Film »Black Dog«: Endzeit-Lassie

Regisseur Guan Hu inszeniert eine Freundschaft zwischen einem Mann und einem Hund als Parabel auf den Obrigkeitsstaat

  • Gabriele Summen
  • Lesedauer: 4 Min.
Es ist immer der Mensch, der den Hund nicht versteht, nie umgekehrt.
Es ist immer der Mensch, der den Hund nicht versteht, nie umgekehrt.

Was für ein beeindruckendes Anfangsszenario im Breitbildformat: Hunderte herrenloser Hunde stürmen einen Abhang am Rande einer Kleinstadt in der Wüste Gobi hinunter, bringen einen Bus zum Umkippen, dem der schweigsame Antiheld des neuesten Werks des chinesischen Regisseurs Guan Hu entsteigt. Aufstand der Zurückgelassenen?

Hintergrund des Films, der atmosphärisch an Western und Noir-Filme erinnert: 2001 erhielt China den Zuschlag für die Olympischen Sommerspiele 2008. In dem Bestreben der Regierung, sich als anschlussfähige Supermacht zu präsentieren, wurden Zwangsumzüge forciert. Mehrere Hunderttausend Menschen verloren ihre Häuser, ganze Dörfer wurden plattgemacht, damit dort beeindruckende Sportstätten gebaut werden konnten.

Lang aber, unter dessen schweigsamer Schale ein empathischer Kern zu schlummern scheint, sabotiert die brutale Arbeit seiner hartherzigen Kollegen, wo er nur kann.

Auch das trostlose Heimatkaff von Lang (Eddie Peng), in dessen Umgebung die Ölquellen längst versiegt sind, ist von diesen Maßnahmen betroffen – ihr endgültiger Abriss steht kurz bevor. Dorthin kehrt der lokale Rockstar von einem Gefängnisaufenthalt zurück. Doch es erwartet ihn nichts Gutes: Viele Häuser sind bereits verlassen und die Stadt wird von verwilderten Hunden überrannt. Sein Vater, Wärter der verbliebenen Tiere im Zoo, trinkt sich wissentlich zu Tode. Als wäre das nicht schon deprimierend genug, will sich der Schlangengifthändler Butcher Hu an Lang für den Tod seines Neffen – an dem er ihm zu Unrecht die alleinige Schuld gibt – rächen.

Dem Haftentlassenen bleibt kaum etwas anderes übrig, als einen Job als Hundefänger anzunehmen – in einer groß angelegten Säuberungsaktion will die Regierung der Streuner Herr werden. Hunde, deren Besitzer sich die Registrierungsgebühren nicht leisten können, werden eingefangen und getötet, was Hu glücklicherweise nur über die Tonspur vermittelt. Lang aber, unter dessen schweigsamer Schale ein empathischer Kern zu schlummern scheint, sabotiert die brutale Arbeit seiner hartherzigen Kollegen, wo er nur kann. Die möchten vor allem den titelgebenden schwarzen Hund einfangen, von dem es heißt, er habe Tollwut.

Langs erste Begegnung mit diesem Tier zeugt von einem köstlichen schwarzen Humor, slapstickhafte Szenen durchziehen den ganzen Film: Nachdem Lang an die Wand eines verlassenen Gebäudes gepinkelt hat, erscheint der Hund und setzt seine eigene Duftmarke darüber. Dies wiederholt sich einige Male bis es den Hundefängern gelingt, den cleveren Streuner einzufangen. Lang aber, der von ihm gebissen wurde, muss eine Woche mit ihm in Quarantäne verbringen, um herauszufinden, ob sie an Tollwut leiden. Ganz behutsam freundet er sich mit dem vierbeinigen Außenseiter an, der genau wie er in einer Welt, die buchstäblich vor die Hunde geht, zurechtkommen muss. »Black Dog« ist auch eine Metapher für Depressionen.

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Langs Annäherung an das Tier kommt ohne die üblichen, kitschigen Szenen aus und wird durch die spürbare Verbindung zwischen Hauptdarsteller Peng und dem dürren Windhund getragen. So verwundert es nicht, dass Peng, der während der Dreharbeiten mit dem Hund sogar in einem Bett schlief, ihn danach adoptiert hat. Er reiste sogar mit ihm zur Filmpremiere nach Cannes, um dort den Preis in der Sektion un Certain Regard entgegenzunehmen.

Während die Handlung zuweilen über Plot-Schlaglöcher ruckelt, ist die Kameraarbeit von Weizhe Gao, mit dem Hu auch schon bei »The Sacrifice« zusammengearbeitet hat, vom ersten bis zum letzen Bild dermaßen faszinierend, dass man auf dem Kinosessel klebt wie Lang auf seinem geliebten Motorrad. Dabei setzt Gao vor allem auf Totalaufnahmen der postapokalyptischen Landschaft, die noch lange nachhallen. Auch die Actionsequenzen sind großartig choreografiert und geschickt in Szene gesetzt – zu gerne hätte man bei den Dreharbeiten einmal Mäuschen oder Hündchen gespielt.

Blockbuster-Regisseur Hu wurde zuletzt für seine filmischen Kriegsspektakel »The Sacrifice« und »The Eight Hundred« gefeiert, die zwar durchaus kritisch den Wahnsinn des Krieges aufzeigen, aber dennoch auch von Nationalstolz durchtränkt sind. Inhaltlich kehrt Hu nun mit einer Art »Endzeit-Lassie« an seine regimekritischeren Anfänge zurück. Er zählt nämlich zur sogenannten »Sechsten Generation« des chinesischen Kinos, die versucht, sich an der Zensur vorbei ungeschönt mit den Verhältnissen auseinanderzusetzen. Dies gelang Hu 2009 mit seiner schwarzen Komödie »Cow«, in der es um die Freundschaft zwischen einem chinesischen Farmer und einer Milchkuh während der Gemetzel des Zweiten Weltkriegs geht.

Wie erzählt man kritisch von einem Überwachungsstaat, in dem jeder Film erst einmal von der Zensurbehörde geprüft wird? Indem man vordergründig von der Freundschaft zwischen einem Ex-Knacki und einem angeblich tollwütigen Hund erzählt. »Mutter, kann ich der Regierung trauen?«, heißt es in dem Pink Floyd Song »Mother«, der die filmische Fabel leitmotivisch durchzieht – ebenso wie »Hey You« (ebenso vom »The Wall«-Album). »Gib nicht kampflos auf«, heißt es da. Im Abspann widmet Hu seinen Film auf jeden Fall jenen, die bereit sind für die nächste Reise.

»Black Dog«: China 2024, Regie: Guan Hu. Mit: Eddie Peng, Zhangke Jia, Liya Tong. 110 Minuten, Start 12.12.

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