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Antiziganismus in Berlin: Staatlich anerkannte Diskriminierung
Laut Ombudsstelle für Antidiskriminierung liegt Schwerpunkt von Antiziganismus in Behörde und Schule
Sinti und Roma in Berlin erfahren sowohl im öffentlichen Raum als auch in der Schule, in Behörden und durch den Sicherheitsapparat Diskriminierung. Entsprechende Fälle vermeldet Jahr um Jahr die Berliner Dokumentationsstelle Antiziganismus (Dosta), auch die Ombudsstelle des Landesantidiskriminierungsgesetzes (LADG) setzt sich mit antiziganistischer Diskriminierung auseinander. Der schwarz-rote Senat macht dagegen zu wenig – das schließt die Linke-Abgeordnete Elif Eralp aus der Antwort der Senatsverwaltung für Antidiskriminierung auf eine von ihr gestellte Schriftliche Anfrage.
»Kaum jemand im öffentlichen Dienst lässt sich zu Antiziganismus schulen«, sagt Eralp zu »nd«. Das sei vor allem innerhalb der Bildungsverwaltung und bei Lehrkräften problematisch, weil »aktuelle Berichte der Meldestelle Dosta zeigen, dass gerade im Schulbereich besonders häufig antiziganistische Diskriminierung statfindet.« In der Senatsantwort werden auf Nachfrage Eralps nur vereinzelte Schulungen von Verwaltungsmitarbeiter*innen und Lehrkräften aufgelistet. Derweil bezieht sich der Senat selbst auf aktuelle Berichte von Dosta, um Schwerpunkte antiziganistischer Diskriminierung festzustellen, diese liegen demnach aktuell in den Bereichen »Schule« und »Kontakt zu Leistungsbehörden«.
Leistungsbehörden sind etwa die Sozialämter oder Jobcenter, die existenzsichernde Leistungen auszahlen. Dass dort Roma, vor allem aus Osteuropa, Diskriminierung erfahren, vermelden Dosta und andere Organisationen schon lange. Die Ombudsstelle des LADG bewertet laut der Senatsantwort eine interne Arbeitsanweisung der Jobcenter, die im Jahr 2019 veröffentlicht und seitdem mehrmals geändert, aber nicht abgeschafft wurde, als diskriminierend. Es geht dabei um die Arbeitshilfe »Bekämpfung von bandenmäßigem Leistungsmissbrauch im spezifischen Zusammenhang mit der EU-Freizügigkeit«. Laut Roma-Organisationen führt diese dazu, dass insbesondere Roma aus Osteuropa verdächtigt werden, ungerechtfertigt Leistungen zu beantragen. Dadurch würden von Roma etwa unverhältnismäßig viele Dokumente angefordert und existenzsichernde Leistungen erst zu spät ausgezahlt. Der Senat selbst verweist auf erfolgte Änderungen an der Arbeitshilfe und darauf, dass die Arbeitshilfe von den Mitarbeiter*innen der Jobcenter gebraucht werde. Außerdem werde explizit darauf hingewiesen, niemanden unter Generalverdacht zu stellen.
Elif Eralp ist nicht überzeugt. »Wie auch bei der Bezahlkarte schon ergeben sich unterschiedliche Einschätzungen von LADG-Ombudsstelle und Senat aus meiner Anfrage«, sagt sie zu »nd«. Das Bargeld-Limit der Bezahlkarte für Geflüchtete hatte die Ombudsstelle als diskriminierend bewertet, dennoch hat sich der Senat dafür entschieden, es einzuführen. »Der Senat sollte dringend auf die eigenen Expert*innen hören und darauf hinwirken, dass diese ›Arbeitshilfe‹ abgeschafft wird«, so Eralp.
»Kaum jemand im öffentlichen Dienst lässt sich zu Antiziganismus schulen.«
Elif Eralp Abgeordnete für die Linksfraktion
Darüber hinaus erkennt die Ombudsstelle in den verdachtsunabhängigen Kontrollen der Berliner Polizei ein strukturelles Diskriminierungsrisiko. »Hier können antiziganistische Zuschreibungen Racial Profiling befördern«, so die Ombudsstelle laut Senatsantwort. Trotzdem »hält der Senat an dieser unhaltbaren Praxis fest und die Kontrollen haben sich seit Schwarz-Rot noch verschärft«, so Eralp.
Die Abgeordnete kritisiert weiterhin die fehlende Einbeziehung von Roma-Selbstorganisationen in Entscheidungen des Senats. Zum Beispiel will dieser die Stelle einer »Ansprechperson Antiziganismus« im Frühjahr 2025 besetzen, wie aus der Senatsantwort hervorgeht. »Migrant*innenselbstorganisationen, Selbstvertretungen oder in diesem Bereich tätige Organisationen sind bei dem Auswahlverfahren nicht beteiligt«, heißt es dort. Als Grund werden »datenschutzrechtliche Bedenken« angegeben. »Eine fehlende Beteiligung der Communities steht aber der Akzeptanz und Vertretung der künftigen Ansprechperson eben dieser Communities entgegen und kann noch zum Problem werden«, sagt Eralp.
Das sei auch ein Problem in Bezug auf das »Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas« im Tiergarten, so die Abgeordnete. Dieses wird nach Senatsplänen durch Bauarbeiten für die S-Bahn-Linie 21 beeinträchtigt werden, unter anderem durch Baumfällungen. Viele Organisationen und auch die Familie des verstorbenen Urhebers des Denkmals, Dani Karavan, haben die Pläne sowie die ausbleibende eigene Beteiligung an der Planung deutlich kritisiert. In der Senatsantwort heißt es zwar, es seien »verschiedene Selbstvertretungen von Romnja, Roma, Sintizze und Sinti einbezogen« worden. Doch man könne nicht mehr nachvollziehen, welche das gewesen sein sollen. Aus Sicht Eralps drücke sich der Senat an dieser Stelle vor einer konkreten Antwort, weshalb die Abgeordnete weiter nachhaken will.
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