Die volle Härte der Zivilgesellschaft

»Illegal Instructions« war das Motto des 38. Chaos Communication Congress in Hamburg

  • Barbara Eder
  • Lesedauer: 5 Min.
Wer das Chaos beherrscht, beherrscht die Welt.
Wer das Chaos beherrscht, beherrscht die Welt.

»Be yourself« und »Move freely« – das waren nur zwei der Botschaften am Display vor dem Eingang des Hamburger Kongresscenters, durchbrochen von Variationen psychedelischer Blumenmuster. Was wie eine Einladung zu Hyperindividualismus und Freiheitsstreben anmutete, folgte im Inneren des Gebäudes anderen Logiken: Rund 14 000 Computerbegeisterte und Bastler*innen, Hacker*innen und kritische Denker*innen machten in den vergangenen vier Tagen den Innenraum eines Labyrinths zu ihrem Ort.

Im Foyer schillerte Fairydust, die Rakete des Chaos Computer Club (CCC). An der Empore über dem Rolltreppenaufgang schlugen den Besucher*innen politische Botschaften entgegen: »All Creatures are Welcome« stand dort vor regenbogenfarbenem Hintergrund. Neben einem Transparent von Amnesty International hing eine Flagge mit der Aufschrift »Die volle Härte der Zivilgesellschaft« – in gelber Sütterlinschrift auf pinkem Untergrund.

Ein Hack beginnt oft mit einer minimalen Verschiebung – einer subtilen Irritation, die nichts mehr so sein lässt, wie es erscheint. Hier röhrt kein Hirsch und auch kein treu-dumm-deutsches Dogma. Die Farbkombination auf der Flagge von netzpolitik.org ist dem Cover des Sex-Pistols-Albums »Never mind the Bollocks« entlehnt und inspiriert schon deshalb zu allen möglichen Protestformen. Jene des Online-Magazins richtet sich vor allem gegen das »Durchgreifen« der Bundesregierung in Asylfragen und ihre Symbolpolitik des Law-and-Order.

Anna Biselli und Chris Köver, Redakteurinnen bei netzpolitik.org, präsentierten am Samstag deshalb auch eine aus Presseartikeln zusammengesetzte Chronologie der »Zeitenwende«: 2024 war für sie das Jahr, in dem die »Fortschrittskoalition« sich mit beeindruckendem Eifer selbst zerlegte – nicht ohne dabei essenzielle Grundrechte abzutragen.

Mit dem Ziel einer vermeintlich freiwilligen Rückkehr ins Herkunftsland wurden Geflüchteten Sozialleistungen entzogen. Auch biometrische Datenbanken, gefüttert mit Bilddateien aus dem Internet, wurden kreiert. Mit der von der Ministerpräsidentenkonferenz beschlossenen bundesweiten Einführung der Bezahlkarte wird der Zugriff auf Alltägliches für Geflüchtete stark eingeschränkt, da sie nur 50 Euro davon in Bar abheben können. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bediene sich »forensischer Methoden« und dürfe Smartphones per Rechtsbescheid beschlagnahmen. Der Staat beschränke die Freiheitsrechte Geflüchteter radikal. Die Redakteurinnen von netzpolitik.org fordern solidarische Menschen deshalb auf, von Geflüchteten mit der Karte gekaufte Gutscheine zu übernehmen und ihnen die entsprechende Summe in Bar zu geben.

Während menschliches Handeln vermehrt kriminalisiert wird, erscheint staatliches Hacken zunehmend als legale Angelegenheit – dieses Paradox eilte dem diesjährigen Kongress zum Thema »Illegal Instructions« voraus. Sigille – kurz für »Signal Illegal Instruction« – ist eine systemimmanente Rückmeldung, die immer dann auftritt, wenn Nutzer*innen unixoider Betriebssysteme eine ungültige oder nicht erlaubte Maschineninstruktion ausführen. Der dazugehörige Begriff kommt aus der Welt der Programmierung – und geht zugleich weit darüber hinaus.

Dies befanden auch Florian Hantke und Dennis-Kenji Kipker, die in ihrem Vortrag die jüngsten Reformen im deutschen Computerstrafrecht analysierten. Der ursprüngliche Entwurf stammt von 1986 – aus einer Zeit, in der das Internet noch nicht existierte und Disketten noch Hightech waren. Seit Ende Oktober dieses Jahres liegt ein neuer Gesetzentwurf vor, der das ethisch motivierte Aufspüren von Sicherheitslücken – das Whitehat-Hacking – nicht mehr pauschal kriminalisieren soll. Das Wissen um bedeutsame Lücken in Systemen sei, so die Kritik der Vortragenden, damit jedoch noch nicht Teil des General Intellect – findige Hacker*innen verpflichtet bislang nichts zur Veröffentlichung ihres exklusiven Wissens.

Unter dem Druck der herrschenden Verhältnisse werden menschen- ebenso wie maschinenlesbare Instruktionen offenbar immer dann illegalisiert, wenn sie den Status quo infrage stellen. Wenn sich marktbeherrschende Konzerne über Social Media Zugang zur Privatsphäre erschleichen, scheint dies hingegen nicht der Fall. Meredith Whittaker, Präsidentin der Signal Foundation und Vorkämpferin für digitale Bürger*innenrechte im Surveillance-Zeitalter, forderte in ihrem Vortrag »Feelings are Facts: Love, Privacy and the Politics of Intellectual Shame« deshalb auch ein Mehr an Schutz der Privatsphäre im Internet. Dieses Recht werde immer dann verletzt, wenn Konzerne Beziehungsweisen zu definieren beginnen und dafür soziale Beziehungen ausbeuten. Mit dem Aufkommen erster asozialer Netzwerke ist der Freundschaftsdienst zum Verkuppelungsgeschäft mit Milliardenprofiten geworden. Tückisch ist die damit einhergehende Machtverteilung. Preisgegebene Daten werden zu Instrumenten sozialer Kontrolle.

»Show me the key to your heart« wäre demnach nicht länger eine romantische Aufforderung, sondern das kryptografische Gebot der Stunde, denn: Nur wer die transformative Kraft des Begehrens der Kapitalisierung entziehen kann, bewahrt sich eine Ressource, durch die diese Welt als eine andere vorstellbar wird. Auch Liebe und Begehren haben demnach einen Code: Whittaker rät dahingehend zur homomorphen Verschlüsselung, durch die man mit verschlüsselten Daten hantieren kann, ohne diese vorher entschlüsseln zu müssen. Das Ergebnis der Berechnungen ist ebenfalls verschlüsselt und kann erst nach der Entschlüsselung durch den berechtigten Schlüsselbesitzer dechiffriert werden.

Dank DECT-Telefonie gab es auf dem gesamten Areal des Hamburger Kongresszentrums auch Gelegenheiten zum Blind Date. Das Senden und Empfangen über die vielen parallel zueinander geöffneten Kanäle der unterschiedlichen Assemblies verlief auch in diesem Jahr friktionsfrei – vom Funkverband der »Chaoswelle« bis hin zur stillen Post.

Für alle, die nach den vergangenen Tagen erneut das Weite suchen, stand im Erdgeschoss des Kongresscenters ein Fluchtvehikel bereit. Bei diesem Bus mit dem Namen »Adenauer SRP+« handelt es sich um kein weiteres Binary Unit System, sondern um ein sich vormals in Polizeibesitz befindliches Fahrzeug. Das Zentrum für politische Schönheit hat es ersteigert und will damit demnächst durch die Lande touren. »Be yourself« und »Move freely«, aller illegalen Instruktionen ungeachtet. Was Konrad Adenauer im Fall der Sozialistischen Reichspartei gelang (Verbot 1952), hofft das Zentrum für politische Schönheit beim bevorstehenden AfD-Parteitag in Riesa zu erreichen. Das jedenfalls ist der Plan.

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