Absatzflaute bremst Zulieferbranche aus

Sinkende Umsätze in der Automobilbranche setzen vorgelagerte Betriebe unter Druck

Protestieren seit Monaten gegen den geplanten Stellenabbau bei ZF in Witten: Gewerkschafter der IG Metall.
Protestieren seit Monaten gegen den geplanten Stellenabbau bei ZF in Witten: Gewerkschafter der IG Metall.

Die europäische Automobil- und Zulieferbranche steckt in der Krise. Davon sind viele Beschäftigte betroffen. So geht aus einer Analyse des europäischen Branchenverbands Clepa hervor, dass bei den Automobilzulieferunternehmen im vergangenen Jahr über 30 000 Arbeitsplätze abgebaut wurden, etwa doppelt so viel wie im Jahr zuvor. Die Umstellung auf Elektromobilität hat dagegen nicht zu einem erhofften Zuwachs geführt. Nur 20 Prozent der prognostizierten Arbeitsplätze in der E-Zulieferkette seien tatsächlich entstanden. Mit einem Anteil von 60 Prozent an den gesamten Arbeitsplatzverlusten trifft es Beschäftigte in Deutschland besonders stark. In hiesigen Unternehmen arbeiteten im Jahr 2024 rund 273 000 Menschen, wie aus Zahlen des Daten-Portals Statista hervorgeht.

Doch schon im vergangenen Jahr hatte neben Bosch mit 3800 und Continental mit über 7000 geplanten Stellenstreichungen auch die Zahnradfabrik Friedrichshafen (ZF) einen Arbeitsplatzabbau angekündigt. Beim baden-württembergischen Unternehmen sollen im Rahmen eines umfassenden Sparplans laut Konzernangaben bis 2028 bis zu 14 000 Stellen gestrichen werden. Auch betriebsbedingte Kündigungen seien nicht mehr ausgeschlossen, wie die »Schwäbische Zeitung« berichtet. Der internationale Konzern stellt unter anderem Antriebs- und Fahrwerkstechnik für Verbrenner sowie für Hybrid- und Elektrofahrzeuge her.

Durch Übernahme übernommen

Doch aufgrund rückläufiger Aufträge durch sinkende Absätze in der Automobilbranche seien die wirtschaftlichen Aussichten in der Zulieferindustrie laut Clepa momentan schlecht. Die Rentabilität sei zu gering, um Investitionen in die technologische Entwicklung zu finanzieren. »Gleichzeitig bremsen schwindende Kapitalzuflüsse die Fortschritte bei der Transformation«, heißt es im Jahresrückblick für 2024. »Obwohl der Handelsüberschuss Anzeichen einer Erholung aufweist, verlieren die europäischen Zulieferer ihren Wettbewerbsvorteil in der globalen Wertschöpfung«, warnt der Verband.

Allein ZF verbuchte im ersten Halbjahr 2024 laut eigenen Angaben einen Rückgang von etwa 5,6 Prozent auf knapp 22 Milliarden Euro. Das Ergebnis vor Steuern ging in dem Zeitraum von 816 Millionen Euro im Jahr 2023 auf 777 Millionen Euro zurück. Die finanziellen Schwierigkeiten wiegen besonders schwer, weil der Konzern sich aufgrund von Übernahmen stark verschuldet hatte. Vor zehn Jahren kaufte er den US-Autozulieferer TRW für rund 12,4 Milliarden Euro. Kurz vor der Pandemie kam noch der Bremsenhersteller Wabco für gut 6 Milliarden Euro dazu.

Chefsache Industriepolitik

Vor dem Hintergrund der anhaltenden wirtschaftlichen Verwerfungen hat Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz angekündigt, sich für den Erhalt von Standorten und Jobs einsetzen zu wollen. Neben einer bereits beschlossenen verlängerten Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes für zwei Jahre sprach sich Scholz etwa für eine Prämie beim Kauf von E-Autos aus. Derzeit fehlen der Regierung allerdings Mehrheiten, weshalb sie auf die Unterstützung der Unionsparteien angewiesen ist. Die signalisierten zuletzt Gesprächsbereitschaft.

Auf EU-Ebene setzt sich der Bundeskanzler zudem für eine koordinierte Industriepolitik und weitgehende Unterstützungsmaßnahmen ein. In einem offenen Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, über den die »Süddeutsche Zeitung« berichtete, befürwortete er kurzfristige Maßnahmen, etwa in Form von Steuerentlastungen oder Bürokratieabbau bei den Berichtspflichten über die nachhaltige Produktion. Zuvor hatte Scholz einen europäischen Industriegipfel vorgeschlagen.

Auch die IG Metall hat sich im Vorfeld der Bundestagswahl mit einem umfassenden Forderungskatalog für staatliche Hilfen für die Industrie ausgesprochen. Ein soziales Leasingprogramm und Förderungen beim Kauf von hybriden oder vollelektrischen Gebrauchtwagen sollen Stellen in der Schlüsselindustrie und ihren vorgelagerten Branchen sichern.

Kapitallogik in Witten

Bis dahin kämpft die Industriegewerkschaft um den Erhalt von Stellen, so auch am ZF-Standort in Witten mit seinen knapp 600 Beschäftigten. Im nordrhein-westfälischen Werk stehen derzeit zwei Drittel der Jobs auf der Kippe. »Aufgrund dieser Bedrohungslage setzen sich Betriebsrat und IG Metall dafür ein, möglichst viele Arbeitsplätze in Witten zu erhalten«, sagt die zuständige IG Metall-Bevollmächtigte Elin Dera im Gespräch mit »nd«. Derzeit finden Verhandlungen im Konzern statt, wobei die Unternehmensleitung mehrfach damit gedroht habe, den Standort Witten zu schließen.

Um die Beschäftigung am Wittener ZF-Standort zu sichern, hatte die IG Metall Ende vergangenen Jahres zu Warnstreiks und Protesten aufgerufen. Mit Blick auf die derzeit laufenden Gespräche ist aus Sicht der Gewerkschafterin nun vor allem Zeit wichtig. »Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen sich in Geduld üben, und ich kann absolut nachvollziehen, dass das in dieser Situation sehr schwierig auszuhalten ist«, sagt Dera.

Dass die kriselnden Unternehmen beim Personal sparen wollen, um Geld für Investitionen und höhere Renditen freizuschaufeln, überrascht sie nicht. »Das sind die Gesetze des Kapitalismus, in dem wir leben«, erklärt Dera. »Ich bin Gewerkschafterin geworden, um abhängig Beschäftigte zu unterstützen und der Profitmaximierung Grenzen zu setzen.«

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