Migranten noch immer nicht gleichberechtigt

Integrationsbericht führt zu Kritik

  • Yaro Allisat
  • Lesedauer: 3 Min.
Reem Alabali-Radovan (SPD), Staatsministerin der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration bei der Vorstellung des Integrationsberichts
Reem Alabali-Radovan (SPD), Staatsministerin der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration bei der Vorstellung des Integrationsberichts

Die Integration läuft nach Einschätzung der Bundesregierung gut – oder lief zumindest gut. Der am Mittwoch erschienene 14. Bericht der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung Reem Alabali-Radovan (SPD) verzeichnet unter anderem bei Beruf, Einkommen und Schulabschlüssen deutlich bessere Zahlen von Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit als frühere Berichte. Gleichzeitig stieg die Zahl der Hasskriminalität, der berichteten Rassismuserfahrungen und der gewalttätigen Angriffe auf Geflüchtete.

Schon bei der Vorstellung des Berichts bemängelte Alabali-Radovan, dass es »absolut unangebracht« sei, einen Tag nach dem Sturz des syrischen Ministerpräsidenten Baschar Al-Assad bereits über Abschiebungen zu diskutieren. Auch die Ko-Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD) Aslihan Yesilkaya-Yurtbay kritisierte auf der Pressekonferenz, dass in Deutschland gerade eine »Antiwillkommenskultur« etabliert werde. So hat sich die Zahl bei Hasskriminalität seit 2005 verdreifacht.

Analysiert wurden im neuen Integrationsbericht jedoch die Zahlen von 2023 und den Jahren davor – also spielen die massiven asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verschärfungen, die Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes, die finanziellen Kürzungen bei Migrationsberatungsstellen und Integrationskursen oder die Israel-Palästina-Debatten, die zu einer Zunahme des Rassismus und Antisemitismus von rechts beigetragen haben, noch keine Rolle. Ursachen und Mechanismen für die dargestellten Statistiken analysiert der Bericht zudem nicht. Stattdessen arbeitet der Bericht mit den Statistiken von Behörden wie Arbeitsagentur und Ausländerbehörden, der Kinder- und Jugendhilfestatistik oder von Beratungsstellen für Betroffene rechter und rassistischer Gewalt.

Mehr als ein Viertel der in Deutschland lebenden Menschen haben eine Einwanderungsgeschichte. Die Zahl der Personen mit befristeten Aufenthaltstiteln hat sich von Mitte 2016 bis 2023 auf vier Millionen verdoppelt. Das liegt laut Bericht vor allem am Zuzug ukrainischer Geflüchteter. Die Mehrheit der Menschen mit befristeten Aufenthaltstiteln hat diese aus völkerrechtlichen, humanitären und politischen Gründen (55 Prozent), 23,9 Prozent aus familiären Gründen. Rund jeder Zehnte (10,4 Prozent) besaß einen befristeten Titel zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, 6,3 Prozent für eine Ausbildung.

Die Zahl der Geduldeten, also der abschiebebedrohten Personen, deren Abschiebung allerdings aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen, wie Krankheit, Transportunfähigkeit oder fehlende Rücknahmebereitschaft des Heimatlands, vorübergehend nicht möglich ist, sank aufgrund des sogenannten Chancenaufenthaltsrechts von rund 248 000 (2022) auf 194 000 (2023).

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Mit 194 000 war währenddessen die Zahl der Einbürgerungen so hoch wie nie – auch wenn damit nur 3,6 Prozent der Menschen, die die Voraussetzungen dafür erfüllen, eingebürgert werden. Im Juni dieses Jahres wurde das Staatsangehörigkeitsrecht reformiert, sodass unter anderem kürzere Voraufenthalte notwendig sind und eine Mehrstaatigkeit möglich ist. Allerdings auch ein Bekenntnis »zur historischen Verantwortung Deutschlands für die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft und ihre Folgen«, was angesichts propalästinensischer Solidaritätsdemonstrationen aufgenommen wurde. Laut Bericht sind steigende Einbürgerungszahlen zu erwarten.

Obwohl der Bericht sich um einen differenzierten Integrationsbegriff bemüht, spielt weniger die soziale, mehr die Arbeits- und Bildungsintegration eine Rolle. Für das vergangene Jahr verzeichnet der Bericht Höchstwerte bei Erwerbstätigkeit und Berufsanerkennung von Migrant*innen. Die Zahl akademischer Abschlüsse und Absolventen beruflicher Schulen hat sich ebenfalls mehr als verdoppelt. Vor allem Frauen sind weiterhin benachteiligt. Auch wenn die Zahlen damit unter denen von Menschen ohne Einwanderungsgeschichte liegen, spricht Alabali-Radovan von einem grundsätzlichen Gelingen der Integration.

Trotzdem bleibt noch viel zu tun. An Hochschulen sind Personen mit Einwanderungsgeschichte im Vergleich zur Gesamtbevölkerung unterrepräsentiert. Eingewanderte und ihre Nachkommen sind zudem deutlich häufiger von »sozialen, finanziellen und bildungsbezogenen Risikolagen betroffen als Gleichaltrige ohne Einwanderungsgeschichte«, so die Kritik der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -