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Experte über Alkohol: Auch moderater Genuss riskant
Alkoholforscher Helmut Seitz erklärt, warum der Konsum von Hochprozentigem immer schädlich ist
In den Köpfen vieler Menschen ist fest verankert, dass Alkohol – in Maßen genossen – auch positive Seiten haben kann. Wie viel ist da dran?
Rein gar nichts. Wenn man etwas gerne mag, dann möchte man es sich schönreden. In den 90er Jahren gab es große Untersuchungen, bei denen es hieß: Etwas Alkohol ist gut für die Gefäße und beugt Herzinfarkten vor. Diese Forschung wurde stark von der Alkoholindustrie gepusht. Inzwischen ist erwiesen, dass das nicht den Tatsachen entspricht. Alkohol ist immer schädlich, auch in geringen Mengen. Allenfalls bekommt man seltener Gallensteine, wenn man trinkt – aber das ist natürlich kein Argument. Das einzig Gute, was Sie über Alkohol sagen können, ist, dass er ein exzellentes soziales Schmiermittel ist. Mit einem Glas Wein oder Champagner werden Sie etwas runder, leichter, lockerer. Deswegen trinken ja auch viele, um Hemmungen zu überwinden.
Dennoch hat sich gerade Rotwein einen guten Ruf bewahrt.
Das ist alles Quatsch. Die Dosen an dem Antioxidans Resveratrol, die darin enthalten sind, spielen keine Rolle, weil sie viel zu gering sind. Es gibt jedoch Studien, die zeigen, dass Alkohol in kleinen Dosen das gute HDL-Cholesterin erhöht. Auch auf die Biologie des Blutes wirkt er sich positiv aus. Das heißt aber noch lange nicht, dass das Gesamtrisikoprofil günstig ausfällt. Alkohol erhöht den Blutdruck, hat viele Kalorien und trägt zu rund 200 Krankheiten bei. Jeder Mensch hat allerdings ein unterschiedliches Risiko, und für jeden gilt eine andere Schwellendosis.
Helmut Karl Seitz, ist Honorar-Professor für Innere Medizin, Gastroenterologie und Alkoholforschung an der Universität Heidelberg. Bis 2020 leitete er unter anderem das Alkoholforschungszentrum der Uni Heidelberg. Er gilt als international anerkannter Alkoholforscher, vor allem auf dem Gebiet alkoholbedingter Leber- und Krebserkrankungen.
Wie meinen Sie das?
Wenn Sie fünf Männer jeden Tag eine Flasche Wodka trinken lassen, dann bekommt einer davon nach 20 Jahren eine Leberzirrhose. Das heißt: Sie haben individuelle genetische Aspekte, die das Risiko bestimmen. Ein paar dieser Gene kennen wir, andere nicht. Das Organ mit dem größten Risiko, selbst für kleinste Mengen Alkohol, ist die weibliche Brustdrüse. Laut WHO steigt das Brustkrebsrisiko mit jeder pro Tag konsumierten Einheit Alkohol. Wer besonders stark gefährdet ist, weiß man nicht genau. Vorsichtig sollten auf jeden Fall Frauen sein, bei denen bereits die Mutter Brustkrebs hatte, aber auch Frauen, die eine Mastopathie haben – also eine gutartige Veränderung in der Brust –, und solche, die von außen Östrogene zuführen. Alkohol erhöht den Östrogenspiegel nämlich zusätzlich, und Östrogene sind nicht ganz unproblematisch in Bezug auf das Brustkrebsrisiko.
Früher hieß es, dass Frauen zumindest ein kleines Glas pro Tag nicht schadet.
Diese Grenze gibt es nicht mehr. Wenn Sie ein gesunder Mensch sind, dann können Sie von Zeit zu Zeit ein Glas Bier oder Wein trinken, ohne dass etwas passiert. Wer weiß aber schon genau, ob er komplett gesund ist? Ansonsten gilt 0,0. Jeder Tropfen Alkohol ist schädlich. Mit dieser Botschaft kommt man aber in der realen Welt nicht an. Wir müssen sehen, wie wir erreichen, dass Menschen weniger trinken. Sie sollen ja nicht alle komplett abstinent werden, ich trinke ja auch was. Man muss sagen: Passt auf mit dem Trinken! Einer meiner Patienten hat mir gerade erzählt, dass er abends eine halbe Flasche Wein getrunken hat. Nachts hat er auf einmal Vorhofflimmern bekommen. Das ist ganz klassisch: Alkohol macht bei empfindlichen Menschen Vorhofflimmern, was wiederum ein Risikofaktor für Schlaganfälle ist. Alkohol ist in jeder Form ein Zellgift.
In Ihrem Buch »Die berauschte Gesellschaft« schreiben Sie aber, dass ältere Männer mit hohem Herzinfarktrisiko von einem Glas Wein profitieren können.
Das haben wir 2018, als das Buch entstanden ist, noch gesagt. Wahrscheinlich ist auch nichts dagegen einzuwenden, wenn ältere Menschen ab 70 ein Glas Wein trinken. Ich würde das heute aber nicht mehr so formulieren. In den letzten fünf Jahren hat es eine riesige Menge neuer Literatur gegeben, die zeigt, dass Alkoholkonsum immer schädlich ist. Man sagt oft: Die Großmutter ist 92 Jahre alt geworden und hat jeden Tag ein Glas Wein getrunken. In Wirklichkeit ist sie trotz des Weins so alt geworden, nicht deswegen. Menschen im Alter bleibt oft nicht viel, sie sind einsam, ihnen möchte ich ein Glas Alkohol nicht verbieten.
Kann es vor riskantem Alkoholkonsum schützen, wenn man mit Genuss trinkt? Also kleine Mengen langsam trinkt, nichts in sich hineinschüttet?
Ob Sie genießen oder nicht: Sie schütten nun mal Alkohol in den Körper hinein.
Es kommt rein auf die Menge an. Ob Sie die mit oder ohne Bewusstsein trinken, spielt für die Schädigung der Organe keine Rolle.
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Dennoch trinkt man in der Regel weniger, wenn man achtsam mit Alkohol umgeht.
Natürlich. Ich habe auch gar nichts dagegen, wenn Sie dreimal die Woche ein kleines Glas Wein trinken, solange Sie gesund sind. Wenn Sie das langsam tun, dann freuen Sie sich eher daran. Trotzdem haben Sie den Alkohol intus. Wie spürt man, wie viel man verträgt? Manche Menschen können viel trinken und merken nicht viel davon. Das ist dann besonders gefährlich.
Wie bringt man Menschen dazu, weniger zu trinken?
Wir werden die Mehrheit nicht missionieren können. Besonders wichtig ist, dass man erreicht, dass Jugendliche nicht schon mit 13, 14, 15 Jahren Alkohol trinken. Da spielt die Werbung eine große Rolle. Sie gaukelt vor, dass mit Alkohol ein leichtes Leben möglich ist. Gefährlich ist auch das Binge-Drinking, also Trinken bis zur Bewusstlosigkeit, das unter jungen Leuten verbreitet ist. Das schädigt die Nervenzellen im Gehirn. Solche Jugendliche haben auch ein erhöhtes Risiko, abhängig zu werden und eines Tages Krebs zu bekommen. Ein Werbeverbot für Alkohol wäre also sinnvoll. Außerdem weiß man aus den Statistiken skandinavischer Länder, dass es sich günstig auswirkt, wenn Alkohol nicht rund um die Uhr erhältlich ist. Auch das Geld spielt eine Rolle. In Finnland hat schon vor 15 Jahren ein großes Bier 11 Euro gekostet. Da sitzt man den ganzen Abend an diesem Glas, weil es so teuer ist – und das ist natürlich nicht schlecht.
An vielen Supermarktkassen werden Kunden in Versuchung geführt, indem Hochprozentiges angeboten wird. Wäre es sinnvoll, so etwas zu verbieten?
Da müsste man in der Tat einiges machen. Aber das Wichtigste ist das Elternhaus. Wenn in der Familie viel getrunken wird, dann ist es für Kinder schwierig. Eltern haben eine äußerst wichtige Vorbildfunktion.
Denken Sie nicht, dass insgesamt bereits ein Umdenken eingesetzt hat? Binge-Drinking zum Beispiel ist bei Jugendlichen ja seltener geworden.
Stimmt, in bestimmten Schichten gibt es heute junge Leute, die sehr gesundheitsbewusst sind, viel Sport treiben, körperorientiert sind und wenig bis gar keinen Alkohol trinken. Aber diese Schicht ist nicht unbedingt repräsentativ. Insgesamt wird der Konsum minimal weniger. 1990 lag der Pro-Kopf-Konsum in Deutschland bei zwölf Litern reinem Alkohol pro Jahr; jetzt sind es nach Daten der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen um die zehn. In Italien sind es ungefähr zwei Liter weniger. Wenn wir auch dahin kämen und zwei Liter weniger trinken, würden wir schon extrem viel Geld sparen und hätten weniger Sorgen und Nöte. Diese zwei Liter würden es schon bringen.
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