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»Eine Demo ist ein politischer Wandertag«

Zwei Studien untersuchen das gesellschaftliche Engagement in Deutschland

Was darf auf keiner Demo gegen rechts fehlen? Richtig, ein Plakat mit dem Spruch »EkelhAfD«.
Was darf auf keiner Demo gegen rechts fehlen? Richtig, ein Plakat mit dem Spruch »EkelhAfD«.

Das vom Recherchenetzwerk Correctiv aufgedeckte Treffen rechtsradikaler Kräfte in einer Potsdamer Villa führte zu den bislang größten Protesten seit Gründung der Bundesrepublik. Geschadet haben sie die AfD, wenn überhaupt, nur wenig. Doch haben sich stattdessen Menschen nachhaltig politisiert? Entstand gar eine neue prodemokratische Bewegung, eine Art »Antifa for Future«? Und wie steht es grundsätzlich um das gesellschaftliche Engagement junger Menschen in Deutschland? Mit diesen Fragen haben sich zwei Studien auseinandergesetzt, die vergangene Woche erschienen sind.

Bertelsmann-Studie: Junge Generation glaubt nicht an Erfolg von Protest

Eine Umfrage unter mehr als 2500 repräsentativ ausgewählten 16- bis 30-Jährigen kommt zu einem ernüchternden Ergebnis: Demnach herrscht bei jungen Menschen das Gefühl vor, durch politisches Engagement nichts bewirken zu können. Nur knapp jeder Fünfte glaubt der Untersuchung im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung zufolge daran, dass es einen Unterschied macht, sich persönlich für ein bestimmtes Thema einzusetzen. »Nehmen wir die Demo als Beispiel, das ist eigentlich ein politischer Wandertag (...) am Ende habe ich halt nichts erreicht«, so das harsche Urteil einer Teilnehmerin gegenüber den Forschenden.

Die Hälfte der Befragten sieht jenseits von Wahlen nicht genügend Beteiligungsmöglichkeiten für junge Menschen. Nicht einmal jeder Zehnte glaubt, dass Parteien offen für die Ideen junger Menschen seien oder dass die Politik die Sorgen junger Menschen ernst nehme. Neben dem geringen Glauben an die eigene Wirksamkeit, sagte knapp die Hälfte der Befragten, sie wüssten nicht, »wie oder wo ich anfangen soll, etwas zu unternehmen«.

Nur etwa jeder zehnte Befragte gab an, in den letzten drei Monaten an einer Demonstration oder Versammlung teilgenommen zu haben.

Diese Haltung schlägt sich auch im Engagement junger Menschen nieder: Nur etwa jeder zehnte Befragte gab an, in den letzten drei Monaten an einer Demonstration oder Versammlung teilgenommen zu haben. Ungefähr so viele leisteten den eigenen Angaben zufolge eine Form der Freiwilligenarbeit.

Andererseits belege die Umfrage, dass junge Menschen grundsätzlich an gesellschaftlichen und politischen Themen interessiert sind, betonen die Studienautoren. Fast zwei Drittel der Befragten möchten mehr über die gesellschaftspolitischen Themen erfahren, an denen sie jeweils Interesse haben. Hier wurden besonders häufig die Bereiche Krieg und Frieden, Gesundheit, Inflation oder Bildung genannt. Wie in vorherigen Studien brachte die Befragung dabei einen Geschlechterunterschied zutage: Frauen unterstützten eher links-progressive Themen, während Männer häufiger zu liberal-konservativen Positionen tendierten.

Damit junge Menschen nicht weiter auf Distanz zur Politik gehen, müsse es gelingen, junge Menschen besser in politische Entscheidungen einzubinden, folgert die Bertelsmann-Stiftung. »Junge Menschen würden sich politisch mehr engagieren, wenn sie wüssten, dass ihr Einsatz tatsächlich eine Wirkung entfaltet und ihre Argumente Gehör finden«, sagte Regina von Görtz, Expertin der Bertelsmann-Stiftung für Jugend und Demokratie.

IPB-Untersuchung: Demonstrationen als »Takt- und Impulsgeber«

Wie steht es aber um jene Personen, die auf die Straße gehen, um zu demonstrieren? Dazu befragten Forschende des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung (IPB) im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung im Vorfeld der Europawahl 534 Teilnehmer*innen auf Großveranstaltungen in Dresden und Hamburg. Vielen galten die Demonstrationen vor der Europawahl mit den in neun Bundesländern am selben Tag stattfindenden Kommunalwahlen als zweite Protestwelle im Anschluss an die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus im Januar. Ein Zufallsmechanismus bei der Auswahl der Befragten und die Untersuchung in einer west- und einer ostdeutschen Stadt sollten sicherstellen, dass die Ergebnisse für all jene Menschen sprechen, die sich an dieser zweiten Welle beteiligten. Übertragbar auf die gesamte Gesellschaft sind sie jedoch nicht – deshalb lassen sich die Zahlen auch nicht mit denen aus der ersten Studie vergleichen.

Typisch für Protestzyklen: Mit bundesweit etwa 200 000 Teilnehmer*innen gingen vor der EU-Wahl längst nicht mehr so viele Menschen auf die Straße wie noch im Winter. Trotzdem bezeichnen die Studienautor*innen beide Proteste als »demokratischen Takt- und Impulsgeber«, der dazu beigetragen habe, dass die Gefahren des Rechtsextremismus in der öffentlichen Debatte sichtbarer wurden. Und das war augenscheinlich auch das Ziel der Teilnehmenden: Nur ein geringer Teil von ihnen ging davon aus, mit dem Protest Andersdenkende umstimmen zu können. Hingegen sagten fast neun von zehn Befragten, die Proteste würden ein »Zeichen setzen« und mediale Aufmerksamkeit erzeugen.

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»Auf der anderen Seite hat die Protestwelle auch zu einer Belebung zivilgesellschaftlicher Arbeit in Deutschland beigetragen«, schreiben die IPB-Forschenden. Nicht nur entstanden in Dresden und Hamburg, wie in vielen anderen Städten auch, neue Bündnisse und Strukturen. Jede*r Dritte gab an, sich bei Protesten stärker als zuvor zu beteiligen. Jede*r Zweite sagte, häufiger politische Diskussionen zu führen. Dass sie häufiger eingreife, wenn sie diskriminierendes Verhalten beobachtet, behauptete jede*r vierte befragte Person.

»Die Protestwelle hat zu einer Belebung zivilgesellschaftlicher Arbeit in Deutschland beigetragen«

Studienautor*innen des des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung (IPB)

Allerdings haben die untersuchten Demonstrationen kaum zur Beteiligung von Personen ohne Protesterfahrung geführt. Nur jede*r Zehnte gab an, zuvor noch nicht an Demonstrationen gegen Rechtsextremismus teilgenommen zu haben. Die Forschenden werten das als Verstetigung des Engagements: Diejenigen, die sich im Sommer erneut beteiligten, seien zum Großteil besonders motiviert und bereit, sich vielfältig politisch einzubringen.

In beiden Städten gaben mehr als die Hälfte ihr Geschlecht als weiblich an. Dies bestätige einen seit Längerem sichtbaren Trend: Es beteiligen sich immer mehr Frauen »bei Klima- und Demokratieanliegen«, so die Forschenden. In dieses Muster passen auch das verhältnismäßig hohe Bildungsniveau, die vielen Teilnehmenden aus der Mittelschicht sowie deren überwiegend linke Einstellung. Übrigens: Wähler*innen von CDU und FDP trafen die Wissenschaftler*innen kaum – obwohl diverse Kreis- und Ortsverbände beider Parteien zu den offiziellen Bündnispartner*innen gehörten. Mit dpa

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