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Biedere Verfilmung eines Mythos

Die Serie »100 Jahre Einsamkeit« versucht den García-Márquez-Klassiker in Bilder zu fassen

  • Florian Schmid
  • Lesedauer: 3 Min.
Magischer Realismus ins Medium Film übertragen: Am Ende ist ein brennender Haufen ein brennender Haufen, ist ein brennender Haufen.
Magischer Realismus ins Medium Film übertragen: Am Ende ist ein brennender Haufen ein brennender Haufen, ist ein brennender Haufen.

Viele Jahre später, vor dem Erschießungskommando, sollte der Oberst Aureliano Buendía sich an jenen fernen Nachmittag erinnern, als sein Vater ihn mitnahm, das Eis kennenzulernen.» Mit diesem Satz, einem der berühmtesten der Weltliteratur, beginnt Gabriel García Márquez’ Roman «100 Jahre Einsamkeit», ebenso wie auch die von Netflix produzierte Serienadaption dieses gut 500-seitigen Klassikers.

Die auf zwei Staffeln mit je acht Episoden angelegte Verfilmung, deren erste Hälfte jetzt verfügbar ist, hält sich fast etwas zu stoisch, um nicht zu sagen bieder, an die Romanvorlage, tut sich aber schwer, dem literarischen Mythos gerecht zu werden. Márquez’ 1967 erschienener Roman zeichnet sich schließlich vor allem durch seinen eigenwilligen, stilistisch einzigartigen Erzählsog aus, der filmisch in dieser Form kaum umsetzbar ist.

Dabei spielt die lateinamerikanische Literatur bei Netflix gerade eine große Rolle. Anfang November kam mit «Pedro Páramo» die filmische Adaption eines weiteren Klassikers des magischen Realismus lateinamerikanischer Prägung ins Programm des Streaming-Anbieters. Aber die Serie «100 Jahre Einsamkeit» sprengt bisherige Dimensionen und ist eine der teuersten lateinamerikanischen Filmproduktionen aller Zeiten.

Die Handlung von Márquez’ mit 50 Millionen Exemplaren weltweit meistverkauften Romans wiederzugeben, ist gar nicht so einfach. Die in einem kolumbianischen Dorf lebenden entfernten Verwandten José Arcadio Buendía (Marco González) und Úrsula Iguarán (Susana Morales) heiraten gegen den Willen ihrer Eltern, begeben sich auf jahrelange Wanderschaft und gründen irgendwo im Urwald das Dorf Macondo, dessen Geschichte über Jahrzehnte hinweg erzählt wird. Ihre männlichen Nachfahren, die abwechselnd Aurelio oder Arcadio heißen, sowie diverse Töchter erleben, wie Macondo zur Stadt wird und Anschluss an die Welt findet.

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Dieser Mikrokosmos dient als Allegorie der lateinamerikanischen Geschichte, in der es um Entdeckung, Eroberung, Kolonisierung, Bürgerkriege und Imperialismus geht. Der Gründer des Dorfes, José Arcadio Buendía, ist außerdem Erfinder und experimentiert unter anderem mit Alchemie. Das Urwalddorf Macondo mit seinen anekdotischen, ineinandergreifenden Geschichten wird so zum Brennglas ländlicher Mythen, einer magisch anmutenden Wissenschaft, aber auch langsam entstehender staatlicher Institutionen mitsamt darum kreisenden gesellschaftlichen Konflikten, in die sich immer wieder viel Fantastik mischt.

Tote erstehen wieder auf oder geistern durch das langsam zur Stadt werdende Dorf, das irgendwann auch zur Bananenplantage eines US-amerikanischen Konzerns wird und am Ende nach diversen politischen Wirren natürlich untergeht. Die Serie packt das in aufwendig produzierte Bilder mit einem riesigen Aufgebot an Darstellern und Statisten. Insgesamt fast 16 Stunden Zeit nehmen sich die beiden Regisseur*innen Laura Mora und Alex García López, um dieses vor sich hin mäandernde Epos umzusetzen, das wegen der sich ständig wiederholenden Namen mitunter wie eine unüberschaubare Endlosschleife anmutet.

Hin und wieder wirkt die filmische Umsetzung, die komplett in Kolumbien gedreht wurde und durchaus ihren ganz eigenen Sog entwickelt, fast zu aseptisch. Der 2014 verstorbene Gabriel García Márquez wehrte sich zu Lebzeiten stets dagegen, den Roman zu verfilmen. Aber beim derzeitigen Hype teuer produzierter Serien, die gerne als unverfilmbar geltende Stoffe umsetzen, wie etwa Isaac Asimovs «Foundation»-Trilogie bei Apple TV+, erlebt sogar «100 Jahre Einsamkeit» eine filmische Adaption.

Das bietet natürlich auch Anlass, diese sehr heteronormativ geprägte Geschichte noch einmal hinsichtlich ihrer Geschlechterrollen zu hinterfragen, zumal Márquez immer wieder für den latenten Sexismus in seinem Werk kritisiert wurde. Die Welturaufführung der ersten Staffel fand übrigens bei einem Filmfestival Anfang Dezember auf Kuba statt, ein Land, dem sich Gabriel García Márquez, der auch mit Fidel Castro befreundet war, stets verbunden fühlte.

«100 Jahre Einsamkeit» ist auf Netflix zu sehen.

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