Dienerfigur ist eine dankbare Rolle, und Aaron Pegram weiß das ganze Spektrum von Albernheit über Mut bis zur Gier zu zeigen.

Überhaupt treten Typen aus der Commedia dell’Arte auf: Tilmann Rönnebeck gibt einen tiefschwarzen Teufel Farfarello, und Georgina Fürstenberg überzeugt als intrigante Dienerin Smeraldina, Alexandros Stavrakakis nimmt man den mächtigen Zauberer Tschelio ab; die weiblichen Widerparte auf der Zauber- wie auf der Hofebene bleiben weniger im Gedächtnis.

In Dresden hört man eine deutsche Übersetzung von Werner Hintze, die in manchen Passagen drastischer ist als die über den Musikverlag Breitkopf und Härtel publizierte Version. Was richtiger ist, lässt sich ohne Russischkenntnisse nicht beurteilen. Jahrmarktsnäher ist Hintze. Bei den Akzenten von Musik und Text gibt es keinen groben Schnitzer, aber ganz passt es nicht. Vermutlich sollte man russische Opern Russisch singen. Gleichwohl, ein Besuch der Inszenierung lohnt.

Nächste Vorstellungen: 11., 15. und 18. Dezember
www.semperoper.de

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