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Der Rücktritt des Joe Chialo
Was wäre, wenn eine der herrschenden Charaktermasken zur Vernunft käme? Eine utopische Fiktion gegen kulturellen Kahlschlag
Die Massen jubeln, es wehen die Fahnen, die Kinder streuen Blumen auf die Straßen – endlich hat Berlins Kultursenator Joe Chialo einen Schritt in die richtige Richtung gemacht, nämlich zurück. In einer Rede zu seinem Rücktritt hieß es: »Meine politischen Entscheidungen standen im klaren Widerspruch zu den Prinzipien, die die Berliner Kulturlandschaft über Jahre geprägt haben: Vielfalt, Inklusion und Zugang für alle.« Er schließt sich damit Stefan Evers an, der jüngst als Finanzsenator zurückgetreten war, nachdem ihm eine Gruppe Jugendlicher um LAMBDA bei der Eröffnung eines queeren Weihnachtsmarktes wegen Kürzungen in der queeren Jugendhilfe die Show gestohlen hatte. Als pinkes Geld auf ihn herabregnete und Unbekannte in Kai-Wegner-Masken um ihn herum tanzten, so sagt er, da wurde Evers klar: »Die Kreativkräfte sind das Alleinstellungsmerkmal Berlins. Es ist die Aufgabe des Finanzsenators, diejenigen besonders zu fördern, die sonst nirgendwo Geld herbekommen können.«
Offenbar hat er sich mit diesem Anliegen direkt an Chialo gewandt. Erst kürzlich hatte dieser sich damit hervorgetan, mehr als 120 Millionen Euro zum Berliner Spardiktat beizutragen – etwa 12 Prozent des Kulturetats der Hauptstadt. Aufgrund der Kurzfristigkeit der Kürzungen herrschten Chaos im Berliner Kulturbetrieb und Angst in der Psyche der von Armut bedrohten Künstler*innen. Böse Zungen behaupteten, dass es Chialos Rache gerade an der alternativen und freien Szene gewesen sei, die sich bis zuletzt mit Petitionen und Gerichtsprozessen gegen seine Interventionen gewehrt hatte – am prominentesten gegen die sogenannte Antisemitismusklausel.
»Ich hatte einfach nicht verstanden, was die Aufgabe von staatlicher Kulturförderung ist«, erklärt Chialo nun. »Ich dachte, es gehe da um Wirtschaftlichkeit und Entertainment. Aber nun habe ich eingesehen: Der Staat hat auch eine strukturbildende Aufgabe! Es geht auch darum, Menschen unerwartete ästhetische Erfahrungen zu vermitteln. Sophiensæle, Vierte Welt, Ballhaus Ost, das waren für mich einfach nur Namen auf Papier, für die Investoren eben nicht zahlen. Die wollen nämlich werbeträchtige Prestigeprojekte. Es tut mir leid. Ich bin da dem Kapitalismus auf den Leim gegangen. Ich habe mir einreden lassen, dass ein Minimalstaat ein Optimalstaat wäre, dass gute Kultur aus dem freien Spiel der Kräfte auf einem freien Markt hervorgehen könnte. Aber dieses ›freie Spiel‹ ist ja immer schon durch Geld und Traditionen kalibriert und eben nicht frei. Ich bedanke mich bei Stefan (Evers, Anm. d. Red.) für die langen Gespräche der letzten Tage. Und dafür, dass wir zusammen Banu Khapil gelesen haben. Ich entschuldige mich bei den Berliner Kulturschaffenden. Und ich trete zurück.« Als Nachfolge schlägt Chialo eine künstlerische Selbstverwaltung vor, »so eine Art kulturellen Soviet«. Ausruhen will er sich aber erst mal nicht. Stattdessen möchte er seine neu gewonnene Popularität dafür einsetzen, die innn.it-Petition »Berlin nicht kaputt sparen!« zu unterstützen. Außerdem wirbt der Ex-Kultursenator dafür, den reichsten Deutschen, Lidl-Gründer Dieter Schwarz, mit seinem Vermögen von etwa 45 Milliarden Euro in die Konsolidierung Berlins einzubeziehen.
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