Ein glühender Islam-Kritiker

Der Attentäter von Magdeburg wollte den Zustrom von Muslimen nach Deutschland stoppen und Angela Merkel hinter Gitter sehen

Wie Attentäter Taleb A. hält auch die AfD die »Islamisierung« für die größte Bedrohung Deutschlands.
Wie Attentäter Taleb A. hält auch die AfD die »Islamisierung« für die größte Bedrohung Deutschlands.

Die Frage, ob sich Anschlagsmotive von Einzeltätern so einfach zusammenfassen lassen, ist wahrscheinlich in vielen Fällen berechtigt. Doch diesmal fallen die Erklärungen besonders seltsam aus: Der Attentäter von Magdeburg, Taleb A., ist ausgebildeter Facharzt für Psychiatrie, wurde wegen seiner religionskritischen Überzeugungen als Asylbewerber anerkannt und fürchtete die Islamisierung des Abendlandes durch ungebremste Zuwanderung. Um ein Zeichen zu setzen, griff er einen Weihnachtsmarkt an.

Dabei klingt keineswegs alles, was Taleb A. in seinem Leben vertreten hat, so schräg. In einem Interview mit der »Frankfurter Rundschau« trat er 2019 als entschlossener Verteidiger von Menschenrechten auf und forderte eine unbürokratische Aufnahme von Frauen aus Saudi-Arabien. »Für saudi-arabische Frauen ist Asyl der einzige Weg zur Gerechtigkeit. Selbst wenn eine Frau nicht unterdrückt wird, hängt ihr Schicksal von ihrem männlichen Vormund ab.«

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

In der »FAZ« gab er sich im selben Jahr als Kampfgefährte des deutsch-palästinensischen Psychologen Ahmad Mansour, der in Deutschland als antimuslimischer Kronzeuge in Talkshows ein gern gesehener Gast ist. »Ich bin der aggressivste Kritiker des Islams in der Geschichte«, verkündete Taleb A. und bekannte sich zur religionskritischen Aufklärung.

»Ich möchte, dass die Leute lernen, selbständig zu denken. Es gibt viele Muslime auf Twitter, die wegen mir den Islam verlassen wollen. Ich schreibe diesen Menschen immer: ›Nein, ich akzeptiere es nicht, wenn du den Islam wegen mir verlässt. Es sollte deine eigene Überzeugung sein.‹«

Auch beim Kurznachrichtendienst X, wo der Arzt bis vergangene Woche viele Stunden am Tag aktiv gewesen sein muss, findet sich vieles, mit dem Taleb A. nicht nur bei der AfD Zustimmung finden dürfte. Am 15. Dezember 2024 teilte er auf dem ihm zugeordneten Kanal einen Beitrag, in dem die mangelnde christliche Orientierung der US-Demokraten kritisiert wird. Drei Tage zuvor freute er sich mit Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu über die Eröffnung der neuen paraguayischen Botschaft in Jerusalem. Anfang des Monats empörte er sich über die syrischen Islamisten, die dank Angela Merkel Deutschland überflutet hätten, begrüßte im selben Zeitraum allerdings auch die »Ent-Iranisierung Syriens«.

Einen offen rechtsextremen Tonfall stimmte Taleb A. vor allem dann an, wenn es um Angela Merkel ging. Wie viele Rechte forderte der Mediziner eine harte Hand gegen die Ex-Kanzlerin: »Da es keine Todesstrafe in Deutschland gibt, muss Merkel als Strafe für ihr kriminelles Geheimprojekt zur Islamisierung Europas den Rest ihres Lebens im Gefängnis verbringen.«

Da all das beim besten Willen nicht zum Bild des islamistischen Extremisten passt, hat sich die mediale Berichterstattung zuletzt auf eine mögliche psychische Erkrankung Taleb A.s konzentriert. Die »Hannoversche Allgemeine Zeitung« vermeldete, dass der Attentäter von Magdeburg schon 2011 einen Arbeitsplatz an der medizinischen Hochschule Hannover im Streit verließ. Und der »Spiegel« berichtete, Taleb A. sei 2013 wegen der Nicht-Anerkennung von Prüfungsleistungen heftig mit der Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommerns aneinander geraten. Nach Drohungen habe die Polizei daraufhin seine Wohnung durchsucht.

Erwähnung fand in den letzten Tagen auch, dass Saudi-Arabien die deutschen Behörden mehrfach auf die Gefährlichkeit Taleb A.s hinwies und seine Auslieferung verlangte. Doch gerade dieser Hinweis ist besonders absurd: Dass man vom feudalen Terrorstaat Saudi-Arabien als gefährlicher politischer Gegner bezeichnet wird, darf nun wirklich nicht als Verdachtsmoment gegen einen geltend gemacht werden.

Man kann es deshalb nicht genug betonen: Taleb A.s politische Überzeugungen decken sich in vieler Hinsicht mit dem, was in Deutschland rechts von der Mitte gedacht wird. Wie ein großer Teil der Mehrheitsgesellschaft war er davon überzeugt, dass in der Welt ein Krieg der Zivilisationen tobt und der Islam mit allen Mitteln gestoppt werden muss (siehe Kommentar).

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -