Putins Afghanistan

Mit dem Regierungsende Baschar Al-Assads verliert Russland Ansehen im Nahen Osten

»Gemeinsam zum Frieden«: Die russisch-syrische Freundschaft wurde selbst auf Schulranzen propagiert.
»Gemeinsam zum Frieden«: Die russisch-syrische Freundschaft wurde selbst auf Schulranzen propagiert.

Immerhin blieb Baschar Al-Assad das Schicksal Muammar Al-Gaddafis oder Saddam Husseins erspart. Statt ermordet zu werden, konnte sich der syrische Diktator im letzten Moment vor den herannahenden Islamisten nach Moskau absetzen, wo ihm Präsident Wladimir Putin persönlich Asyl gewährte. Schon eine Woche vor dem Sturz soll Assad seine Familie in die russische Hauptstadt gebracht haben.

Wie es mit dem langjährigen Verbündeten des Kreml dort weitergeht, steht noch in den Sternen. Ein offizielles Treffen mit Staatschef Putin sei erst mal nicht geplant, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Am Hungertuch wird Assad jedenfalls nicht nagen. Insgesamt 40 Wohnungen soll die syrische Herrscherfamilie laut »Financial Times« zwischen 2013 und 2019 in Moskau erworben haben.

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Kreml schweigt zum Assad-Sturz

International ist der Tenor ziemlich klar. Der Sturz Assads ist auch eine Niederlage Putins. »Putin hat gerade eine riesige Niederlage erlitten«, meint die »New York Times«. Andere Medien sprechen von einer »schallenden Ohrfeige« für Russland. Ruslan Suleymanov, Nahost-Experte und ehemaliger Korrespondent der russischen staatlichen Nachrichtenagentur Tass in der Region, ist bei der Einschätzung vorsichtiger. Auch er glaubt, dass Putin den Umsturz wohl kaum verhindern konnte. Allerdings, so Suleymanov, habe er ihn auch zugelassen. Der Publizist Alexander Baunow sieht eine Parallele zum US-Abzug aus Kabul 2021 und bezeichnet den Sturz Assads als »Putins Afghanistan«.

Wenig bis gar keine Informationen oder Einschätzungen gibt es hingegen aus dem Kreml. Wladimir Putin spult seit Tagen sein Programm ab, als wäre nichts geschehen. Und sein Sprecher Peskow gibt sich ungewohnt schmallippig. Russland führe den Dialog mit allen Ländern im Nahen Osten fort, auch mit den neuen Machthabern in Syrien; viele Interessen würden sich dort kreuzen. Zunächst müsse man abwarten, wie sich die Lage entwickelt. Das gilt auch für die russischen Militärbasen in Syrien. »Alles andere – kein Kommentar«, so Peskow im Rundfunk.

Russlands Militärpräsenz vor ungewisser Zukunft

Russlands Militärbasen im Hafen von Tartus und am Flughafen von Hmeimim stehen seit dem Vormarsch der Islamisten besonders im Fokus der Aufmerksamkeit. Rund 7500 Soldaten sind dort stationiert. Vor sieben Jahren bekam Moskau von Damaskus das Recht, die Basen bis 2066 zu nutzen. Trotz der Bekräftigung durch Peskow, man spreche mit den neuen Machthabern über die Basen, und einer vermeintlichen Zusicherung, dass die Islamisten russische Soldaten nicht angreifen werden, gibt es aktuell Anzeichen, dass Moskau sich auch militärisch zurückziehen wird.

Vor allem die Ukraine lancierte nicht verifizierbare Bilder, die den vermeintlichen Abzug aus dem Hafen Tartus zeigen sollen. Der Fernsehsender CNN Turk meldete zudem, dass Russland die Türkei um einen sicheren Durchzug seiner Soldaten gebeten habe. Dabei soll es jedoch um Soldaten gehen, die außerhalb der beiden Basen aktiv sind. Kreml-Sprecher Peskow gab indes zu verstehen, dass man sich durchaus auf die Evakuierung der Soldaten vorbereiten müsse. Sollte dies gesehen, sei dies spürbar, so Peskow.

Syrieneinsatz half Moskau aus der Isolation

Mit dem Eingreifen in den syrischen Bürgerkrieg aufseiten Assads 2015 konnte Russland sich als starke Macht präsentieren, die den Diktator vor den Sturzwellen des Arabischen Frühlings bewahrte. Für dieses Signal – man steht für seine Freunde – genoss Moskau damals großes Ansehen in der Region. Mit dem nicht verhinderten Sturz Assads haben Russland und insbesondere Putin sehr viel an Renommee eingebüßt, sind Nahost-Experten sicher.

Der Verlust Syriens könnte sich auch auf Russlands Verhältnis zum Globalen Süden auswirken. Neben dem politischen Signal des Festsetzens in der Region waren vor allem die Militärbasen Ausgangspunkt und Drehscheibe für Einsätze in afrikanischen Staaten. Noch ist nicht absehbar, wie die Versorgung der Soldaten dort in Zukunft gesichert werden soll.

Syrien ist ohne die Ukraine nicht denkbar

Für Moskaus Außenpolitik schließt sich mit dem Herrschaftsende letztlich ein Kreis. Ohne die Ukraine wäre ein Eingreifen in Syrien nie vorstellbar gewesen. Erst nachdem Moskau (trotz Krim-Annexion und Schaffung der Volksrepubliken Donezk und Luhansk) die Absetzung des ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch und den Euromaidan nicht rückgängig machen konnte, eilte man Assad zu Hilfe, um wenigstens diesen Verbündeten nicht zu verlieren.

Das fast zehnjährige Engagement in Syrien half Moskau, sich ein wenig aus der internationalen Isolation nach der Krim-Annexion zu befreien und sich im Nahen Osten wieder Einfluss zu sichern, den man nach dem Ende des Kalten Krieges eingebüßt hatte. Die »Frontlinie« zwischen Russland und dem Westen verlief damit nicht mehr nur über die Krim und den Donbass. Mit dem Kriegsbeginn im Februar 2022 ist das vorbei. Russlands Geopolitik wird seitdem nicht mehr in Palmyra, sondern in Pokrowsk entschieden.

Dort könnte der Krieg durch Assads Ende noch einmal intensiver werden. Kiew könnte den künftigen US-Präsidenten Donald Trump verstärkt dazu drängen, keine Kompromisse mit Putin einzugehen und bis zum Sieg zu kämpfen, schreibt das Portal »Strana«. Auch Russland könnte die Soldaten aus Syrien, wenn sie wirklich abziehen, in die Ukraine schicken, um einen »mächtigen Sieg« zu erreichen und den Reputationsverlust in Syrien auszugleichen.

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