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Heinz Schenk: Der größte Kleinbürger
Schunkeln statt marschieren: Vor 100 Jahren wurde der Entertainer Heinz Schenk geboren
Gut möglich, dass viele heute nicht wüssten, was ein »Bembel« ist, wenn es die legendäre westdeutsche Unterhaltungssendung »Der blaue Bock« nicht gegeben hätte. Insgesamt 208 Folgen wurden zwischen 1957 und 1987 »ausgestrahlt«, wie man früher sagte, zu Zeiten des analogen Fernsehens. Der Siegeszug des »Bembel«, des traditionellen hessischen Apfelweinkrugs, als Kultobjekt dürfte unmittelbar mit der enormen Popularität der TV-Show zu tun gehabt haben, die seit 1966 von den Entertainern Heinz Schenk und Lia Wöhr präsentiert wurde, von 1967 an in Farbe.
»Der Blaue Bock« war ein einzigartiges kulturindustrielles Erzeugnis: eine Sendung, in welcher der deutsche Humor, der deutsche Schlager und die deutsche Marsch- und Volksmusik zu einer kompakten Einheit verschmolzen wurden. Sie war der Garant dafür, dass in der postnationalsozialistischen bundesdeutschen Gesellschaft ideologisch und stimmungsmäßig alles beim Alten blieb. Mit dem Unterschied, dass nun nicht mehr marschiert wurde, sondern geschunkelt.
Mit seiner TV-Show habe Heinz Schenk »nach dem Zweiten Weltkrieg die große Lücke des ausgetriebenen Nationalstolzes mit Eskapismus, Herzschmerz und Nostalgie« gefüllt, so teilt der Hessische Rundfunk anlässlich eines neuen Dokumentarfilms über das Leben von Heinz Schenk mit (»Der 20-Millionen-Mann«). Nahezu wortgleich formuliert es das Stadtmagazin »Journal Frankfurt«: »Nach dem Zweiten Weltkrieg füllte Schenk mit positiv konnotierten Traditionen wie der geselligen Apfelweinkultur oder der Fastnacht eine Lücke in der Zeit nach dem Nationalsozialismus.« Schenk habe eine »eher konservative Art« gehabt, seine Show sei »traditionsbewusst« gewesen. Gemeint ist damit vermutlich: Das fröhliche Klatschen im Marschrhythmus zu Volksliedern half vielen Zuschauern beim Verdrängen der Verbrechen der NS-Zeit. Statt des Horst-Wessel-Lieds oder »Deutschland, Deutschland, über alles« sang man jetzt eben lauthals »Ein Prosit der Gemütlichkeit« oder »Wir lassen uns das Singen nicht verbieten«.
Auf den Straßen der großen Städte mochte unterdessen der Wind der Modernisierung wehen, und auch die 68er-Revolte hinterließ deutliche Spuren (Minirock, Haschisch, Willy Brandt, RAF). Die heranwachsende Jugend wollte »alles, nur keine deutschen Lieder mehr«, wie es an einer Stelle im Dokumentarfilm heißt.
Ein Jahr bevor Schenk als Gastgeber den »Blauen Bock« übernahm, gab es zum ersten Mal die Rock- und Pop-Sendung »Beat-Club« im deutschen Fernsehen. So hatte jeder seine eigene Fernsehsendung: die zwangsdemokratisierten Alten und die aufmüpfigen Jungen. Und so, wie ein Teil der jungen Generation sich die Haare wachsen ließ, sich angloamerikanischer Popmusik hingab und gegen die Lebenslügen der Eltern protestierte, wollte der ältere deutsche Bürger sich seligem Vergessen hingeben und auf sein Anrecht auf ein Stückchen heile Welt nicht verzichten. Und das bekam er alle paar Wochen samstags im Ersten Programm zuverlässig geliefert: 90 Minuten lang Stammtischwitzchen, schlechte Musik und »Frohsinn«, befeuert von Alkoholgenuss (»Äbbelwoi«) und Schenkelklopfen – das ganze Inferno dargebracht vor der Kulisse einer hessischen Apfelweinschenke, die man auf der Bühne irgendeiner Kleinstadthalle aufgebaut hatte.
Der »Blaue Bock« – schon der Name der Show eine Anspielung darauf, dass bei ihrer Betrachtung der reichliche Genuss von Alkohol zur Erzeugung von Vergnügen hilfreich ist – diente den Zuschauerinnen und Zuschauern vor allem zur »Abschottung gegen alle Zumutungen der echten Welt da draußen«, so analysieren die Filmemacher. Die Deutschen liebten die Sendung. 20 Millionen Menschen saßen regelmäßig am Bildschirm, wenn sie lief. Es war die ideale TV-Unterhaltung. Das reaktionäre Springer-Blatt »Die Welt« zählt die Volksmusikshow zur »goldenen Ära des deutschen Fernsehens«.
Da mochten der pubertierende Sohn oder die erwachsene Tochter in der Wohnstube noch so sehr protestieren, weil zur selben Zeit im ZDF der gute John-Ford-Western lief: Es wurde nicht umgeschaltet. Es galt, Heinz Schenk beim Verteilen von »Bembeln« zuzusehen und gequält dem Medium-Terzett beim Singen zuzuhören: »Ein Loch ist im Eimer, Karl-Otto, Karl-Otto/ Ein Loch ist im Eimer, Karl-Otto, Ein Loch/ Verstopf es, oh Henry, oh Henry, oh Henry/ Verstopf es, oh Henry, macht’s dicht.«
»Der 20-Millionen-Mann«, der zurzeit in der ARD-Mediathek zu sehen ist, beleuchtet nun erstmals die Karriere und das Privatleben des zu seinen Lebzeiten so beliebten Schauspielers, Sängers und Showmasters Heinz Schenk, der »mit Bernhard Grzimek und Hans-Joachim Kulenkampff zu den größten Unterhaltungsgastgebern des Hessischen Rundfunks zählte« (»Frankfurter Rundschau«) und 2014 im Alter von 89 Jahren verstarb, fünf Monate nach dem Tod seiner Ehefrau Gerti. Den Erfolg des jahrzehntelang von ihm moderierten »Blauen Bocks« erklärt die TV-Dokumentation, wenn auch in eigenwilliger Sprache und unter kompletter Weglassung des Holocausts, auch mit den speziellen Bedürfnissen der deutschen Bevölkerung in der Nachkriegszeit: »Eine ganze Generation will den Krieg vergessen und dürstet nach unbelasteten Traditionen.«
Der Film von Henriette von Hellborn und Sven Waskönig will die »Geschichte des größten Kleinbürgers Deutschlands« wiedergeben, der seine Karriere einst als Karnevalswitzeerzähler begann: die Kindheit und Jugend im Nationalsozialismus; der Pfarrer, der den »Ahnenpass« des jungen Heinz Schenk manipulierte, der eine jüdische Großmutter hatte; die Zeit während der letzten beiden Kriegsjahre als Funker in der Wehrmacht; die erfolgreiche Laufbahn als volkstümelnder Fernsehunterhalter; die 60 Jahre währende Ehe mit seiner Frau Gerti; und die traurige Geschichte seines Nachlasses, der zu großen Teilen bei einer Auktion versteigert wurde.
Daneben zeigt die Dokumentation historisch interessantes Archivmaterial aus dem »Blauen Bock«, etwa einen Auftritt des aus vier schwarzen US-amerikanischen Gospelsängern bestehenden Golden Gate Quartets, das »Schwarzbraun ist die Haselnuss« vorträgt (eine Szene, die eher unbeholfen kommentiert wird: »Heute wirkt das seltsam deplatziert«), aber auch Bilder aus dem teils abgeschirmten Privatleben des kinderlosen Ehepaares Heinz und Gerti Schenk.
Der Film gewährt einen Blick in den Wiesbadener Bungalow der beiden. Die Kamera zeigt uns braune Wohnzimmersessel aus den 80er Jahren, braune Deckenbalken, beige Sofas und Vorhänge, dunkle Teppiche, dunkle Holzschränke, »Bembel« auf Regalen, an den Wänden Nippes und Zinnteller sowie Gemälde, die dörfliche Idyllen aus dem 19. Jahrhundert darstellen. Gelsenkirchener Barock in seiner Extremvariante. Der nd-Autor, Verleger und Popkultur-Experte Jonas Engelmann, einer der von den Filmemachern Befragten, beschreibt seine Erfahrung beim Betreten der Wohnräume des Ehepaares Schenk so: »Man kam rein und hatte das Gefühl, man ist plötzlich im Wohnzimmer der Großeltern 1982.«
Von David Gern, einem Redakteur des Hessischen Rundfunks, stammt wohl die treffendste Beschreibung des TV-Unterhalters, dem man den Spitznamen »Äbbelwoi-Babbler« gegeben hat: »Er ist so, wie die Deutschen sind.« An diesem Mittwoch vor 100 Jahren wurde Heinz Schenk geboren.
»Der 20-Millionen-Mann – Entertainer Heinz Schenk«, 60 Min., ARD-Mediathek
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