- Kultur
- Frauenfeindlichkeit
El Hotzo und Thilo Mischke: Scheinheiligkeit und Überhöhung
Sie tragen ihre vermeintliche Reflektiertheit wie ein Abzeichen. Aber im Patriarchat ist niemand frei von Sexismus
Der Satiriker und Autor Sebastian Hotz, alias El Hotzo, gilt als eine der wichtigsten linken Stimmen im Internet. Mit seinem speziellen Millennial-Humor schießt er auf X (ehemals Twitter) bissig gegen das Patriarchat, die Boomer-Generation oder Elon Musk: »Echte Männer gehen nicht in Therapie, echte Männer lassen jedes Gefühl drei bis vier Jahrzehnte lang in sich aufstauen, um an einem komplett zufälligen Tag in der Schlange vor der Getränkemarktkasse auszurasten.« Seine gesellschaftskritischen, scharfsinnigen Tweets erreichen auf Instagram mittlerweile ein Millionenpublikum – und auch außerhalb des Internets ist El Hotzo eine gefragte Persönlichkeit: Neben seinem Bestseller-Debütroman »Mindset« schreibt er seit kurzem auch Gags für Jan Böhmermanns »ZDF Magazin Royale«.
El Hotzo wird als »einer von den Guten« gefeiert, weil er sich gegen soziale Ungerechtigkeit echauffiert, auf Vermieter, die Oberschicht und die CDU schimpft. Witze über toxische Männer stehen dabei stets auf der Tagesordnung, niemals aber Witze über Frauen oder Minderheiten. Der politisch korrekte Internetclown trifft demnach perfekt das zeitgeistige Gerechtigkeitsempfinden der Millennials: nie nach unten, aber immer nach oben treten.
In letzter Zeit allerdings haftet seinen Posts ein immer radikaler werdender, fast schon linkspopulistischer Ton an, geprägt von polarisierenden Schwarz-Weiß-Kontrasten: So spuckte er etwa dem mit Vorwürfen des sexuellen Übergriffs belasteten Comedian Luke Mockridge auf offener Straße ein »Fuck you« entgegen – und nach dem missglückten Trump-Attentat schrieb er unter anderem: »Ich finde es absolut fantastisch, wenn Faschisten sterben.« Danach kündigte der RBB die Zusammenarbeit auf.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Kurz vor Weihnachten veröffentlichte Hotz ein Statement, in dem er zugibt, jahrelang seine Ex-Partnerinnen manipuliert, betrogen, psychisch missbraucht und dabei seine Position als »woker« Medienmensch systematisch ausgenutzt zu haben. In einem Post entschuldigt er sich, er wolle für seine Taten einstehen – und unterzeichnet mit »Sebastian«.
Das Geständnis ist für seine Bubble ein Schlag ins Gesicht. Es stellt sich heraus: El Hotzo ist nicht besser als die anderen.
Es ist ein problematisches Phänomen, dass Männer, die sich öffentlich feministisch engagieren, oft unkritische Bewunderung erhalten, während Frauen für dergleichen verspottet oder ignoriert werden. Insbesondere linke Männer werden oft für ein Minimum an feministischer Haltung gefeiert und moralisch überhöht, was es umso schwerer macht, ihre internalisierte Misogynie zu entlarven.
Diese Männer tragen ihre vermeintliche Reflektiertheit wie ein Abzeichen – ein intellektuelles Accessoire, das ihnen Anerkennung und Zugehörigkeit verschafft. Sie kämpfen mit erhobener Faust gegen das Patriarchat, sprechen von Liebe auf Augenhöhe, zitieren feministische Theorien und lackieren ihre Fingernägel. Oftmals endet all das, sobald sie es mit echten Partnerinnen zu tun haben. Sie idealisieren Frauen in der Theorie, doch an der Realität scheitern sie. Und viel mehr: Die Scheinheiligkeit und Doppelmoral dieser Männer sind letzten Endes vielleicht noch schwerer zu durchbrechen als offene Diskriminierung.
Die Causa El Hotzo ist momentan nicht der einzige Fall, in dem mächtige Medienmänner für ihren Sexismus in der Kritik stehen. Dass etwa Thilo Mischke ab Februar 2025 die bekannte Kultursendung »Titel, Thesen, Temperamente« der ARD moderieren sollte, hat eine große Protestwelle ausgelöst. Der einst für »Vice« und Pro Sieben tätige Journalist stand unter anderem für seine misogynen und rassistischen Positionen in seinem 2010 erschienenen Roman »In 80 Frauen um die Welt« in der Kritik. Außerdem fiel Mischke in der Vergangenheit immer wieder durch provozierende Aussagen auf. So behauptete er etwa in einem Podcast, der Homo sapiens habe nur überlebt, da er im Gegensatz zum Neandertaler Frauen vergewaltigt habe. Über 100 Kulturschaffende haben einen offenen Brief unterzeichnet, in dem sie dem Autor unter anderem vorwerfen, sich unzureichend von seinem Werk und früheren Ansichten distanziert zu haben.
Auch wenn sich sowohl El Hotzo als auch Mischke gleichermaßen einem Shitstorm ausgesetzt sahen, äußerte sich Mischke bislang – im Gegensatz zu El Hotzo – nicht zu den Vorwürfen. El Hotzo postete seine Entschuldigung selbst, und zwar eine par excellence, ohne Relativierungen oder Schuldabweisungen, dagegen mit voller Bereitschaft zur Verantwortung. »Ich bin ein erwachsener Mensch und für mein Handeln selbst verantwortlich«, schreibt er, und: »Bei allen Menschen, denen ich wehgetan habe, möchte ich mich aus ganzem Herzen entschuldigen.« Seine Followerschaft wirft ihm dennoch eine unglaubwürdige Inszenierung vor. Denn es ist ja auch wirklich vertrackt: Wie kann man jemandem glauben, der das Patriarchat und Unterdrückung so gut verstanden hat, der das »Mindset« zur Einsicht hat, und nun aber doch lügt und betrügt? Dass El Hotzo selbst ausgerechnet einer der toxischen Männer sein soll, gegen die er immer wettert, ist kaum zu glauben.
Eventuell sind unsere Erwartungen an solche Vorbilder auch gar nicht erst erfüllbar. Und wo man auf absolute Tugendhaftigkeit setzt, ist Doppelmoral unvermeidbar. Angesichts solcher Fallhöhe kann eine Entschuldigung vielleicht auch gar nicht funktionieren.
Wir sollten also endlich aufhören, einzelne Menschen moralisch zu überhöhen, und uns mit der Erkenntnis anfreunden, dass im Patriarchat niemand von sexistischen Verhaltensweisen und Vorurteilen frei ist, da diese tief im System verankert sind.
Die Fälle El Hotzo und Mischke zeigen, wie brüchig das Bild von moralischer Integrität im öffentlichen Diskurs sein kann – gerade bei denen, die vermeintlich für das Gute stehen. Zwar muss man im Fall Mischke sagen, dass Menschen wie er nichts mehr in Machtpositionen zu suchen haben sollten, Distanzierung hin oder her. Doch diese Fälle werfen auch die grundsätzliche Frage auf: Wie gehen wir mit Fehlern und Entschuldigungen um – und wie stellen wir sicher, dass die Strukturen, die Sexismus und Machtmissbrauch begünstigen, nicht durch symbolische Gesten überdeckt werden?
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.