Hofgemeinschaft »Viva La Bernie« in Hamburg soll weichen

Einer Hinterhofgemeinschaft in Hamburgs Bernstorffstraße droht das Aus. Kreative würden in St. Pauli wichtige Räumlichkeiten verlieren

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 6 Min.
Die Hofgemeinschaft möchte das Areal an der Bernstorffer Straße, das sie »Viva La Bernie« nennen, kaufen und dadurch dauerhaft erhalten.
Die Hofgemeinschaft möchte das Areal an der Bernstorffer Straße, das sie »Viva La Bernie« nennen, kaufen und dadurch dauerhaft erhalten.

Das schwarze Finanzbarometer auf hellgrünen Grund auf der Homepage von »Viva La Bernie« zeigt die Summe von 1 291 000 Euro an. Daneben steht auf leuchtend grünem Grund die Zielmarge von 3 200 000 Euro. Die Lücke ist gigantisch, und so tickt die Uhr immer lauter für die Aktivist*innen der Hamburger Bernstorffstraße 117. Bis zum Jahresende hätten sie noch Zeit, das Geld zusammenzubringen, sagt Daniel Schlegel. Er ist Fotograf und Lichttechniker, hat sein Büro in der Zentrale von »Viva La Bernie« und ist ein Aktivist der ersten Stunde.

Am 29. Juni 2017 erfuhren die Mieter auf dem Werkhof vom Eigentümer-Wechsel. Die beiden Berliner Investoren Christoph Reschke und Alexander Möll hatten das 4800 Quadratmeter große Gelände um den Hinterhof in der Bernstorffstraße gekauft. »Für uns war das der Super-Gau, natürlich erfuhren wir als letzte davon. Dann sind wir aktiv geworden«, erklärt Schlegel und füllt zwei Kaffeebecher auf dem Küchentresen im hinteren Teil einer kleinen Halle im ersten Stock eines alten Gebäudes. Von hier aus starteten alle Initiativen des Werkhofs in den vergangenen Jahren, hier fanden die Versammlungen statt. Derzeit arbeiten die Nutzer*innen des Geländes fieberhaft an einer weiteren Kampagne des Werkhofs, um die 4800 Quadratmeter aus den Händen der Berliner Investoren in die der Hofgemeinschaft zu überführen. Die Summe von 3,2 Millionen Euro ist der notwendige Eigenanteil, der Kaufpreis für das Areal beträgt 8,5 Millionen Euro. Wenn alles klappt, soll der Hof an die städtische Johann-Daniel-Lawaetz-Stiftung überschrieben werden.

Kaum noch Handwerk in der City

Für die Rettungskampagne haben die Werkhöfler*innen ein Video erstellt. »Bernie is dead« heißt es da, im Hintergrund erklingen Sirenen, ein Sprecher erklärt: »Der Countdown läuft«. Bis zum 31. Dezember bleibe noch Zeit, um das Hofgelände zu retten; so die Botschaft, die aufrütteln und zum Helfen animieren soll.

Auf die Frage, warum die Leute gerade das Projekt und das Hinterhof-Idyll unterstützen sollen, ist Janine Hay gut vorbereitet. »Weil wir den Werkhof gemeinsam aus der Spekulations- und Gentrifizierungsblase herauslösen und ihn mindestens für 99 Jahre als kreativen, sozialen und gemeinsamen Ort erhalten wollen. Wir wollen auch künftigen Generationen bezahlbares Wohnen und Arbeiten ermöglichen«, erklärt die Sprecherin von »Viva La Bernie«. Sie weiß auch, dass der Werkhof in der Bernstorffstraße weniger bekannt ist als andere Projekte im Stadtteil St. Pauli. Hier spielt sich viel Alltägliches ab.

Für Tischlermeister Thomas Kühn, der ein Stockwerk tiefer seine Werkstatt hat und sie mit anderen teilt, ist der Werkhof die Chance als Handwerker innerstädtisch zu arbeiten. »So etwas gibt es kaum noch. In der Regel gehen Handwerksbetriebe heute auf die grüne Wiese am Stadtrand, ziehen in eine Blechhalle und haben dann extrem lange Anfahrten«, schildert er die Erfahrungen aus neun Umzügen in den vergangenen 30 Jahren. Für ihn war es ein Glücksfall, dass er vor fünf Jahren auf den Werkhof kommen konnte und sich nun die geräumige Tischlerei im Erdgeschoss mit anderen Handwerksbetrieben teilen kann. »Für mich sind das echte Synergieeffekte, wie es neudeutsch heißt. Hier bin ich viel kreativer und genieße den Austausch mit anderen.« Für ihn ist es selbstverständlich, hier und da bei nötigen Reparaturen auf dem Hof Hand anzulegen, wenn eine Tür nicht richtig schließt oder ein Fenster kaputt ist.

Vom Pferdestall zum Kreativhof

»Altonaer Ringbahn« stand lange über der Einfahrt zum Werkhof in der Bernstorffstraße 117 in Hamburg. Ein Depot der Straßenbahn befand sich in dem Ensemble mehrgeschossiger Bauten, wovon ein Teil für die Pferde reserviert war, die die Straßenbahnen damals noch zogen. Für etwa 200 Pferde und rund 30 Straßenbahnwagen war das 1881 eingeweihte Depot konzipiert, und die Betreiber hatten sich nicht lumpen lassen und die Gebäude im sogenannten Schweizer Stil mit überstehenden Dächern und dekorativen Verzierungen errichten lassen.
Allerdings währte die Hochzeit der Hamburger Pferdebahnstrecken – die erste wurde 1866 eingerichtet – nur bis 1894. Da wurde die erste Trasse elektrifiziert, und vier Jahre später war es mit den Pferdebahnstrecken vorbei. 1898 war nahezu das gesamte Straßenbahnsystem elektrifiziert – das Depot in der Bernstorffstraße war obsolet, und andere Nutzer quartierten sich hier ein. Von der Kohlehandlung über das Handwerk, aber auch als Lagerflächen wurde die Gebäude genutzt – mit Ausnahme des alten Kontorhauses, das ist bis heute ein Wohnhaus.
1962 diente ein Teil des Ensembles als Notunterkunft für die Opfer der Hamburger Sturmflut. Danach sind die Flächen wieder in die gewerbliche Nutzung gegangen, wobei in den 1970er und 1980er Jahren erste Büros entstanden. Einige Leute bauten auf dem Gelände auch ihre Wohnungen. khe

Seit der Übernahme durch die Berliner Investoren im Juni 2017 ist die Hofgemeinschaft enger zusammengerückt. Die Dachdecker und die Fotografin, der Tischler und der Kfz-Mechaniker sowie die Künstler*innen, die teilweise auf dem Hof wohnen, haben sich zu einer Initiative zusammengeschlossen. Ende November erfolgte ein Eintrag ins Handelsregister als gemeinnütziger Verein, das ist ein weiterer Meilenstein für die Rettungskampagne. nun können Spendenquittungen ausgestellt werden, das könnte auf der Zielgeraden beim Sammeln der fehlenden knapp zwei Millionen Euro entscheidend sein.

Felix Paul, Grafiker bei dem Designstudio Typeholics, hätte nicht gedacht, dass es so schwer sein würde, den Eigenanteil für die Finanzierung zusammenzubekommen. 2018 sei es der Initiative vergleichsweise leicht gefallen, in einer Kampagne sieben Millionen Euro zusammenzubekommen. Da hatte er bei Nachbarn, Freunden und Bekannten etliche Zusagen für solidarische Kredite eingesammelt. Die Summe wollten sie den beiden Investoren für die Übernahme des Werkhofs auf den Tisch legen, »was aber letztlich nicht klappte«, erinnert sich der 45-Jährige. »Viele Menschen denken, wir wären längst über dem Berg und dass der ausgehandelte Kompromiss aus dem vorigen Jahr längst umgesetzt wurde. Aber Fehlanzeige: Wir brauchen noch fast zwei Millionen.« Seit 2001 ist Felix Paul auf dem Werkhof zu Hause. Nach Hamburg kam er wegen der spannenden Hip-Hop-Szene; auf dem Hof produziert er mit seinen Kollegen Videos für Stars wie Jan Delay, Samy Deluxe und Fettes Brot, die sich zum Teil auch bei der Rettungskampagne einbringen.

Große Mäzene bleiben aus

An der positiven Berichterstattung im November 2023 liege es wohl, dass die Kampagne jetzt nur schleppend angelaufen ist, mutmaßen einige Werkhöfler*innen. Viele hätten nur die ersten Zeilen gelesen und die Nachricht nicht bis zum Ende verfolgt, glaubt auch Felix Paul. Daher ist es nun an der Zeit den Schalter umzulegen und die Strategie zu wechseln. »Weg von der Hoffnung, dass ein paar große Mäzene solidarische Kredite geben werden, hin zu den kleinen Pat*innen.« Kleine Summen, weil die Leute weniger Geld haben und die Stimmung nicht nur aufgrund der politischen Situation gedämpft ist, statt solidarische Kredite über größere Summen. »Ich hoffe, dass ich 20, 30, 40 oder auch 50 Pat*innen finden werde, um unseren Mikrokosmos erhalten zu können«, sagt Felix Paul und erntet aufmunternde Zustimmung von seinem Kollegen Daniel Schlegel: »Jetzt bitten wir Nachbarn, Freunde und Bekannte, uns zu unterstützten.«

Auf einer Wand will der Künstler Stefan Marx 4800 Kacheln anbringen, eine für jeden Quadratmeter des Werkhofs, und für jede Kachel kann eine Patenschaft in Höhe von 300 Euro übernommen werden.

»Wir wollen auch künftigen Generationen bezahlbares Wohnen und Arbeiten ermöglichen.«

Janine Hay Sprecherin von »Viva La Bernie«

Positiv ist, dass es etliche Behörden und Institutionen in der Hansestadt Hamburg gibt, die den Werkhof mit seinen knapp 20 Unternehmen erhalten wollen: von der Handwerkskammer über das Bezirksamt bis hin zu Senatorinnen. Für Finanzsenator Andreas Dressel ist das Areal ein »Soziotop«, für den grünen Verkehrssenator Anjes Tjarks »ein wichtiger Ort der Begegnung«. Dafür wurden bereits Bebauungspläne geändert, um ein übliches Szenario von Räumen und Abreißen, Neubau und teurer Verkauf unmöglich zu machen. Die Planänderungen haben auch dazu beigetragen, dass das Areal nach wie vor so erhalten ist, wie es 2017 an die Investoren übergeben wurde. Was mit dem Gelände geschieht, wenn das Geld für den Kauf nicht zusammenkommen sollte, ist unklar. Die Investoren halten sich mit ihren Plänen bislang bedeckt.

Die Förderung von Handwerks- und Gewerbehöfen ist ein erklärtes Ziel der Hamburger Wirtschafts- und Stadtentwicklung. Doch Geld will die Politik nicht bereitstellen, bislang zeigt sie sich nur indirekt über die Johann-Daniel-Lawaetz-Stiftung beim Kauf des Kreativhofs hilfsbereit. Nicht mal eine Bürgschaft für die fehlenden zwei Millionen Euro wird von der Hansestadt bisher in Erwägung gezogen. Aber hinter den Kulissen werde bis zuletzt verhandelt, erzählt Daniel Schlegel. Noch hat er Hoffnung.

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