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H48: Bewohnt, aber trotzdem Gewerbe?
Eine Feststellungsklage soll klären, ob eine Neuköllner Wohngemeinschaft einen Wohn- oder einen Gewerbemietvertrag hat
Clown oder IT? Diese Frage musste sich Nils J. stellen. Zwar nicht im Hinblick auf seine Lebensplanung, sondern dahingehend, was er im März 2009 in seinen Mietvertrag schreiben sollte – er musste ein Gewerbe angeben. So erinnert sich J. am Mittwoch als Zeuge vor dem Amtsgericht Neukölln. In dem Zivilprozess soll festgestellt werden, ob es sich bei dem damals geschlossenen Mietvertrag für die noch heute bestehende Wohngemeinschaft »City Chicken« im Neuköllner Hausprojekt H48 um einen Wohn- oder einen Gewerbemietvertrag handelt.
Für den Termin fahren beide Prozessparteien erheblich auf. Insgesamt sechs Anwälte sind anwesend. Die klagenden Mieter*innen wollen gerichtlich feststellen lassen, dass von Anfang an klar war, dass es sich um ein Wohnmietverhältnis handelte, der formal geschlossene Gewerbemietvertrag also ein Scheinvertrag ist. Die Vermieterseite beharrt darauf, dass Zweck des Vertrages Gewerbe gewesen sei. Sollte dies der Fall sein, wäre ein pausiertes Räumungsverfahren vor dem Landgericht Tegel schnell entschieden: Die WG müsste, wie nach dem Verkauf des Hauses schon andere, ausziehen.
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Nils J., der schon lange nicht mehr in der WG wohnt, sagt als Erster aus. Er habe im November 2008 die Wohnung besichtigt, die damals von vier Frauen und einem Kind bewohnt gewesen sei. Der Mietvertrag wurde im März 2009 unterzeichnet. »Wir saßen um einen runden Küchentisch«, erinnert er sich. Mit dabei: Die Eigentümerin Marianne S. und der Hausverwalter Ralf S., sagt J. Er habe freiberuflich als Kinderclown gearbeitet, so J. weiter. »Wir haben uns dann aber für IT entschieden. Eines der Zimmer war im Grundriss als Druckerraum bezeichnet.«
Die angebliche Gewerbenutzung sei nur für das Papier gewesen, sagt J., und das sei auch allen klar gewesen. Als freiberuflicher IT-ler hat er nie gearbeitet. Nachweise für seine gewerbliche Tätigkeit musste er nicht vorlegen. Dafür eine Bürgschaft seiner Eltern. »Wie in WGs üblich«, sagt J. Kontakt zur Eigentümerin habe es reichlich gegeben. Sie sei mehrere Male die Woche im Haus gewesen, um nach dem Rechten zu sehen, so J. »Da waren die Sachen einfacher zu klären.«
Als Nächstes sagt der damalige Hausverwalter Ralf S. aus. Er kann sich an wenig erinnern. Aber er ist sich sicher: »Der Eigentümerin war immer wichtig, dass dort Gewerbe ausgeübt wird.« Daran erinnern, wie es in der Wohnung aussah und ob er bei der Vertragsunterzeichnung dabei war, kann er sich nicht. Die Wohnung nennt er, wie die Vermieteranwälte, konsequent »Einheit« oder »Räumlichkeiten«. Er sagt, die Vermieterin habe sich um die Auswahl der Mieter*innen gekümmert. »Wir waren selber sei nur unterstützend tätig.«
Auch Elke S., die Tochter der damaligen Eigentümerin, sagt aus. Ihre Mutter hätte eigentlich auch aussagen sollen, ist aber krank. »Meine Mutter hat immer darauf geachtet, dass das Gebäude rein gewerblich genutzt wird. Das war ihr sehr wichtig«, sagt Elke S. Dass »diese Massen von Menschen« dort wohnen, sei ihnen nicht bewusst gewesen. Zum entscheidenden Zustandekommen des Vertrages, kann sie aus eigener Erinnerung nichts sagen. Sie habe mit ihrer Mutter darüber geredet, sagt sie.
»Wir haben bewiesen, was wir beweisen mussten«, sagt nach dem Prozess Anwältin Daniela Rohrlack, die die jetzigen Mieter*innen der WG vertritt, zu »nd«. Bis ein Urteil gefällt wird, dauert es aber noch etwas. Der Vorsitzende Richter kündigte an, am 21. Januar 2025 seine Entscheidung zu verkünden.
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