Das willige Volk

»Lüge als Staatsprinzip«: Wie Bruno Frank den Faschismus vor dem Zweiten Weltkrieg analysierte

  • Stefan Berkholz
  • Lesedauer: 5 Min.
Das deutsche Volk jubelte ihm zu: dem Lügner, Betrüger und Kriegstreiber Adolf Hitler.
Das deutsche Volk jubelte ihm zu: dem Lügner, Betrüger und Kriegstreiber Adolf Hitler.

Ob man Bruno Frank (1887–1945) mit diesem Büchlein posthum einen Gefallen getan hat? »Lüge als Staatsprinzip« war sein Aufsatz von 1939 überschriebenumd wurde dann nicht veröffentlicht, weil der Zweite Weltkrieg dazwischen kam. Damit waren Franks Überlegungen und verzweifelte Hoffnungen, die Nazis zu überwinden, über den Haufen geworfen.

Bruno Frank war in der Weimarer Republik ein erfolgreicher Schriftsteller und Dramatiker, der Schauspiele und historische Romane schrieb. Er kam aus einer bürgerlichen jüdischen Stuttgarter Familie und wohnte in München, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Thomas Mann, mit dem er befreundet war. 1933, einen Tag nach dem Reichstagsbrand, verließ er Deutschland. Ab 1937 lebte er in Kalifornien, wo ihn Mann aufforderte, für eine antifaschistische Schriftenreihe einen Beitrag beizusteuern. Darin zerlegt er dann wütend und kämpferisch die Lügen und Verdrehungen Hitlers, den er einen »hysterischen Komödianten« nennt: »Er scheint seinem Ziele nah – dem, ein ganzes Volk im Abgrund seiner eigenen sittlichen Verkommenheit zu begraben.«

Zu Beginn seines Essays schildert Frank seine Flucht aus Deutschland. »Am Abend des 27. Februar 1933 hatte ich mich in unserer Wohnung in München früh schlafen gelegt. Aufregende Tage waren vorausgegangen, und ich hatte ein schweres Schlafmittel genommen, mehrere starke Tabletten, um gründlich auszuruhen. Aber ich wurde geweckt.« Seine Frau Liesl berichtet ihm aufgeregt, der Reichstag in Berlin sei in Brand gesteckt worden. Die Nazis beschuldigen die Kommunisten, doch sie glauben das nicht. Hals über Kopf packen sie ihre Sachen und fliehen in die Schweiz.

Über Sanary-sur-Mer, London und Salzburg siedeln sie im Oktober 1937 nach Kalifornien über, leben fortan in Beverly Hills. Frank veröffentlicht drei Romane im Exil, arbeitet als Drehbuchautor, engagiert sich in Hilfsorganisationen für Vertriebene. Das Ende des Zweiten Weltkriegs überlebt er wenige Wochen, im Juni 1945 stirbt er im Alter von 58 Jahren.

Seinen Essay schließt er im Juli 1939 ab. Wenige Wochen später, am 1. September 1939, überfällt die Wehrmacht Polen. In dem bisher unveröffentlichten Aufsatz zeigt sich an Frank die Tragik eines ohnmächtigen und (zu) gutgläubigen Intellektuellen. Im Juli 1939 hatte er noch geschrieben, dieses Volk der Beethovens und Goethes könne doch diesem Lügner und Betrüger und Kriegstreiber nicht folgen. Konnte es eben doch, bis zum letzten Atemzug sogar, bis zum letzten Blutstropfen.

Bruno Frank hoffte, das deutsche Volk würde dem Lügner, Betrüger und Kriegstreiber Hitler nicht folgen. Er irrte.

»Es ist Krieg«, schreibt Frank im Nachspann im Oktober 1939. »Ein langsamer, zögernder, zuwartender Krieg, von den Andern mit schwerstem Herzen unternommen, ohne jedes Gefühl der Feindschaft und Bitterkeit gegen das deutsche Volk, ein Krieg ganz allein gegen die Aussauger und Totengräber dieses Volkes.« Wir wissen es heute besser: Die Masse des deutschen Volkes war glühenden Herzens dabei, erging sich im Herrenmenschentum, träumte von der Weltherrschaft.

Der Aufsatz von 1939 ist ein Dokument antifaschistischer Propaganda, die auf verlorenem Posten stand. Ein zweiter Text von Frank, der diesen Band eröffnet, gibt eine Rede wieder, die er am 10. Dezember 1918 im Münchner Politischen Rat der Arbeiter hielt. Der Titel: »Von der Menschenliebe«. Darin zeigt sich Frank als bürgerlicher Intellektueller, der vor Anarchie und Umsturz warnt und für Brüderlichkeit wirbt; »ein umfassender Kommunismus im strengen Sinn« werde »nach meiner geringen Einsicht« nicht kommen. Dennoch müsse die »bürgerlich-kapitalistische Vormacht« enden. Und er, der Intellektuelle und Bürger, wolle sich anbieten, »in tätiger Nächstenliebe«; denn: »ich will das Glück der Gemeinschaft«. Frank gibt sich als glühender Menschenfreund zu erkennen und zeichnet eine schöne neue Welt, human, gleichbestimmt, gnädig und demütig auch zur Natur.

Über hundert Jahre ist das her, und wir schauen uns um und erbleichen vielleicht, denn nichts hat sich gewandelt. Erschütternd ist es zu lesen, welche hehren Ideale von Menschheitsliebe, Vernunft, Mildherzigkeit, Nächstenliebe, Güte und Demut, wie einst erdacht und propagiert, unter Stiefeln zertreten wurden, wie rückständig der Mensch geblieben ist.

Frank wünscht sich »eine Entgiftung unserer politischen Atmosphäre«. Er erwartet »ein wenig Glauben an die reinen Motive des Andern, (…) ein wenig Höflichkeit des Herzens und ein wenig menschliches Gefühl«. Es scheint, als würde er an uns Heutige appellieren, unter anderem auch Contenance in politischen Auseinandersetzungen zu wahren: »Gegen die Behauptung, man sei ein feiles, bezahltes, bestochenes Subjekt, wird man sich nicht mit Ruhe verteidigen, sondern wird sich blindlings zur Wehr setzen und wird sich weiter verrennen«.

Der unveröffentlichte Text von 1939 ist ein wahres Fundstück. Gut, dass zusätzlich der bereits veröffentlichte von 1918 in diesem Band noch einmal präsentiert wird, gibt er doch ebenfalls einen Einblick in Franks Ethos und Hoffnungen, die heute naiv erscheinen mögen. Es sind die Irrtümer eines gutwilligen Intellektuellen.

Das Büchlein könnte diesen zu Unrecht vergessenen Literaten wieder in Erinnerung rufen. Die Idee einer Werkausgabe ist leider vor Jahren fallengelassen worden. Bruno Frank selbst hatte in seinem Testament festgelegt, dass er vergessen werden möchte.

Bruno Frank: Lüge als Staatsprinzip. Erstveröffentlichung aus dem Nachlass. Hg. v. Peter Graf und Tobias Roth. Verlag Das Kulturelle Gedächtnis, 112 S., geb., 22 €.

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