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Seelenqualen und Schlürfgeräusche

Robert Eggers wagte sich an eine Neuverfilmung des Horrorklassikers »Nosferatu«

Szenen, die zuweilen an Gemälde von Jan Vermeer und Capar David Friedrich erinnern
Szenen, die zuweilen an Gemälde von Jan Vermeer und Capar David Friedrich erinnern

Der deutsche Stummfilm »Nosferatu«, gedreht 1921 von Friedrich Wilhelm Murnau, gilt heute als einer der einflussreichsten Horrorfilme aller Zeiten. Die Handlung, ein dreistes Rip-Off von Bram Stokers »Dracula«-Roman (1897), darf als bekannt vorausgesetzt werden: Deutschland im Jahr 1838. Der frisch vermählte Thomas Hutter, angestellt bei einem Makler, soll ins tiefste Transsilvanien reisen, zum verfallenen Schloss eines exzentrischen Grafen namens Orlok, der angeblich einen Altersruhesitz in Deutschland erwerben will. Doch tatsächlich hat der obskure Graf, der sich rasch als Vampir entpuppt, es auf Hutters Ehefrau Ellen abgesehen und reist in der Absicht, sich ihrer zu bemächtigen und ihr das Blut auszusaugen, nach Deutschland.

Der Schauspieler Max Schreck, der seinerzeit den bedrohlichen Vampir spielte, den hochgewachsenen »Graf Orlok« – physiognomisch frappierend an den gegenwärtigen CDU-Vorsitzenden gemahnend und derart gewissermaßen 100 Jahre in die Zukunft weisend –, hatte dabei jedenfalls seinen Anteil an der Gruselwirkung. So wie Friedrich Merz seinen in unserer Zeit hat.

In der jetzt ins Kino kommenden Neuinterpretation von Murnaus Filmklassiker, inszeniert von dem für seinen hyperrealistischen Stil bekannten Horrorfilmregisseur Robert Eggers, ist der Vampir Orlok angelegt als selbstsüchtiger Tyrann und autoritäres, arrogantes Ekelpaket. (Schon wieder denkt man an Personen aus der Bundespolitik!) Auch was Körperdesign und Look angeht, hat man einiges unternommen, um die Sagengestalt möglichst bösartig und abstoßend wirken zu lassen. Dabei herausgekommen ist ein bleicher verwarzter Schrat mit acht Zentimeter langen gelben Fingernägeln, voluminösem Oberlippenbart (»Balkan-Balken«) und wächserner Haut, der obendrein offene Stellen am Körper hat und auch sonst deutliche Anzeichen eines verrottenden Leibes zeigt. Eine Art Kadaver auf zwei Beinen. Hat er ein Opfer in seine Gewalt gebracht, sitzt er rittlings auf ihm und schlägt unter geräuschvollem Geröchel seine Zähne in dessen Bauch oder Brustkorb, wobei er ein lautes, enervierendes Schlabber- und Schlürfgeräusch von sich gibt. Blutsaugen, so lernen wir, ist eine gewöhnungsbedürftige Angelegenheit.

Der Vampir Orlok, selbstsüchtiger Tyrann und autoritäres, arrogantes Ekelpaket, erinnert an Personen aus der Bundespolitik.

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Die Tonspur leistet überhaupt ganze Arbeit hier, das muss man sagen. Das Schlimmste jedoch dürften die Stimme und die Aussprache des Vampirs sein, zumindest in der kaum auszuhaltenden deutschen Synchronfassung: Da nämlich schnauft, keucht, röchelt, knurrt und hustet sich der greise Graf Orlok so penetrant und mit aufgesetztem osteuropäischem Akzent durch die 132 Filmminuten, dass man geneigt ist, ihm möglichst rasche Genesung zu wünschen.

Sieht man von der durch und durch grauenvollen Synchronisation ab, die den Film in der deutschen Sprachfassung hie und da in unfreiwillige Komik münden lässt, könnte Eggers’ Remake, das sich in seiner Ästhetik stark am Murnauschen Original orientiert, sehr gelungen sein: der kunstvoll eingesetzte Low-Key-Stil, der immer wieder Teile einer Szene im Dämmerlicht und Dunkeln verschwinden lässt; die raffinierte Handhabung von Licht- und Schatteneffekten (die Filmkritikerin Lotte Eisner sprach einmal vom »berühmten Helldunkel des deutschen Films«); der direkte Blick des Vampirs oder eines seiner Opfer in die Kamera, der den Betrachter schocken soll. Man begreift schnell: Dieses Remake ist vor allem eine Hommage.

Kombiniert werden diese Techniken mit der Liebe zum historischen Detail in der Ausstattung: die roten Backsteingotikhäuser aus dem 13. bis 16. Jahrhundert; die engen Kopfsteinpflastergassen und die staubigen Kontore aus der Goethezeit, wo auf Tischen dicke Folianten gestapelt sind; die virtuose Nutzung der Lichtquellen der erzählten Zeitepoche (Kaminfeuer, flackerndes Kerzenlicht, Fackeln). Vor diesem Hintergrund entfalten sich die tableauartigen Szenenbilder, die zuweilen an Gemälde Jan Vermeers und Capar David Friedrichs erinnern (bei Tag) und die Topografie und Motivik des englischen Schauerromans wiederbeleben (bei Nacht): alte Burgruinen, zerfallende Gemäuer, finstere Gewölbe, knarrende Türen, Regen / Sturm / Gewitter, Somnambulismus, unterdrückte Sexualität, unverstandene Seelenqualen.

Für seinen ausgeprägten Stilwillen, die liebevolle Rekonstruktion historischer Schauplätze und das pedantische Worldbuilding, das die Kinozuschauer eine immersive Erfahrung machen lässt, ist der US-amerikanische Filmregisseur Robert Eggers in der Vergangenheit wiederholt überschwänglich gelobt worden. Ob nun historisches Folk-Horror-Melodram (»The Witch«), klaustrophobisches Schwarz-Weiß-Psychohorror-Kammerspiel (»Der Leuchtturm«) oder Hochglanz-Wikinger-Gemetzel (»The Northman«), in welchem sorgsam eingeölte, schlammverkrustete halbnackte Muskelmänner in einer perfekten Choreografie aufeinander einschlagen und das Kunstblut formschön spritzt: Produktionsdesign immer tiptop. Steckt man als Betrachter einmal drin in einem Eggers-Film, steckt man unwiderruflich drin und findet meist nicht mehr heraus, bis der Abspann läuft. Er wolle, sagte der Regisseur einmal vor zwei Jahren in mehreren Interviews, dass das Publikum in seine Filme »wirklich ein- und abtaucht«. Es gehe ihm darum, »die Menschen tief hineinzuziehen in eine Welt«.

In »Nosferatu« ist das eine großteils nächtliche, schattenhafte Welt mit starken Kontrasten, die sich zahlreicher Bilder und Bildmotive aus der Gothic Novel und der schwarzen Romantik bedient. Gelegentlich gibt es sogar Kamerafahrten mitten hinein in die Schwärze, doch immer wieder werden auch kleine Zugeständnisse an das Splatter- und Gore-Kino gemacht: wenn etwa ein Vampir im Moment seiner Vernichtung schwallartig literweise rote Brühe erbricht, wenn einer Taube der Kopf abgebissen wird, schleimiger Sabber und Speichelfäden in Großaufnahme hergezeigt werden oder Maden aus offenen Wunden krabbeln. Oder wenn die junge Ellen, weibliche Hauptfigur und auserwähltes Opfer Orloks, sich bei ihren Wachträumen gelegentlich unter Schreien und heftigen Zuckungen windet und die Art der Inszenierung kaum Zweifel daran lässt, dass hier William Friedkins »Der Exorzist« (1973) zitiert wird.

Doch das »Hineinziehen« des Zuschauers in den Filmkosmos gelingt hier nicht vollständig. Bei allen gelungenen Versuchen, auf der visuellen Ebene eine albtraumhafte Ästhetik zu etablieren, tragen das teils raunende Pathos und die überwiegend faden, unambitionierten oder geschwollenen Dialoge nicht gerade dazu bei, diese Ästhetik zu intensivieren. »Wie kann ich noch weinen (seufz), wenn alle meine Tränen doch vergossen sind?«, fragt Ellen einmal. Und das bleibt nicht der einzige mit Blick in die Ferne salbungsvoll aufgesagte Satz. Diese Sorte affektiert-weihevoll gesprochener Theatertext ist in diesem Gothic-Melodram leider an mehreren Stellen zu hören. »Der Film möchte so gerne Murnaus Original sein, aber Mel Brooks’ ›Young Frankenstein‹ kommt ihm in die Quere«, kommentierte der Schriftsteller und Filmkritiker Kevin Maher in der britischen Tageszeitung »The Times«. Das kann man so sagen.

»Nosferatu – der Untote«, Horrorfilm, USA 2024. Regie: Robert Eggers. Mit: Bill Skarsgård, Lily-Rose Depp, Nicholas Hoult. 133 Min., ab jetzt im Kino.

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