Das Leben ein Game

Mutter, Vater, Kind spielen: Isabelle Redfern hat an der Berliner Volksbühne »Mama Mega« uraufgeführt

  • Michael Wolf
  • Lesedauer: 4 Min.
Bühnentaugliches Mutti-Tasking an der Volksbühne
Bühnentaugliches Mutti-Tasking an der Volksbühne

Kurz vor der Premiere schickt die Berliner Volksbühne ein Statement heraus. Es geht um die Budgetkürzung um zwei Millionen Euro, die, wie es in dem Schreiben heißt, faktisch bedeute, dass der künstlerische Etat »auf null« gesetzt sei. »Null«, das heißt, es ist im nächsten Jahr eigentlich überhaupt kein Geld da für die Kunst. Was sie dann hier machen werden? Vielleicht wird das Haus, wie Ex-Intendant Frank Castorf einst vorschlug, doch noch zur Badeanstalt umgebaut.

Jedenfalls hat man diese drohende Zukunft noch im Hinterkopf, wenn man das Foyer betritt, in dem sich ein paar Hände voll Menschen verlieren und auf Einlass in den Dritten Stock warten, so heißt hier die wirklich kleine Nebenbühne, die mehr an eine Freie-Szene-Bühne erinnert als an die stolze Trotzburg am Rosa-Luxemburg-Platz.

An diesem Donnerstagabend jedoch sind die Erwartungen tatsächlich hoch, gelten die Produktionen von Regisseurin Isabelle Redfern in der Stadt doch mindestens als Geheimtipp, seit sie vor zwei Jahren die vielgelobte Tschechow-Aktualisierung »Sistas« von Golda Barton auf die Bühne brachte. Es folgten weitere Inszenierungen von Bartons Neudichtungen, nun aber hat Redfern ihr Konzept geändert. »Mama Mega« ist keine Bearbeitung, sondern ein originäres Stück, genau genommen das erste der Autorin Ava Tabita Yul, die für gewöhnlich als Coach und Therapeutin arbeitet.

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Nicht überraschend spielen große Teile der Handlung in einem Sitzungs-Setting. Hier trifft Dr. Wu, gespielt von MING, auf verzweifelte Mütter (Ute Pliestermann und Regisseurin Redfern), die völlig überfordert sind von dem Leben mit Kindern und sich dafür auch noch schrecklich schämen. Die abgeklärte Dr. Wu empfiehlt ihnen, sich Auszeiten zu nehmen, Neues zu entdecken, Abenteuer zu erleben. Allerdings sollen diese Abenteuer in der Realität möglichst folgenlos bleiben, nur im Spiel darf die Mutter sich ihrer Rolle entledigen. Das Spiel, oder besser gesagt: das Game, heißt wie das Stück »Mama Mega« und ist eine Simulation des Daseins als Hausfrau und Mutter.

In einem zweiten Strang des Stücks stellen Julia Boxheimer und Sylvana Seddig es in einem Podcast vor. Aufgekratzt schwärmen sie von immer neuen Versionen und werfen dabei mit Gamer-Vokabeln wie »Levelspiel«, »Arcade-Modus«, »DLC« und »Early Access« um sich. Diese Passagen sind ersichtlich von der Freude an der Rollenprosa getragen, erzählt wird eigentlich nicht besonders viel. In »Mama Mega« sammelt man durch geschicktes »Mutti-Tasking« Schlafpunkte. Spielt man hingegen schlecht, wird man nachts von schreienden Kleinkindern heimgesucht.

Mütter zocken das Game also, um sich von ihrem Versagen als Mütter abzulenken. Man darf in dieser Anlage auch eine Reflexion des Verhältnisses von Spiel und Alltag, von Kunst und Leben vermuten, einzig: Es bleibt bei der Vermutung. Denn das Stück neigt mehr zu Skurrilität und Witz denn zum Tiefsinn.

Auch ein paar gezielt eingesetzte Schockmomente können daran nichts ändern. Sie könne verstehen, wenn Mütter ihre Kinder töten, verkündet da eine völlig entkräftete Mutter. Ist das ein Tabubruch? Nein, fast zehn Jahre nach der Studie »Regretting Motherhood« ist das vielmehr eine Erinnerung an die Errungenschaften der damals weltweit geführten Debatte. Gut, dass »Mama Mega« hier noch einmal ansetzt, schade aber, dass das Stück dramaturgisch hinter seiner Agenda zurückbleibt. Denn nun, Handlung ist schmal gesät in den knapp eineinhalb Stunden, in denen sich die Frauen immer weiter in der jeweils neuen Version des Games verirren, um am Ende – recht unvermittelt – in der letzten Ausgabe eine Art utopischen Ort finden. Genau genommen im Neolithikum, also vor der Sesshaftwerdung des Menschen und damit also auch vor dem Patriarchat. Hier erziehen sie ihre Kinder in glücklicher Eintracht mit gleichgesinnten Jägern und Sammlern.

Ein Happy End, an das einzig die Therapeutin nicht völlig zu glauben scheint, spricht sie die Hippie-Eltern-Weisheit »It Takes a Village to raise a Child« doch ein bisschen überbetont in Richtung Publikum. Und tatsächlich gibt es Grund zur Skepsis, werden die Geschlechterbilder hier doch etwas zu stereotyp dargestellt, als dass man diese Produktion als Debattenbeitrag ernst nehmen könnte. Die Damen sind überforderte Hausfrauen und die Männer ignorante Arschlöcher, denen Job und Schlaf wichtiger sind als das Familienleben. Aus dieser Konstellation lässt sich durchaus ein gewisser Witz herauspressen, aber sind das wirklich im Jahr 2024 noch die Verhältnisse, die man reproduzieren möchte?

Nächste Vorstellungen: 4., 5. und 9.1.
www.volksbuehne.berlin

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